Pleiten, Pech und Schulz - die SPD und ihr Kanzlerkandidat geben derzeit kein gutes Bild ab. Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer fällt ein vernichtendes Urteil, sieht aber gleichzeitig schon konkrete Ansätze für Verbesserungen.
Es war nur ein kleiner Fehler. Einer der täglich tausendfach vorkommt. In Mails, in Briefen, in Zeitungstexten. In einer Wahlanzeige aber sollte er nicht passieren - vor allem nicht, wenn es um Bildung geht.
Und doch stand neben dem Foto von Hannelore Kraft geschrieben: "7200 neue Lehrer seid 2010."
Nun wird das "seid" statt des richtigen "seit" nicht der Grund für die krachende Wahlniederlage in NRW gewesen sein, aber die peinliche Anekdote reiht sich ein in eine Abfolge von kleineren und größeren Pannen bei der SPD.
Schleswig-Holsteins abgewählter SPD-Ministerpräsident Torsten Albig breitete kurz vor der Wahl sein Privatleben in der "Bunten" aus, inklusive einiger unsympathischer Bemerkungen über seine Ex-Frau.
Hannelore Kraft versuchte es mit einem Wohlfühl-Wahlkampf und unterschätzte den Frust vieler Wähler über Einbrüche, Staus und Unterrichtsausfall. Und wo ist eigentlich Kanzlerkandidat
Der Mann, von dem noch immer niemand so recht weiß, wohin er das Land führen möchte, ließ sich ausgerechnet bei der Vorstellung des vorläufigen Wahlprogramms entschuldigen.
Er verlieh stattdessen den Gustav-Heinemann-Preis an den türkischen Journalisten Can Dündar.
Ein wichtiger Termin, aber zeitgleich gab die Führungsriege im Willy-Brandt-Haus ein unsouveränes Bild ab, blies den Termin erst ab, um das Programm dann doch noch zu präsentieren.
"Das war unprofessionell", sagt der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin im Gespräch mit diesem Portal.
Trotzdem hält er Schulz "noch nicht für verloren" - wenn der SPD-Chef die Probleme in seiner Partei in den Griff bekommt.
Erfahrener Wahlkämpfer kommt zur Hilfe
Die Schuld für die Entwicklungen der letzten Wochen sieht Neugebauer nicht bei Schulz allein. "Der Hype nach seiner Ernennung war ja ohnehin eher eine Inszenierung der Medien", sagt der Politikwissenschaftler.
Und auch wenn die Umfragewerte wieder sinken, einige positive Effekte bleiben, vor allem die Neu-Mitglieder, die sich der Partei angeschlossen haben. Und die Landtagswahlen hätten die Landesparteien verloren, nicht Schulz.
Was aber nicht heißt, dass der SPD-Chef keine Fehler gemacht hätte.
Vor einer Woche räumte der Kanzlerkandidat selbst in der "Zeit" ein, er hätte früher konkrete Inhalte liefern müssen und zu viel Rücksicht auf die Landtagswahlen genommen.
Politikwissenschaftler Gero Neugebauer hält vor allem die Kommunikation der SPD für völlig verfehlt. "Da fehlt es im Team an Erfahrung."
Namentlich Generalsekretärin Katharina Barley und Wahlkampfmanager Markus Engels seien viel zu unerfahren.
Deswegen hat sich Schulz Hilfe geholt - der erfahrene Matthias Machnig, strategischer Kopf hinter dem Schröder-Wahlsieg von 1998, wird Engels als Berater zur Seite stehen.
Ab sofort müsse Schulz auch klarmachen, wer auf welchen Gebieten für die Partei spricht, sagt Neugebauer.
"Wenn Gabriel Macron hofiert und über Europa spricht, ist das dann die Linie der Partei? Wenn Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ein Steuerkonzept vorlegt, wessen Ideen trägt er dann vor? Da kommt zu oft der Eindruck auf, dass es Schulz an Autorität fehlt."
Zu viele Programmpunkte noch unklar
Auch wenn die Kommunikation bislang alles andere als gut lief - viel zu kommunizieren gab es bislang außer Wahlniederlagen ohnehin nicht.
In seiner ersten Rede als Kanzlerkandidat hatte Schulz von einer "Unwucht bei der Gerechtigkeit" gesprochen, später versprach er die Korrektur einiger "Fehler" in der Agenda 2010.
Zurück zu den Grundwerten der SPD, zurück zu sozialer Gerechtigkeit, das war die Botschaft.
Mit den Details wie der verlängerten Zahlung von Arbeitslosengeld 1 ist er aber teils noch nicht recht durchgedrungen, teils hat er sie schlicht noch nicht präsentiert.
Zwei Drittel der Befragten sagten in einer Emnid-Umfrage, sie wüssten nicht, wofür Schulz stehe.
"Es ist so, als habe er etwas auf die Speisekarte geschrieben", sagt Gero Neugebauer, "und wenn die Bestellung kommt, sagt er: Wir haben die Zutaten gar nicht da."
Das gilt vor allem für die Renten- und Steuerpolitik, die im vorliegenden Entwurf für das Wahlprogramm noch ausgespart wurden.
"Wir wollen keine hohlen Versprechungen machen", erklärte Schulz die Lücken. Das Rentenkonzept soll in 14 Tagen vorliegen, die Ideen zur Steuerpolitik bis zum Parteitag Ende Juni.
"Da will die SPD sicher nicht denselben Fehler machen wie 2013 die Grünen", sagt Neugebauer.
Nicht so fatal wie die Grünen
Das Steuerkonzept der Grünen war damals gnadenlos verrissen worden, ein Grund für das enttäuschende Abschneiden bei der Wahl.
Eine Chance für Schulz liegt laut Gero Neugebauer auch darin, ein Feld zu beackern, das die Union nicht besetzt hat.
Die Europapolitik sei ein passendes Thema, zumal Schulz sich da deutlich von der Linie Angela Merkels unterscheiden könne.
Große Hoffnungen kann er Schulz allerdings nicht machen.
Er rechnet damit, dass die Wahl bei der Inneren Sicherheit und der Flüchtlingspolitik gewonnen wird, keine Themen, bei denen die SPD punkten kann.
"Insgesamt rückt das Parteiensystem nach rechts. Deswegen hechelt die SPD nur hinterher."
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