Ist die politische Linke heute noch relevant? Unbedingt, glaubt Klaus Lederer. Im Interview spricht der ehemalige Berliner Kultursenator und Linken-Politiker über die Chancen, aber auch die Widersprüche progressiver Politik.
Vergangenes Frühjahr verlor Klaus Lederer seinen Job: Nach der Wahlwiederholung zum Berliner Abgeordnetenhaus flog "Die Linke" aus der Regierung – und Lederer wurde vom Senator für Kultur und Europa zum einfachen Abgeordneten. Für ihn die Zeit, um über die großen Linien der Politik nachzudenken. Herausgekommen ist das Buch "Mit Links die Welt retten", das am Mittwoch erscheint.
Wir konnten vorab hineinschauen und den Autor befragen: nach dem Ende des Kapitalismus, Antisemitismus in der Linken, dem Erbe der DDR und
Herr Lederer, was macht ein Linker in nicht-revolutionären Zeiten?
Politik. Jedenfalls waren die letzten 20 Jahre keine revolutionären Zeiten, und trotzdem waren es welche, in denen ich Politik gemacht habe. Die zentrale Frage in nicht-revolutionären Zeiten lautet: Wie kann man das politische Koordinatensystem in einer Demokratie nach links verschieben? Das war immer mein Anspruch.
Im Titel Ihres neuen Buches wird auch ein Anspruch formuliert: "Mit links die Welt retten". Ging es nicht ein bisschen kleiner?
Da ist natürlich auch ein Augenzwinkern mit dabei. Denn wenn man sich den Zustand der Linken anguckt, dann ist er aktuell nicht berauschend. Das gilt für die Partei "Die Linke" als auch für die gesellschaftliche Linke insgesamt. Für mich war nach 20 Jahren auf der Überholspur mit einem sehr engen Zeitkorsett jetzt der Punkt gekommen, einmal innezuhalten und zu reflektieren: Wo stehe ich eigentlich? Wie bewerte ich bestimmte Entwicklungen innerhalb der Linken und welche davon sind problematisch? Wo sind Anknüpfungspunkte, um eine moderne, eine universalistische, eine demokratische, auf Gleichheit orientierte Linke voranzubringen und programmatisch weiterzuentwickeln?
Man kann nur retten, wer sich retten lassen will. Wartet die Menschheit auf eine "linke" Lösung ihrer Probleme?
Die Aufgabe der Linken ist es, zumindest erst mal die richtigen politischen Fragen zu stellen. Dann kann man versuchen, in einen Diskurs mit denjenigen einzutreten, die dazu bereit sind. Möglicherweise folgt dann auch eine entsprechende Mobilisierung. Ich bleibe ein Pessimist des Kopfes und ein Optimist des Herzens. Ich hoffe, dass mehr und mehr Menschen verstehen, dass Abschottung und Besinnung aufs nationale Kollektiv keine Lösung unserer Probleme sind.
Kann die Welt nur gerettet werden, wenn wir den Kapitalismus überwinden?
Dem Kapitalismus wohnt eine inhärente Wachstumsdynamik inne. Wir müssen aber in den nächsten vier bis fünf Jahren unsere Emissionen rapide reduzieren, wenn wir nicht im Jahr 2100 einen Planeten haben wollen, der in weiten Teilen unbewohnbar ist. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir das so schnell mit neuer Technologie schaffen. Das heißt also, wir müssen umsteuern.
Schrumpfen statt wachsen?
Jedenfalls müssen wir massiv unseren Ressourcenverbrauch und unsere Emissionen reduzieren.
Klaus Lederer: "Es gibt in der Linken schon lange auch Antisemitismus"
Im Zentrum eines linken Denkens stehen für Sie "Freiheit, Gleichheit und Universalismus", wie Sie in Ihrem Buch schreiben. Ist das Konsens unter Linken?
Konsens ist es nicht, sonst hätte ich das Buch nicht schreiben müssen. Dann stünden wir vielleicht auch besser da. Mir war es wichtig, daran zu erinnern, woher linkes Denken eigentlich kommt. Es ging nie um den Versuch, Demokratie und Freiheit abzuschaffen. Sondern im Gegenteil darum, diese zu vollenden: von der nur halben Freiheit innerhalb kapitalistischer Gesellschaften, wo am Ende dann doch die individuelle Kaufkraft über Möglichkeiten der Mitbestimmung entscheidet, zur ganzen Freiheit.
Am 7. Oktober richtete die Hamas das schlimmste Massaker an Jüdinnen und Juden seit der Schoa an. Viele, die sich als Linke verstehen, schwiegen dazu oder verherrlichten die Taten sogar. Wie kann das sein?
Es gibt in der Linken schon lange auch antisemitische Denkweisen und Taten. Erinnert sei nur mal an den versuchten Anschlag der Tupamaros (eine deutsche linksextremistische Terrorgruppe, Anm. d. Red.) auf das jüdische Gemeindezentrum in West-Berlin am 9. November 1969. Antisemitismus ist auch eine Art, sich die Welt bequem zurechtzulegen. Alles, was am Kapitalismus schlecht ist, wird dann auf eine Gruppe projiziert: die Juden. Die Haltung, "Ich bin links, also kann ich kein Antisemit sein", ist also eine billige Immunisierung. Trotzdem war ich überrascht, wie weit Antisemitismus in der Linken verbreitet ist. Nach dem 7. Oktober konnte man das leider beobachten.
Die Jüdische Gemeinde in Freiburg kündigte die Zusammenarbeit mit der lokalen Linkspartei auf, weil die mit einer Gruppe zusammenarbeitet, die den 7. Oktober als Widerstandsakt zelebriert. Offenbar gibt es auch in Ihrer eigenen Partei bei dem Thema nicht bei allen eine eindeutige Haltung.
Deswegen habe ich auf dem Bundesparteitag in Augsburg im November auch nochmal eingefordert, dass wir dringend miteinander über dieses Problem reden müssen und dass das auch nicht durch Aussitzen erledigt sein wird. Der Konflikt innerhalb unserer Partei war lange unter der Oberfläche, weil die innenpolitische Situation in Israel sowie der Krieg in der Ukraine die öffentliche Wahrnehmung beherrscht haben. Nach dem 7. Oktober ist der Konflikt wieder ausgebrochen. Wir müssen jetzt an unserem Verständnis von Antisemitismus, aber auch von Kapitalismuskritik arbeiten. Ich hoffe, dass ich mit meinem Buch zu dieser Auseinandersetzung beitragen kann.
Ein anderer Konflikt innerhalb der Linkspartei hat sich gerade auf eine Art gelöst: Sahra Wagenknecht hat ihre eigene Partei gegründet. Eine weitere Spaltung der Linken – kann das gut sein?
Ich glaube nicht, dass hier "Die Linke" die Spaltung betrieben hat. Unser Fehler war, darauf zu warten, bis Frau Wagenknecht den günstigen Augenblick nutzt, um ihren politischen Gemischtwarenladen des Mainstreams aufzumachen. Ich habe lange um einen anderen Ansatz in der Partei gekämpft: Wir hätten in den vergangenen zehn, 15 Jahren darüber reden müssen, wie unsere politische Haltung zu den gegenwärtigen gesellschaftlichen Zuständen ist. Dann wäre uns vielleicht schon viel früher aufgefallen, dass Positionen wie die von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht mit links nicht allzu viel zu tun haben. Ich bin überzeugt, dass eine Linke, die globale Ungleichheit und den Klimawandel im Blick hat, internationalistisch sein muss.
"Sahra Wagenknecht trägt zu Schwächung des linken Felds bei"
Die Formel der Wagenknecht-Partei – linke Sozialpolitik und nationalistische Migrations- und Außenpolitik – könnte aber durchaus erfolgreich sein.
Das werden wir sehen. Ich glaube, dass sie im Augenblick nur Schaden anrichtet. Zur Schwächung des gesellschaftspolitisch linken Felds hat sie schon erheblich beigetragen. Und ihre nationalistische Rhetorik läuft darauf hinaus, den politischen Diskurs weiter nach rechts zu verschieben.
Wo in der Welt sehen Sie derzeit existierende politische Kräfte, die für Ihre Politik und Ihre Werte stehen?
Ich schaue weniger auf bestimmte linke Parteien im Ausland, denen ein kurzfristiger Wahlerfolg gelingt. Die Werte, um die es mir geht, sehe ich am ehesten da verwirklicht, wo Menschen jetzt schon versuchen, auf eine andere Art und Weise die Dinge zu organisieren und zu regeln. In Lateinamerika gibt es viele Beispiele für eine Art des solidarischen und nachhaltigen Zusammenlebens. Auch hierzulande gibt es Leute, die versuchen, andere Arten der Bewirtschaftung der Böden und einen anderen Umgang mit Ressourcen zu praktizieren. Leute, die sich im Betrieb solidarisch organisieren, Leute, die sich für Geflüchtete einsetzen und versuchen, das zu kompensieren, was der Staat gerade nicht leistet.
Sie sind in der DDR aufgewachsen und beschreiben die Wendejahre auch als verpasste Chancen. Können heutige Linke etwas vom "real existierenden Sozialismus" lernen?
Man kann sich aus dieser Zeit nicht den einen oder anderen Aspekt herauspicken und die Diktatur und ihre Defizite einfach wegschieben. Das damalige System ist aus guten Gründen zusammengebrochen. In der Wendezeit gab es aber tatsächlich ein interessantes Zeitfenster, das man besser hätte nutzen können. Im Verfassungsentwurf des Runden Tisches spielten nicht nur Gleichheit und Mitbestimmung in der politischen Sphäre, sondern auch in den Betrieben und der Gesellschaft eine große Rolle. Man sollte dieser Zeit aber nicht hinterhertrauern, sondern darüber nachdenken, ob Institutionen wie damals die Runden Tische, mit denen versucht wurde, über unterschiedlichste politische Haltungen hinweg zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, vielleicht auch heute wieder Sinn hätten.
Sie sind seit drei Jahrzehnten in der Politik. Was ist Ihr Rat an junge Menschen, die sich gerade erst politisieren?
Erstmal ist es überhaupt gut, wenn sich junge Menschen heutzutage politisieren. Denn wenn es einen Zeitpunkt dafür gibt, dann ist er jetzt. Ich würde ihnen raten, sich diese Frage zu stellen: Wie kann in dieser komplexen und widersprüchlichen Welt eine wirklich progressive Veränderung gelingen?
Über den Gesprächspartner
- Klaus Lederer ist 1974 in Schwerin geboren und in der DDR aufgewachsen. 1992 trat er der PDS bei, die 2007 in der Partei "Die Linke" aufging. Im Berliner Landesverband hatte Lederer bis 2016 den Vorstand inne und kandidierte mehrmals als Spitzenkandidat für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus. In zwei rot-rot-grünen Koalitionen war er Bürgermeister sowie Senator für Kultur und Europa. Diese Ämter verlor er nach der Berliner Wiederholungswahl im Februar 2023 und der Bildung einer Koalition aus CDU und SPD. Lederer ist promovierter Jurist.
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