Seit Wochen protestieren Landwirte teils gewaltsam in der EU unter anderem gegen Umweltauflagen und zu viel Bürokratie. Nun geht die EU-Kommission einen weiteren Schritt auf sie zu.
Angesichts der massiven Bauernproteste in vielen Mitgliedsländern schwächt die EU-Kommission die Umweltauflagen für die Landwirtschaft deutlich ab - teils rückwirkend bereits für dieses Jahr. So soll die Pflicht zur Flächenstilllegung ganz entfallen; bei kleinen Höfen unter zehn Hektar soll nicht mehr kontrolliert werden, ob sie die Umweltauflagen tatsächlich einhalten. Auch Vorschriften zum Fruchtwechsel sollen weniger strikt angewendet werden. Bundeslandwirtschaftsminister
"Die Brachlandpflicht entfällt ab diesem Jahr", schrieb Polens Regierungschef Donald Tusk am Freitag im Kurznachrichtendienst X. Das habe ihm EU-Kommissionspräsidentin
Schaffung eines "Anreizsystems" für den Artenschutz
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU sieht bislang vor, dass Landwirte vier Prozent ihrer Nutzflächen brach liegen lassen. Dadurch sollen Flächen für den Artenschutz geschaffen werden.
Die Kommission hatte die Regelung infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ausgesetzt, ursprünglich um die Lebensmittelversorgung abzusichern. Dies soll nun ab 2024 größtenteils in ein "Anreizsystem" umgewandelt werden: "Landwirte werden damit ermutigt, Flächen stillzulegen, aber ohne Einkommensverluste", erklärte die Kommission
Kleine Höfe unter zehn Hektar sollen nicht nur von Kontrollen, sondern auch von Strafen ausgenommen werden - dies werde "tatsächliche und sofortige" Folgen für diese Betriebe haben, betonte die Kommission. Der Anteil solch kleiner Höfe an den Empfängern der EU-Landwirtschaftssubventionen beträgt rund 65 Prozent - der Anteil der Fläche, die sie bewirtschaften, jedoch nur 9,6 Prozent.
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Der seit Anfang dieses Jahres vorgeschriebene Fruchtfolgenwechsel auf 35 Prozent der Ackerfläche soll durch eine "Abwechslung" der Feldfrüchte ersetzt werden. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski sagte AFP, dass die Mitgliedsländer die Regeln künftig "nach den regionalen Gegebenheiten" auslegen könnten. Die meisten Änderungen würden 2025 in Kraft treten, einige aber auch rückwirkend zum 1. Januar 2024. "Das heißt für die Bauern, dass sie nicht sanktioniert werden, wenn sie die Vorschriften noch nicht beachtet haben."
Seit Monaten kommt es in vielen EU-Ländern regelmäßig zu Demonstrationen von Landwirten, die sich unter anderem gegen die vielen EU-Vorschriften für die Landwirtschaft richten. Als Zugeständnis an die Bauern hatte die Kommission bereits angekündigt, dass die Brachlandpflicht durch eine Mindestvorgabe für den Anbau von Zwischenfrüchten ersetzt wird.
Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir mahnte Anpassungen der EU-Vorschläge an. Auch er wolle, dass Landwirtinnen und Landwirte von Bürokratie entlastet werden, erklärte der Grünen-Politiker. "Das sollte aber nicht bedeuten, dass Bürokratieabbau gleichgesetzt wird mit der Absenkung von Umweltambitionen."
Özdemir betont Relevanz des Artenschutzes für die Zukunft der Landwirtschaft
Der Kommissionsvorschlag enthalte "einige vernünftige Vorschläge, die unseren Betrieben zugutekommen - ein Teil der Vorschläge sollte aber überarbeitet werden". Özdemir verwies auf die Zunahme von Dürren, Bränden oder Überschwemmungen: "Artenvielfalt, Klima und unsere Umwelt sind bereits massiv unter Druck." Gesunde Böden und Artenschutz seien aber die Voraussetzung für eine zukunftsfeste Landwirtschaft.
"Der Weg, den die EU-Kommission einschlagen will, führt (...) an der Zielmarke vorbei", erklärte die agrarpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast. Die Vorschläge seien "komplett widersprüchlich" und ein Abbau von Umweltstandards nicht akzeptabel.
Auch Umweltschützer kritisierten die Pläne. "Statt sich für eine ökologische und soziale Agrarwende einzusetzen, beugt sich die EU-Kommission der Agrarindustrie", erklärte Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe. "Mit mehr pauschalen Direktzahlungen und ohne Geld für Brachen, Rückzugsräume und artenreiche Wiesen und Weiden steuert sie den Klima- und Artenschutz in der Landwirtschaft mit Vollgas vor die Wand."(afp/dpa/jst)
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