Angela Merkel versuchte ein weinendes Mädchen zu trösten – und geriet in einen Shitstorm. Zurecht? Violeta Mikic, Expertin für Medienauftritte, erklärt, warum sie die Kritik für überzogen hält und warum die Kanzlerin beim nächsten Mal trotzdem lieber schweigen sollte.
Die Begegnung von
Violeta Mikic: Ich glaube, dass es einer von Frau Merkels Pflichtterminen war, den sie eher widerwillig angenommen hat. Man sieht in dem Video eine starke Spannung im Oberkörper. Sie schaut immer wieder auf den Boden, um die richtigen Worte zu finden. Einmal fällt sie dem Mädchen ins Wort. Sie hatte die Haltung: Ich will jetzt hier schnell durch. Darum ist ihr die schwierige Situation dann entglitten. Auch weil sie zwar inhaltlich auf den Termin vorbereitet war, aber nicht emotional. Sie hätte sich vorher überlegen müssen: Wie trete ich nahbar auf? Wie begegne ich einer Schulklasse von pubertierenden Kindern? Welche Emotion möchte ich bei meinen Zuschauern auslösen?
Viele Kritiker sahen ihr Bild der harten Technokratin bestätigt.
Ich finde nicht, dass Frau Merkel gefühllos reagiert hat. Als das Mädchen zu weinen beginnt, verlässt sie ihr Korsett aus Unnahbarkeit. Sie geht von ihrem Platz zu ihr hin, nähert sich mütterlich, nimmt Verbindung auf. Das ist ein ganz persönlicher Augenblick. In dem Moment fällt die Maske ab. Wir sehen eine Frau Merkel, wie sie auf unvorhergesehene emotionale Situationen reagiert: Sie zeigt ihre Hilflosigkeit. Diese Unbeholfenheit ist authentisch. Allerdings ist das nicht das, was die Menschen sehen wollen. Sie erwarten immer die perfekte Emotion für den perfekten Augenblick.
Andere Politiker wirken nicht so unbeholfen. Nehmen wir das Beispiel
Barack Obama hat viele verschiedene emotionale Facetten bewusst präsent, vom herzlichen über den sportlichen bis zum harten Obama. Er ist sich seiner Körpersprache und der nonverbalen Kommunikation sehr bewusst und kann für unterschiedliche Situation quasi per Knopfdruck die richtige Emotion wählen. Er kennt seine Wirkung und weiß, wann er wie zu sein hat. Frau Merkel ist darauf nicht trainiert. Sie ist darauf trainiert, rhetorisch stark zu sein, förmlich zu sein, höflich zu sein.
Warum gibt es da bei ihr offenbar einen blinden Fleck?
Der Politikstil in Deutschland ist ein anderer. Hier gilt es eher als gefährlich, zu viel Gefühle zu zeigen. Der Gedanke: Wer kontrolliert und sachlich bleibt, ist weniger angreifbar. Außerdem wird die Körpersprache hierzulande noch zu viel auf Gesten bezogen. Wenn du dies und das machst, wirkst du so und so. Aber das greift zu kurz. Nonverbale Kommunikation besteht aus Mimik, Gestus, Körperhaltung, Tonlage, Rhythmus, Atmung. Erst das Zusammenspiel ergibt ein Bild. Ich muss wir bewusst sein, wie das wirkt.
Wie hätte Angela Merkel besser reagieren können?
Besser wäre gewesen, sich zwischen die Kinder zu setzen, anstatt von oben nach unten zu erklären. Spätestens als sie das Mädchen trösten will, hätte sich Frau Merkel zu ihr setzen müssen. Weil sie steht, wirkt es, als ob sie einen kleinen Hund streichelt, der brav gewesen ist. Das bessere Bild wäre gewesen: Eine ruhige Frau Merkel mit einem Mädchen im Arm. Da hätte gereicht, sie hätte nichts sagen müssen. Überhaupt würde ich Frau Merkel raten, sobald Emotionen aufkommen, mit denen sie sich unwohl fühlt: lieber Schweigen und Handeln. Und sich klar werden, welche Emotionen man wie transportieren will und kann. Ich befürchte aber, dass sie nach der heftigen Kritik, die sie jetzt einstecken musste, beim nächsten Mal eher noch präziser und noch höflicher sein wird, anstatt Gefühle zuzulassen. Das ist schade.
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