Es hat lange auf sich warten lassen: Nach über sieben Jahren beschließt die AfD ihr erstes Rentenkonzept. Vorausgegangen war ein jahrelanger Streit zwischen den Lagern um Rechtsaußen Björn Höcke und Parteichef Jörg Meuthen. Wer konnte sich durchsetzen und was sieht das beschlossene Konzept vor? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Trotz Corona-Pandemie hat sich die AfD am vergangenen Wochenende (28./29.) zum Parteitag im niederrheinischen Kalkar getroffen. Auf der in Corona-Zeiten umstrittenen Veranstaltung stand vor allem die künftige Rentenpolitik im Fokus. Nach mehrstündiger Debatte schließlich das Ergebnis: Mit 88,6 Prozent nahm der Parteitag das Rentenkonzept an. Der Beschluss gilt als wichtige Richtungsentscheidung innerhalb der Partei. Die wichtigsten Aspekte im Überblick:
Warum kommt das Rentenkonzept so spät?
Um die Leerstelle Rentenkonzept zu füllen, hat die 2013 gegründete Partei über sieben Jahre gebraucht. Das hat mehrere Gründe: Die AfD ist als Sammelbewegung entstanden, die auf wenige Themen beschränkt war – namentlich Euro- und Flüchtlingspolitik. Andere Themenfelder wurden zunächst vermieden.
Viel Zeit für ein abgestimmtes Konzept brauchte die AfD aber vor allem, weil die inhaltlichen Stoßrichtungen lange unvereinbar schienen: Die Abschaffung des Umlagesystems stand ebenso im Raum wie ihr Ausbau.
Hinter diesen unterschiedlichen Richtungen in Sachen Altersvorsorge schwelt ein Machtkampf zwischen zwei Lagern: Der rechtsextreme – inzwischen zumindest offiziell aufgelöste – "Flügel" mit seinem bekanntesten Vertreter
Mit Höcke und Meuthen treffen "solidarischer Patriotismus" auf Neoliberalismus, Popularität im Osten auf Anhängerschaft im Westen und offener Extremismus auf vermeintlich gemäßigte AfDler.
Die Rentenpolitik somit: Ein Stellvertreterkonflikt parteiinterner Gegnerschaft. Das sorgte mehrfach für Verschiebungen, weil noch kein Leitantrag ausgearbeitet war, über den abgestimmt werden konnte.
Welche Vorschläge lagen bis dato auf dem Tisch?
Denn die Vorschläge, die auf dem Tisch lagen, unterschieden sich grundlegend: Wäre es nur nach dem neoliberalen Kurs des Volkwirts Meuthen gegangen, würde die AfD die Abschaffung der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten einer steuerfinanzierten Mindestrente knapp über der Existenzsicherung fordern. Rente wäre dann in Zukunft Privatsache – organisiert von Allianz, Generali und Co. Auch
Ganz anders die Vorstellungen des thüringischen Landeschefs Björn Höcke: Ihm schwebt ein Ausbau des gesetzlichen Umlagesystems vor - mit Rentenzuschlägen nur für deutsche Staatsbürger. Zu Höckes Vorschlag zählt die Verknüpfung einer Produktivitätsrente mit einer Staatsbürgerrente und die Stabilisierung des Rentenniveaus bei dauerhaft 50 Prozent.
Aktuell liegt das Standardrentenniveau laut Deutscher Rentenversicherung bei knapp 48 Prozent (netto vor Steuern). Eltern mit vielen Kindern sollen nach Höckes Vorstellungen mehr Altersgeld erhalten. Anders als Meuthens kapitalgedecktes Modell setzt Höckes Konzept auf ein staats- und steuerfinanziertes Modell.
Was waren die großen Streitpunkte und wie sieht der Kompromiss aus?
Die Rentenpolitik birgt für die AfD enormes Spaltpotential. Das zeigte auch Alice Weidels Reaktion auf die Frage eines Phoenix-Moderators auf dem AfD Parteitag, ob sich die wirtschaftsliberale oder "sozial-nationalistische" Richtung durchsetzen werde: Sie brach das Interview vorzeitig ab.
Soll es einen kompletten Systemwechsel geben oder setzt auch die AfD weiterhin auf das erprobte Umlagesystem? Werden nur Deutschen Rentenzuschläge gewährt oder gelten sie auch für Ausländer, die in Deutschland gearbeitet haben? Darüber streitet die AfD seit Jahren.
Nach mehrstündiger Debatte wurde der Leitantrag schließlich mit 88,6 Prozent angenommen. Auf radikale Forderungen wird weitgehend verzichtet, ein vollständiges Umkrempeln des Rentensystem fordert die AfD nicht mehr: Das Umlagesystem soll vorerst bleiben, vor allem Menschen mit Kindern und Geringverdiener sollen bessergestellt werden.
Weiterer Diskussionspunkt war die Frage, ob neue Modelle wie "Staatsbürgergeld, negative Einkommenssteuer und andere Grundeinkommensmodelle" als Pilotprojekte mit in das Konzept aufgenommen werden sollen. Der Parteitag lehnte das mit knapper Mehrheit ab.
Was hat die AfD konkret beim Parteitag beschlossen?
Das beschlossene Rentenkonzept sieht Folgendes vor: Der Renteneintritt soll flexibel gestaltet werden und ist laut Leitantrag "eine individuelle Entscheidung". Über das Ende des Arbeitslebens will die AfD Menschen deshalb selbst entscheiden lassen – mit entsprechend mehr oder weniger Rente.
Mehr Menschen sollen künftig mit in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen – also etwa Abgeordnete, Selbstständige und ein Großteil der künftigen Beamten. Ausgenommen sind Bedienstete mit hoheitlichen Aufgaben, etwa Polizei, Zoll oder Justiz.
Die Rente künftiger Generationen durch Einwanderungen zu sichern, lehnt die AfD in ihrem Konzept ab. Sie behauptet "massive Zuwanderung von Geringqualifizierten" belaste die Sozialsysteme zusätzlich und sei "keine Lösung".
Vielmehr sollen für Deutsche Anreize geben, wieder mehr Kinder zu bekommen: Nicht nur zur Stabilisierung der Sozialsysteme, sondern auch "zur Wahrung unserer Kultur und zum Fortbestand unseres Volkes".
Erreichen will die AfD das mit einem Bonus von 100 Euro bis zum 18. Lebensjahr, den der Staat für jedes Kind "mit deutscher Staatsangehörigkeit und Lebensmittelpunkt in Deutschland" monatlich "in die Spardepots" der jeweiligen Kinder einzahlen soll.
Familien sollen 20.000 Euro Rentenversicherungsbeiträge pro Kind aus Steuermitteln erstattet bekommen, ohne dass sich die Rentenansprüche verringern. Die Frage, ob das auch für Ausländer, die 20 Jahre in Deutschland gearbeitet haben, gilt, wurde in den zuständigen Fachausschuss überwiesen.
Welches Lager konnte sich durchsetzen und was sind die Konsequenzen?
Mit dem Rentenkonzept wurde über mehr abgestimmt, als nur über eine inhaltliche Positionierung. Höcke geht als Gewinner aus der Abstimmung hervor: Seinen Vorstellungen kommt das Konzept deutlich näher als jenen von Meuthen. Einzig und allein die Verschlankung des Beamtenwesens kann als Kompromiss in Richtung des Parteivorsitzenden gelesen werden.
Ansonsten hat das beschlossene Konzept nicht mehr viel mit seinen Ideen zu tun. Das schwächt seine Position enorm: Der gewünschte neoliberale Kurs des Parteichefs erfährt eine deutliche Abfuhr.
Möglich, dass die Annahme des "sozial-patriotischen" Kurses von Höcke als eine Art Comeback des Rechtsaußen gewertet wird. Offiziell gilt der "Flügel" als aufgelöst, mit der Annahme des Leitantrages aber wird deutlich: Das Narrativ, dass der "Flügel" zwar eine Strömung in der Partei ist, nicht aber das Grundsatzprogramm vorgibt, ist widerlegt.
Völkischer Nationalismus ist beim Thema Rente auf Kosten wirtschaftsliberaler Wurzeln in der AfD-Programmatik angekommen. Konsequenzen dürfte das auch in der Debatte um eine drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz haben.
Verwendete Quellen:
- Leitantrag zum 11. Bundesparteitag der AfD
- "Deutsche Rentenversicherung.de": Rentenniveau
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