Bei großen Unternehmerverbänden ist der Umgang mit der AfD verpönt. Die Partei gilt als ökonomisches Risiko. Einige kleinere Geschäftsleute haben aber weniger Berührungsängste. Wie steht es um die Brandmauer in der Wirtschaft?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Joshua Schultheis sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die AfD will Unternehmen steuerlich entlasten, die Energiepreise drastisch senken und staatliche Eingriffe in den Markt reduzieren. In der Wirtschaft sollte das eigentlich für Begeisterung sorgen. Doch das tut es nicht. Offen bekundete Sympathien für die in Teilen rechtsextreme Partei sind dort die Ausnahme, Großspenden von Unternehmern sehr selten.

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Immer häufiger warnen Wirtschaftsvertreter sogar vor der Politik der AfD. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) spricht von einer regelrechten "Ausgrenzungsstrategie". Laut einer aktuellen Studie des IW betrachten die meisten großen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände die AfD als "politisches, aber auch ökonomisches Standortrisiko".

Dabei profilierte sich die Partei bei ihrer Gründung vor zehn Jahren mit ihrer eurokritischen Haltung vor allem als wirtschafts- und finanzpolitische "Alternative für Deutschland". Ihr erster Vorsitzender war der Ökonom Bernd Lucke und die Akademiker-Dichte unter den Erstmitgliedern so hoch, dass von einer "Professorenpartei" die Rede war. Zwar bewegte sich der Fokus der AfD immer mehr auf das Thema Migration, ihre wirtschaftsliberalen Positionen behielt sie aber weitgehend bei. Auch heute behaupten AfD-Politiker, bestens in der Wirtschaft vernetzt zu sein.

Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Gibt es eine "Brandmauer" der Unternehmen zur AfD, oder nicht? Die Antwort darauf ist komplex. Denn: Wirtschaft ist nicht gleich Wirtschaft.

In der Wirtschaft gibt es zwei Unternehmerlager

"Wir haben es hier nicht mit einem monolithischen Block zu tun", sagt der Soziologe Andreas Kemper im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es gibt innerhalb der Wirtschaft unterschiedliche Interessen." Der Rechtsextremismus-Experte verweist auf die Gründungsphase der AfD. "Damals wurde diskutiert, ob man den Euro abschaffen sollte", so Kemper. Während der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) für den Euro war, wollten einige Familienunternehmer raus aus der gemeinsamen Währung. Kemper: "Bernd Lucke und seine AfD schlugen sich auf die Seite der Familienunternehmer."

Der Soziologe glaubt, die wirtschaftspolitische Ausrichtung der AfD spiegele einen Dissens zwischen zwei Unternehmerlagern wider: "BDI-Unternehmen sind sehr international ausgerichtet, während Familien- und Mittelstandsunternehmen sich stärker auf Deutschland konzentrieren."

An letzterer Klientel orientiert sich die Politik der AfD. So will die Partei beispielsweise die Erbschaftssteuer abschaffen und wieder eine nationale Währung einführen. In ihrem Programm für die Bundestagswahl 2021 forderte die AfD zudem eine "Beendigung der Benachteiligung des Mittelstands gegenüber multinationalen Großkonzernen" und eine drastische Reduktion der Einwanderung nach Deutschland.

Über 90 Prozent der großen Verbände meiden die AfD

Wie wenig ein großer Teil der Wirtschaftsvertreter mit dem Programm der AfD anfangen kann, zeigt die bereits erwähnte Studie des IW. Für diese wurden die Hauptgeschäftsführerinnen und -führer der 119 wichtigsten deutschen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände nach ihrem Verhältnis zur AfD befragt. Geantwortet haben etwa die Hälfte, mit wenigen Ausnahmen alle in Westdeutschland verankert. Die Studienmacher schränken daher ein: Die Ergebnisse seien "mit einer gewissen Vorsicht zu interpretieren".

Dennoch unterstützt die Studie die Aussagen des AfD-Experten Kemper. Die befragten Wirtschaftsvertreter repräsentieren überwiegend große, international ausgerichtete Unternehmen. Die Ablehnung der AfD ist dort praktisch Konsens: Über 90 Prozent von ihnen vermeiden eine Kooperation mit der Partei und nur ein einziger Verband lädt deren Politiker zu Veranstaltungen ein.

Die IW-Studie führt mehrere Gründe für diese Ablehnung an: Zum einen stünden die Verbände der Europäischen Union sehr positiv gegenüber, da diese als entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands angesehen wird. Zum anderen halte man eine Zuwanderung von etwa 400.000 Arbeitskräften jährlich für unabdingbar, was mit den Vorstellungen der AfD kaum vereinbar wäre. Zudem fürchten die Verbände die Unberechenbarkeit, die eine populistische Politik für den Wirtschaftsstandort bedeuten könnte.

Die Ablehnung der AfD hat auch mit der Geschichte zu tun

Noch ein weiteres Motiv für die ablehnende Haltung gegenüber der AfD macht die Studie aus: Unternehmen haben einst den Aufstieg Hitlers und der NSDAP stark begünstigt. Daher gebe es heute in der deutschen Wirtschaft "einen ausgeprägten Cordon Sanitaire gegenüber jedweder im Rechtsextremismusverdacht stehender Institution".

Die Studienmacher kommen zu dem Ergebnis: "Die AfD ist aus Perspektive der überwältigenden Mehrheit der deutschen Wirtschaft damit weiterhin eine Paria-Partei, von der man sich so gut es geht, versucht zu distanzieren."

Stellvertretend für diese ablehnende Haltung steht etwa der BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Er warnte Anfang des Jahres deutlich vor der AfD. "Ich will kein Land, in dem es darauf ankommt, wo deine Großeltern geboren sind, ob du in diesem Land willkommen bist oder nicht", sagte Russwurm. "Das können wir uns gesellschaftlich nicht leisten, jenseits aller wirtschaftlichen Überlegungen."

AfD-Politiker Leif-Erik Holm kritisiert die IW-Studie

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Leif-Erik Holm widerspricht dem Fazit der IW-Studie jedoch und wird ihr "Voreingenommenheit" vor. "Meine Kollegen und ich sind immer wieder mit Vertretern von Unternehmensverbänden im Gespräch", sagte der wirtschaftspolitische Sprecher seiner Fraktion auf Anfrage unserer Redaktion. Er selbst sei häufig zu Gast bei Verbänden, Handwerkern sowie Industrie- und Handelskammern (IHK) gewesen.

Tatsächlich lassen sich Teilnahmen von Holm und weiteren AfD-Vertretern bei lokalen IHK-Veranstaltungen nachweisen. Allerdings sind Industrie- und Handelskammern zur politischen Neutralität verpflichtet. Für die meisten anderen Unternehmensverbände gilt das nicht.

Holm glaubt jedoch, dass sich viele Wirtschaftsvertreter nicht trauen, offen über Treffen mit der AfD zu reden. "Ich verstehe deren Sorge, Politiker anderer Parteien könnten sie schief anschauen oder die Medien sie tadeln, wenn ein AfD-Politiker eingeladen wird", sagt der studierte Ökonom. "Doch auch das wird sich legen", sagt Holm. "So wie eben auch die vielbeschworene Brandmauer Stück für Stück von unten her bröckelt."

Der gebürtige Schweriner spricht von "alternativen Unternehmerverbänden", die sich aus Protest gegen die Wirtschaftspolitik der Ampel-Koalition gerade gründen würden, und verweist auch auf seine eigene Heimat Mecklenburg-Vorpommern.

In Ostdeutschland gibt es weniger Berührungsängste

Hier ist seit Anfang vergangenen Jahres der "Unternehmeraufstand MV" aktiv. Laut eigenen Angaben habe die Initiative bis zu 10.000 Unternehmen, vom Kleinstbetrieb bis zum Mittelstand, für ihre regierungskritischen Proteste mobilisiert. Nun will man einen eigenen Unternehmerverband gründen. Auf der Website des "Unternehmeraufstand MV" heißt es, man sei "unparteiisch", "keinesfalls extremistisch" und "jederzeit dialogbereit". Der Initiative wird aber vorgeworfen, Kontakte in das Querdenker- und Reichsbürgermilieu zu haben. Der Verfassungsschutz betrachtet die Gruppe als "extremistisch beeinflusst".

Auf Anfrage erklärte ein Sprecher des "Unternehmeraufstands MV", man sei im Gespräch mit Politikern unterschiedlicher Parteien. Zu einem persönlichen Treffen mit einem AfD-Politiker sei es bisher aber nicht gekommen. Sobald man einen Verband gegründet habe, wolle man der Landesregierung einen Forderungskatalog überreichen "und den anderen Parteien einen gemeinsamen Termin zur Vorstellung des Kataloges anbieten", so der Sprecher. Die AfD ist offenbar mitgemeint.

Deutlicher wird der Vertreter einer weiteren Protestgruppierung ostdeutscher Unternehmer. "Wir akzeptieren alle demokratischen Parteien, dazu gehört auch die AfD", sagt Matthias Schulze von der "Mittelstandsinitiative Brandenburg" im Gespräch mit unserer Redaktion. Brandmauern wolle man nicht ziehen, betont der Autohausbesitzer. Er ist der Meinung, ein Ausschluss der AfD würde auch einen Ausschluss der Menschen bedeuten, die die Partei wählen. "Das müssen sich die großen Wirtschaftsverbände fragen, wie sie das verantworten können", sagt Schulze.

Die beiden Beispiele zeigen: Insbesondere Vertreter kleinerer Unternehmen in Ostdeutschland, wo die AfD in Umfragen stärkste Kraft ist, haben deutlich weniger Berührungsängste mit der Rechtsaußen-Partei. Von einer "Ausgrenzungsstrategie" gegen die AfD, wie sie das IW für große Wirtschaftsverbände diagnostiziert hat, kann hier keine Rede sein.

AfD-Experte: Brandmauer "kann schnell wieder kippen"

Auf Bundesebene ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Auch unter Organisationen, die nicht nur große Unternehmen vertreten: Sowohl der Deutsche Mittelstandsbund als auch der Verein "Die Familienunternehmer" mit rund 6.500 Mitgliedern erklärten auf Anfrage, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten. Beide Verbände hatten zudem in der Vergangenheit die Wirtschaftspolitik der AfD immer wieder sehr negativ bewertet.

Der Soziologe Andreas Kemper glaubt, dass die AfD selbst in ihrer ursprünglichen Zielgruppe, dem Mittelstand und den Familienunternehmern, an Unterstützung eingebüßt hat. "Der faschistische Flügel in der AfD hat die 'Professoren' nach und nach verdrängt", sagt er. "Das hat selbst Unternehmer abgeschreckt, die der AfD anfangs nahestanden."

Steht die Brandmauer der Wirtschaft gegen die AfD also und sind die kleineren Risse darin vernachlässigbar?

AfD-Experte Kemper ist zwar von der überwiegenden Ablehnung der Partei in Wirtschaftskreisen überzeugt. Dass das immer so bleibt, sei aber nicht garantiert. "Wenn sich die wirtschaftliche Situation verändert", sagt er, "kann das auch schnell wieder kippen".

Über unseren Gesprächspartner

  • Andreas Kemper ist freischaffender Wissenschaftler. Er hat Philosophie, Soziologie und Pädagogik in Münster und Berlin studiert. Kemper beschäftigt sich insbesondere mit Antifeminismus, Klassismus und Rechtsextremismus. Die AfD beobachtet Kemper seit ihrer Gründung 2013 intensiv. Unter anderem enthüllte er, dass der AfD-Politiker Björn Höcke unter dem Pseudonym Landolf Ladig rechtsextreme Artikel verfasst hat.

Verwendete Quellen

  • Telefonate mit Andreas Kemper, Soziologe, und Matthias Schulze, Sprecher der "Mittelstandsinitiative Brandenburg"
  • Schriftliche Anfragen an AfD-Politiker Leif-Erik Holm, "Unternehmeraufstand MV", Verein "Die Familienunternehmer" und den Deutschen Mittelstandsbund
  • Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft: Die deutsche Wirtschaft und die AfD
  • Programm der AfD zur Bundestagswahl 2021
  • unternehmeraufstand-mv.de
  • Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 2022
  • handelsblatt.com: BDI-Präsident Russwurm warnt mit deutlichen Worten vor der AfD
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