Der Islamische Staat hat eine Geheimwaffe: die Offiziere, Geheimdienstler und Beamte des alten Regimes von Saddam Hussein. Wer sind die Ex-Militärs?

Mehr aktuelle News

Mit großem Tempo eilte der Islamische Staat seit Juni 2014 von einem militärischen Erfolg zum nächsten. Mittlerweile steht ein Gebiet von der Größe Italiens mit rund acht Millionen Menschen unter der Herrschaft der Dschihadisten. Die großflächigen Eroberungen im Irak und in Syrien haben viele Beobachter überrascht. Dabei sind die Kommandoebene der IS-Streitkräfte und die Verwaltung mit Offizieren, Geheimdienstlern und Beamten des früheren irakischen Regimes durchsetzt – bestens ausgebildete Spezialisten. Nach US-Angaben gibt es zwischen 100 bis 160 Partei- und Militärveteranen aus der Ära Saddam Husseins, die nun mittlere und höhere Ränge im Islamischen Staat bekleiden. Vier sitzen im Militärrat, dem höchsten militärischen Gremium, sieben fungierten als Gouverneure der zwölf IS-Provinzen im Irak.

"Dieses Verschmelzen der irakischen Erfahrung und dessen, was wir die afghanisch-arabische Erfahrung nennen können", sei zum einzigartigen IS-Markenzeichen geworden, zitiert die "Welt" Michael Ryan, einen früheren ranghohen Beamten der US-Ministerien des Äußeren und der Verteidigung. Die Kenntnisse der Offiziere aus der Saddam-Ära seien nun Teil der DNA des IS.

Know-how der Saddam-Veteranen unverzichtbar

Das kann auch Florian Wätzel, Politikwissenschaftler am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel, bestätigen: "Ohne das Know-how der ehemaligen Saddam-Getreuen wären der Aufbau des IS zu einer schlagkräftigen Organisation sowie die militärischen Erfolge vermutlich nicht möglich gewesen. Das hatte extreme Vorteile für den Islamischen Staat." Laut Wätzel habe ihr Einfluss in der Organisation seit der Machtübernahme von Abu Bakr al-Bagdadi 2010 stark zugenommen, auch wenn sich "eine kleine Gruppe nach der US-Invasion 2003 bereits der Vorgängerorganisation Al-Kaida im Irak angeschlossen hatte." Mit Organisation und Disziplin wurden Dschihadisten aus aller Welt geeint und Terrortaktiken, etwa Selbstmordanschläge, mit klassischen Militäroperationen verbunden.

Zudem leiteten die ehemaligen Militärs das Sammeln geheimer Informationen, das Ausspionieren der irakischen Streitkräfte und die Instandhaltung der Waffen. Gerüchten zufolge soll auch ein Chemiewaffenprogramm entwickelt werden, wobei sich vergleichbare Informationen ja schon vor dem Irak-Krieg 2003 als falsch erwiesen hatten. Den Begriff "Elitekämpfer" hält Florian Wätzel allerdings für unzutreffend, auch weil fast alle der früheren Saddam-Unterstützer älter als 40 Jahre sein dürften.

Besonders einflussreich macht sie hingegen Folgendes: Viele haben enge Verbindungen zu lokalen Stämmen oder sind gar die Söhne von Stammesführern in ihren Regionen. Damit konnte der IS ein wichtiges Unterstützungsnetzwerk aufbauen, das bei der Anwerbung neuer Kämpfer unverzichtbar ist. "Ihr Vorteil ist die Erfahrung und das große Netzwerk", sagt der Politikwissenschaftler, der die Mehrheit für überzeugte Dschihadisten und nicht für Opportunisten hält. Der Grund sei eine Glaubenskampagne Saddam Husseins Mitte der 1990er Jahre, die zur Verbreitung des Salafismus im Irak beitrug und auch Teile des Militärs und der Baath-Partei radikalisierte.

Gefangenenlager als wichtige Keimzelle

Ein Ort, der für das spätere Überwechseln der irakischen Elite zum IS bedeutend war, ist das ehemals US-geführte Gefangenenlager Bucca. Der IS-Kalif Abu Bakr al-Bagdadi, sein Stellvertreter Saud Mohsen Hassan, ein ehemaliger Heeresmajor der irakischen Armee, Abu Alaa al-Afri, der Finanzchef des Islamischen Staats, und weitere IS-Prominenz waren während des ersten Jahrzehnts nach der Jahrtausendwende in Bucca inhaftiert. Dort kamen die Islamisten in Kontakt mit früheren Offizieren von Saddam Hussein, darunter Mitgliedern der Republikanischen Garde, Saddams Spezialkräften.

Eine unheilvolle Verbindung: Viele frühere Häftlinge aus Bucca finden sich nun in der IS-Führung wieder. Übrigens nicht nur im Irak, sondern "zum Teil auch in Syrien", wie Florian Wätzel betont. Über Gräueltaten von alten Saddam-Anhängern ist bisher nichts bekannt: Sie befehlen Massaker und Morde vermutlich nur und ziehen wie eh und jeh im Hintergrund die Strippen. Die schmutzige Arbeit erledigen die einfachen Kämpfer.

Zur Person: Florian Wätzel ist Politikwissenschaftler am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sicherheitspolitik im Nahen und Mittleren Osten, neue Kriege und asymmetrische Konflikte, Terrorismus sowie die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.