Am Sonntag, 18. August, war Grünen-Chef Omid Nouripour zu Gast im ARD-Sommerinterview. Darin äußerte er sich pessimistisch über den Zustand der Ampel und warnte vor einem Sparkurs bei den Ukraine-Hilfen. Ebenso erklärte er, wie die Grünen das "Merkel-Vakuum" füllen wollen und was sie dafür in Zukunft in jedem Fall unterlassen werden.

Eine Kritik
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Die ersten Sätze, die Grünen-Chef Omid Nouripour im Sommerinterview im "Bericht aus Berlin" sprach – sie hätten wohl von jedem Vertreter der Ampel-Partei kommen können: Die Regierungskonstellation sei nicht einfach, es habe viel überflüssigen Streit gegeben, außerdem zahlreiche externe Krisen. So weit, so nichtssagend.

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Pessimistisch klang Nouripours Prognose: Es gebe zwar Erfolge wie die Erhöhung des Mindestlohns oder die Eindämmung der Energiepreise, diese würden aber vom Streit überlagert. "Das wird sich auch nicht ändern", so der Grünen-Chef. Er erlebe eine "befremdliche Lust" an solchen Streitigkeiten.

Nouripour: In Koalition "an Grenzen gekommen"

Dann sprach Moderatorin Anna Engelke den Abwärtstrend der Grünen in den Umfragen an – von einem Höchststand von 23 Prozent auf inzwischen 12 Prozent. Dazu sagte Nouripour: "Wir werden natürlich schauen müssen, dass wir die Unterscheidbarkeiten auch jetzt deutlicher machen."

Man sei in der Koalition an Grenzen gekommen, obwohl Dinge notwendig wären: "Die notwendigen Gelder in die Hand zu nehmen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Die Bahn funktionsfähig zu machen, damit die Schulen gut funktionieren – das Wichtigste vielleicht für die Zukunft unseres Landes –, das geht in der Koalition in der Form nicht mehr ausreichend und deswegen werden wir die Vorhaben klarer machen und nach vorne schauen", kündigte Nouripour an. Die Umfragen seien dafür da, "dass man motiviert in den Wahlkampf zieht".

Dauerstreit? Schuld sind die anderen

Die Streithähne, das seien aber im Regelfall die anderen, beteuerte Nouripour. "Ich sehe Umfragen, in denen drinsteht, die Grünen wären am Haushaltsstreit schuld, obwohl wir gar nicht beteiligt waren", sagte er. Man habe sich eigentlich im Juli bereits geeinigt. "Ich weiß deshalb nicht, warum es das alles hat geben müssen, was wir gerade hatten."

Moderatorin Engelke erinnerte ihn: "Aber das ist ja das Problem: Streit in der Ampel, egal wer daran beteiligt ist, geht immer mit Ihnen allen dreien nach Hause." Beim Thema Haushalt sagte Nouripour, er sei "sehr, sehr zuversichtlich", dass man die ungedeckten Lücken schließen werde. "Da muss nur der Wille dafür da sein, dass man es macht und dass man es leise macht. Und diesen Willen, den sehe ich an manchen Stellen mittlerweile nicht mehr und ja, Sie haben recht, das schadet am Ende allen."

Grünen-Chef: Sind eine "Übergangskoalition"

Engelke wollte wissen, wie viel Kraft überhaupt noch da sei. "Warum kann sich Deutschland für ein Jahr eine so kraftlose Regierung leisten?", fragte sie. Nouripour war sich sicher, dass es Dinge gebe, die man als Ampel noch miteinander umsetzen könne. Als Beispiele nannte er ein Gesetz für den Schutz der kritischen Infrastruktur und besseren Schutz für Mieterinnen und Mieter.

Überrascht reagierte Engelke, als Nouripour davon sprach, dass die Ampel eine "Übergangskoalition nach der Ära Merkel" sei. Er erklärte: "Es ist ja offensichtlich, dass das Vertrauen an Grenzen gekommen ist. Und auch das, was wir glauben, was fürs Land notwendig ist, an Grenzen stößt." Ein Armutszeugnis für die Ampel.

Nouripour: "Kein gutes Signal"

Engelke brachte daraufhin das Thema Ukraine-Hilfen auf den Tisch. Derzeit sind die geplanten Milliarden eingefroren, gleichzeitig hatte der Bundeskanzler in der Vergangenheit immer wieder beteuert, die Ukraine werde so lange wie nötig unterstützt.

"Alles, was bisher der Ukraine zugesagt worden ist, wird auch auf alle Fälle weiterhin finanziert", versprach Nouripour. Er könne nur davor warnen, zu glauben, dass man mit einem reinen Sparkurs zu mehr Sicherheit komme. "Wir kommen da eher zu weniger Sicherheit."

Der Brief aus dem Finanzministerium an das Verteidigungsministerium und an das Auswärtige Amt, dass weitere Hilfen in Höhe von elf Milliarden Euro nicht finanzierbar seien, sei "kein gutes Signal".

Freche Frage der Moderatorin

"Erst recht nicht an die Ukrainer und erst recht nicht an unsere Partnerstaaten, die alle beteiligt sind – die gesamte Nato, die gesamten europäischen Staaten sind involviert in der Unterstützung der Ukraine. Und Deutschland spielt auch eine zentrale Rolle und dort sollte man nicht wackeln", sagte er. Anfragen aus der Ukraine müssten, solange sie kein Beitrag zur Eskalation seien, "ergebnisoffen geprüft" werden, so der Grünen-Politiker.

Weiter ging es dann mit dem Thema Landtagswahlen in Ostdeutschland. In Thüringen stehen die Grünen bei etwa drei Prozent und müssen um den Einzug in den Landtag bangen. "Wissen Sie schon, jetzt, was Sie zu dem schlechten Abschneiden Ihrer Partei sagen werden in zwei Wochen?", fragte Engelke frech.

Nouripour wiegelte mit "hoch motivierten" Wahlkämpfern und zahlreichen neuen Mitgliedern ab. Friedrich Merz habe vor ein paar Wochen gesagt: "Wer BSW und AfD nicht will, der muss CDU wählen. Das ist einfach erwiesenermaßen falsch", so Nouripour. Dieses Wahlverhalten könne zu einer "brandgefährlichen Konstellation" in den Landtagen führen.

Nouripour warnt

"Da sitzen CDU, BSW und AfD – und zwar nur die drei. Wozu führt das? Das führt dazu, dass ganz viele Stimmen einfach nicht gezählt werden. Das führt dazu, dass die AfD vielleicht kein Drittel der Stimmen hat, aber ein Drittel oder mehr der Sitze und die könnten Richterwahlen beispielsweise blockieren, das wäre für den Staat katastrophal", zeigte Nouripour auf.

Wer wolle, dass Klimaschutz, faire Löhne und gute Arbeit in den Parlamenten eine Stimme habe, müsse die Grünen wählen. "Das Ding ist, wer Grüne wählt, kriegt grüne Inhalte, wer CDU wählt, kriegt vielleicht am Ende AfD oder BSW", warnte er.

Merkel-Vakuum füllen

Über Robert Habeck als möglichen Kanzlerkandidaten hielt sich Nouripour bedeckt. Man werde darüber zum gegebenen Zeitpunkt sprechen, es sei aber absurd anzunehmen, man dürfe nur ab 30 Prozent in den Umfragen einen Kanzlerkandidaten aufstellen.

"Die Leute sehen, das Merkel-Vakuum ist weiterhin nicht gefüllt. Und brauchen dafür Alternativen. Und wir wollen welche liefern", kündigte er an. Es sei "noch alles drin". Man wolle in Zukunft eine "Politik des Imperativs" vermeiden, werde den Menschen aber auch nicht verschweigen, dass es Veränderung brauche.

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