Alexis Tsipras gibt den Hardliner: Ein Teilerlass der griechischen Staatsschulden und eine Lockerung der auferlegten Sparmaßnahmen haben für ihn oberste Priorität. Ob es tatsächlich soweit kommt und Griechenland damit aus seiner anhaltenden Staatskrise herauskommen kann, ist fraglich, meint der Griechenland-Kenner Markus Kaiser.
Es sind knallharte Forderungen, die der neu gewählte griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras aufgestellt hat. Neben einem Schuldenschnitt und dem teilweisen Abrücken vom derzeitigen Sparkurs will der 40-Jährige die Mindestlöhne im Privatsektor wieder auf das Vorkrisenniveau steigern, also von 586 auf 751 Euro. Auch niedrige Renten sollen angehoben werden und 9.500 Staatsbeamte wieder an ihren Arbeitsplatz zurück kommen. Darüber hinaus werben er und seine Partei für eine Allianz der europäischen Südstaaten, um gegen die Sparpolitik der Troika anzukämpfen. Was von Tsipras' Forderungen zu halten ist, erklärt Markus Kaiser im Interview.
Inwiefern sind Tsipras' Forderungen umsetzbar?
Markus Kaiser: Ich denke, die neue griechische Regierung glaubt selbst nicht, dass sie alle ihre Forderungen umsetzen kann. Momentan herrscht viel Säbelrasseln, aber auch Unerfahrenheit in Bezug auf Regierungshandeln. Das zeigt sich an Äußerungen einiger Vizeminister nach der ersten Kabinettssitzung gestern. So hat die unbedachte Aussage, dass alle Privatisierungen gestoppt werden sollen, die Athener Börse unmittelbar danach einbrechen lassen. Aber das kann nicht verwundern: Von 41 Kabinettsmitgliedern haben nur zwei Regierungserfahrung.
Wie Syriza die bekannten innenpolitischen Forderungen ohne europäische Hilfe umsetzen will, sehe ich nicht. Fakt ist: Ab Ende Februar hat Griechenland wieder kein Geld mehr. Deshalb vermute ich, Tsipras will mit seinen radikal linken Forderungen größtmögliches Entsetzen in Europa auslösen, um in Verhandlungen davon abzurücken, aber trotzdem noch genug Eingeständnisse von seinen europäischen Partnern zu bekommen. Die Hauptsache für Tsipras ist: Wenn es zu einem Kompromiss kommt, soll es am besten so aussehen, dass die andere Seite zurückstecken musste.
Welche Folgen könnten Tsipras' Pläne für Griechenland haben?
Wenn man den momentanen Konfrontationskurs zu Ende denkt, steht da als schlimmstes Szenario der Austritt aus dem Euro oder die Staatsinsolvenz. Aber das halte ich für unwahrscheinlich. Tsipras hat sich zwar sozialistisch-kommunistisch geprägte und zum Teil auch unerfahrene, aber dennoch kluge Leute in die Regierung geholt. Der neue Finanzminister, Giannis Varoufakis, weiß als Universitätsprofessor auf jeden Fall wie das Finanzsystem funktioniert. Einzelne Forderungen wurden auch schon gegengerechnet: Finanzieren will man diese mit mehr Steuereinnahmen beziehungsweise dem Kampf gegen Steuerhinterziehung.
Die EU hat mehr Errungenschaften aufzuweisen als nur den Euro - denken wir nur an den Binnenmarkt oder die Freizügigkeit. Deswegen sind die europäischen Staatschefs sicherlich nicht gewillt, mit dem Ausstritt Griechenlands einen Präzedenzfall zu schaffen. Denn: Was nicht sein darf, das kann auch nicht sein.
Wie könnte sich Tsipras' Politik auf Europa auswirken?
Syriza ist eigentlich eine proeuropäische Partei. Immerhin war sie Mitbegründerin der Europäischen Linkenpartei. Aber alles, was die anderen europäischen Regierungen Griechenland jetzt zugestehen, könnten irgendwann auch andere Staaten für sich einfordern. Das ist das Schreckgespenst vieler: Dass bald die Spanier oder Italiener ähnliche Forderungen stellen und Europa mehr öffentliche Gelder ausgeben und damit linker wird.
Was "unser" Geld, das wir Griechenland gegeben haben, angeht, glaube ich nicht, dass jemand den griechischen Wunsch nach einem Schuldenschnitt erfüllen will. Die Effekte eines Schuldenschnitts kann man auch erzielen, indem man etwa die Rückzahlung der Kredite an griechische Wachstumsraten koppelt. Wahrscheinlich ist deshalb eher eine Stundung oder zeitweise Absenkung der Zinsen auf Kredite von EU und IMF auf null Prozent. Damit würden die EU-Mitgliedsstaaten auf Gewinne verzichten, aber keine Verluste erleiden – und die griechische Wirtschaft würde entlastet.
Markus Kaiser ist Projektmanager für Griechenland der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
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