Gute Nachrichten aus Buenos Aires. Der libertäre Reformer Javier Milei hat dem Land eine Radikalkur verpasst - mit verblüffenden Erfolgen. Nun will er das Bruttosozialprodukt Argentiniens "verdoppeln", die gewaltigen Ölreserven anzapfen und bis zum letzten Staudamm alles privatisieren, was möglich ist. Seine Hunde nennt er nach kapitalistischen Vordenkern.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Vor genau einem Jahr gewann Javier Milei reichlich spektakulär die Wahlen in Argentinien. Das Land taumelte am Abgrund der Staatspleite, Insolvenzen, Korruption und Massenarmut grassierten.

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Die linke Regierung hatte Argentinien regelrecht ruiniert und versuchte am Ende, durch wilde Schuldenmacherei und hektisches Gelddrucken die Lage zu retten. Im Dezember 2023 eskalierte die Hyperinflation, die Preise stiegen um ein Prozent - pro Tag! Argentinien stand vor dem Kollaps.

Der Merval-Index hat sich binnen Jahresfrist glattweg verdreifacht

Milei trat daher mit einem martialischen Kettensägen-Motiv vor der Wähler, den maroden Staat radikal kleinzuschneiden und einen marktwirtschaftlichen Neuanfang zu wagen. Der schillernde Liberale siegte und machte seine Ankündigung wahr. Argentinien wagte unter seiner Führung eine der mutigsten Strukturreformen der Welt. Die Zahl der Ministerien wurde kurzerhand halbiert, der Staatshaushalt rigoros auf Sparkurs saniert, zehntausende Staatsbeschäftigte unter lautstarken Protesten entlassen.

Die Welt blickt seither gespannt auf Buenos Aires, ob die Radikalkur wirkt. Im ersten Halbjahr brach die Wirtschaft noch um 3,4 Prozent ein, Massenproteste machten Schlagzeilen. Zum Einjährigen aber gibt es verblüffende Hoffnungssignale. Der Staatshaushalt meldet zum achten Monat in Folge kein Defizit mehr.

Die Hyperinflation ist besiegt, im Sommer meldete das Land die ersten Wochen mit Null-Inflation seit 30 Jahren. Die Renten liegen heute real um 10 Prozent höher als vor einem Jahr. Die Börse spiegelt das Comeback Argentiniens mit bemerkenswerten Kursgewinnen.

Der Merval-Index hat sich binnen Jahresfrist glattweg verdreifacht. Alleine im vergangenen Monat sind die Aktien um durchschnittlich 15,75 Prozent gestiegen. Die Löhne wachsen seit fünf Monaten in Folge stärker als die Inflationsrate, und sowohl die Verbraucherausgaben als auch das verarbeitende Gewerbe legen wieder zu. Der Haushaltsplan für 2025 erwartet ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent. Selbst der schwer angeschlagene Peso gewinnt auf dem Schwarzmarkt zusehends an Wert.

Internationale Währungsfonds lobt Argentinien

Der strenge Internationale Währungsfonds (IWF) findet plötzlich lobende Worte über Argentinien: "Die Umsetzung des Programms hat zu einer beträchtlichen Reduzierung der Inflation und des Haushaltsdefizits geführt. Es gibt auch Anzeichen für eine beginnende Erholung der Aktivität und der Reallöhne", sagte IWF-Sprecherin Julie Kozack in ihrem Oktoberbriefing.

Der IWF ist einer der größten Geldgeber Argentiniens. Das Land steht bei der Finanzinstitution mit mehr als 40 Milliarden Dollar in der Kreide, bekommt nun aus Washington sogar Zinserleichterungen zugesprochen.

Milei hatte auch Glück, weil die Ernten in Argentinien - die Agrarerträge sind ein Schlüsselfaktor der Volkswirtschaft - in diesem Jahr sehr gut ausgefallen sind. Gleichwohl ist der Turnaround des Landes mit erheblichen Verwerfungen verbunden. Der IWF analysiert eine "sehr heikle soziale Situation" in Argentinien. Damit ist gemeint, dass immer mehr Argentinier durch die Krise der vergangenen Jahre in die Armut abgerutscht sind.

Offiziell leben jetzt 53 Prozent der Argentinier existenziell arm, viele ehemalige Staatsbedienstete sowie Günstlinge staatlicher Programme haben zudem ihre Jobs verloren und die Mehrheit leidet noch immer unter den Folgen der Hyperinflation.

Milei umgarnt Investoren

Milei setzt daher seine Reformpolitik gegen erheblichen Widerstand durch - und er muss bald weitere Erfolge vorweisen. Zum Einjährigen trat der Präsident daher nun vor die Unternehmerschaft Argentiniens und forderte sie leidenschaftlich auf, "die größte Strukturreform in der Geschichte Argentiniens" jetzt aktiv zu unterstützen, um Wohlstand zu schaffen: "Sie sind diejenigen, die den Schlüssel dazu in der Hand halten, Argentinien wieder groß zu machen", sagte Milei auf dem IDEA-Unternehmensverbandstag.

Milei verkündete dort vollmundig: "Wir sind in der Lage, das Bruttoinlandsprodukt in zehn Jahren zu verdoppeln." Er umgarnt die Investoren mit Aussagen wie: "Für uns ist derjenige, der Geld verdient, kein Übeltäter, sondern ein sozialer Wohltäter. Wir verfolgen ihn nicht, sondern wir unterstützen ihn, wir applaudieren ihm."

Vor allem die gewaltigen Öl- und Gasvorkommen sollten jetzt exploriert werden und einen neuen Boom auslösen. "Mit den Investitionen in Öl und Gas wird Argentinien wahrscheinlich zu einer viel stärker aufgewerteten Währung übergehen. Machen Sie sich darauf gefasst, denn von dort kommt ein enormer Schub an Dollars", sagte er, bevor er hinzufügte: "Argentinien kann in 35 oder 40 Jahren eine ernsthafte Macht werden. Aber eine wirklich ernsthafte Macht! Macht, Macht, Macht."

Die liquiden Dollarreserven sind um etliche Milliarden Dollar gestiegen

Milei verspricht, den Staat, seine Bürokratie und korrupte Profiteure auch weiterhin zurückzudrängen: "Wir haben nicht nur bereits 50.000 Beschäftigte entlassen, auch die meisten der Zeitverträge werden nicht verlängert. Die Mittelsmänner auszuschalten, die Armutsmanager aus dem Weg zu räumen, ist einer der härtesten Kämpfe, die wir zu führen hatten."

Aber nun erwartet er im Gegenzug auch, dass die Privatwirtschaft loslegt: "Ihr seid die Architekten eurer eigenen Zukunft! Wenn Ihr es nicht tut, wer dann? Nicht der Staat, denn das Einzige, was der Staat tun kann, ist Schaden anrichten", ruft Milei den Unternehmern zu. Wer Schwarzgeld zurückbringt, kann derzeit mit einer Steueramnestie rechnen. Die liquiden Dollarreserven sind daraufhin um etliche Milliarden Dollar gestiegen. Und investieren sollen sie auch in privatisierte Staatsunternehmen.

Milei stellt alles potenziell zum Verkauf

Mit dem Privatisierungsgesetz Nr. 27.742, das Milei im Juni durch das Parlament brachte, kann er mehrere Schlüsselindustrien privatisieren: der Energiekonzern Energía Argentina S.A. (bekannt als "Enarsa"), die von der Erdöl- und Erdgasexploration über Stromnetze bis zu Staudämmen das Energiesystem beherrscht, die Agua y Saneamientos Argentinos S.A. (bekannt als "Aysa"), die für die Wasserversorgung und das Abwassersystem zuständig ist, die Staatsbahnen, die Autobahnen, die Flughäfen, Kohleminen und sogar die Kernkraftwerke - Milei stellt alles potenziell zum Verkauf. Er will den Weltkapitalmarkt anlocken mit der verwegenen Botschaft, in Argentinien warte ein neuer Goldrausch.

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Der schillernd selbstbewusste Milei denkt größer als nur in Krisenbewältigungskategorien. Sein Leitbild ist die Radikalwende in Staatsfunktion und Ordnungspolitik. Er versteht sich als liberaler Revolutionär. Argentinien habe - wie manche andere Staaten des Westens - zu lange an einer "linken Dekadenz" gelitten. Das Land sei durch "geistigen Sozialismus" vergiftet worden.

Sozialismus und Kollektivismus aber führten immer zu Armut. Den Wirtschaftswunder-Kapitalismus hingegen könne man immer wieder neu klonen - so wie seinen 2017 verstorbenen Lieblingshund "Conan". Den hat Milei mittlerweile schon vier Mal klonen lassen. Die neuen Welpen hat Milei nach den Ökonomen Milton Friedmann und Murray Rothbard sowie Robert Lucas genannt - allesamt Intellektuelle des Kapitalismus.

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