Verschiedene Bewegungen propagieren, dass Menschen auf Nachwuchs verzichten sollten, um das Klima zu schützen. Ein Ethik-Experte hält diese Argumentation jedoch für fragwürdig. Denn: Ein gesundes Klima, soll doch gerade den Menschen nützen, deren Geburt man so verhindern würde.

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Zuletzt wurde Anfang Oktober eine eindringliche Warnung an die Weltbevölkerung gesandt: Der Weltklimarat IPCC veröffentlichte eine Studie, laut derer die Erde sich schneller und mit schwereren Folgen erwärmt als bisher angenommen. Die Klimaexperten forderten einen zügigen Umbau der gesamten Weltwirtschaft, um den Klimawandel zu bremsen.

Auch die Umweltministerin Svenja Schulze mahnte daraufhin einen zügigen Abschied von Kohle, Öl und Gas an, denn "jede vermiedene Tonne CO2, jedes vermiedene Zehntelgrad Erderwärmung zählt".

Die andauernden Schreckensmeldungen über den verheerenden Zustand unseres Klimas führen aber nicht nur dazu, dass Politiker und Forscher ein Umdenken fordern. Zunehmend gibt es auch Privatpersonen, die einen Beitrag zum Aufhalten des Klimawandels leisten wollten.

Neben dem Verzicht auf Plastik, Fleischprodukte und Flugreisen gibt es verschiedene Bewegung, die davon ausgeht, dass man dem Klimawandel am besten begegnen könnte, indem man sich entscheidet, keine Kinder zu bekommen.

Die Logik dahinter: Solange unsere Gesellschaft ihren Energiebedarf mit fossilen Energiequellen abdeckt, bedeuten mehr Menschen einen höheren Kohlenstoff-Ausstoß.

Rund 60 Tonnen weniger Treibhausgase pro Jahr

Einige Vertreter dieser Strömung gehören der US-Organisation "Conceivable Future" an. In Internet-Videos erklären sie, warum sie sich gegen Nachwuchs und für das Klima entschieden haben. Sie erklären, dass es für sie unmöglich sei, Eltern zu werden, ohne zu überlegen, in welcher Welt ihre Kinder leben werden - einer Welt, die unter den Folgen des Klimawandels leidet.

Die Klimaforscher Seth Waynes von der Universität British Columbia und Kimberly Nicholas von der Universität Lund argumentieren in einem 2017 erschienen Artikel, dass Bildung und Regierungsempfehlung die effektivsten persönlichen Entscheidungen verfehlen würden, die dem Klimawandel Einhalt gebieten könnten.

Den Wissenschaftlern zufolge könnte die Entscheidung, in einem durchschnittlich entwickelten Land kein Kind zur Welt zu bringen, jährlich fast 60 Tonnen Kohlenstoffdioxidäquivalente (CO2e), also Treibhausgase wie etwa Kohlenstoff, Methan oder Lachgas, einsparen.

Zum Vergleich: Laut den Wissenschaftlern ist die zweieffektivste Methode, auf ein Auto zu verzichten. Sie spart aber nur rund zwei Tonnen CO2e pro Jahr.

Was bringt eine heile Natur ohne Menschheit?

Oliver Hallich, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Duisburg-Essen, ordnet die Forderung, für den Klimaschutz keine Kinder zu bekommen, dem Naturfundamentalismus zu. Weil die Annahme davon ausgeht, "dass die Natur nur um ihrer selbst willen schützenswert ist - unabhängig davon, ob sie die Lebensgrundlage für Menschen und Tiere bildet."

Diese Argumentation hält der Ethik-Experte für fragwürdig: "Warum sollte man auf die Hervorbringung derer verzichten, in deren Interesse wir die Natur schützen wollen?" Denn in letzter Konsequenz würde ein Kinderverzicht zum Klimaschutz darauf hinauslaufen, dass das es Klima und Natur am besten ginge, wenn es gar keine Menschen mehr gebe.

Hallich zweifelt auch daran, dass der Nutzen des Kinderverzichts so einfach zu quantifizieren sei: "Es ist ja völlig unklar, was für ein Leben der ungeborene Mensch führen wird: Ob er sich weitestgehend ökologisch neutral verhält und ein besonders guter Klimaretter oder ein Vielflieger wird."

Großes Opfer, kleiner Beitrag

In der Diskussion geht es letztlich auch um das sogenannte "contributor's dilemma": "Also die Frage, ob es sich lohnt, ein großes Opfer auf sich zu nehmen - in diesem Fall keine Kinder zu bekommen - um einen extrem kleinen Beitrag zur Erreichung eines kollektiven Ziels - dem Aufhalten des Klimawandels - zu leisten", sagt Hallich.

Denn in diesem Zusammenhang sei der individuelle Beitrag, den ein Mensch leisten könne sehr gering, während die Kosten sehr hoch seien. "Daher halte ich es für fragwürdig, auf eigene Kinder zu verzichten, um dem Klima zu helfen", erklärt Hallich.

Für ernstzunehmender befindet er eine andere Diskussion, die bis auf den deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer zurückgeht: "Die fundamentalethischen Argumente besagen, dass man auf Kinder verzichten sollte, um zukünftigen Menschen Leiden zu ersparen."

Diese Idee basiere auf dem Wissen, dass ein Mensch im Laufe seines Lebens zwangsläufig auch leiden werde. Denn: "Ein Kind gar nicht erst zu zeugen, erspart einer potentiellen Person Leiden, tut aber niemandem etwas Schlechtes an."

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Oliver Hallich, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Duisburg-Essen
  • BR: "Klimaforscher schlagen wegen Erderwärmung Alarm"
  • Frankfurter Rundschau: "Kinderlos das Klima retten?"
  • Weynes, Seth, Nicholas, Kimberly: "The climate mitigation gap: education and government recommendations miss the most effective individual actions"
  • IPCC: "Managing the risks of extreme events and disasters to advance climate change adaption"
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