Das Bundesverfassungsgericht kassiert nach sechs Jahren das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in Deutschland ein. Es verstoße gegen das Grundgesetz und muss erweitert werden.

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Das im Jahr 2017 neu gestaltete Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen verstößt gegen das Grundgesetz. Das pauschale Verbot von Kinderehen sei damit nicht konform. Zwar dürfe der Gesetzgeber die Wirksamkeit von im Ausland geschlossenen Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig machen, erklärte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Doch müssten dann Regelungen über mögliche Folgen wie etwa Unterhaltsansprüche getroffen werden - der Gesetzgeber müsse nun nachbessern.

Im Ausland geschlossene Ehen mit Unter-16-Jährigen dürften zwar ohne Prüfung des Einzelfalls für nichtig erklärt werden, präzisierten die Karlsruher Richterinnen und Richter mit. Derzeit fehle aber eine Möglichkeit, die Ehe auch nach deutschem Recht wirksam weiterführen zu können, sobald beide volljährig sind. Außerdem müssen künftig Unterhaltsansprüche wie nach einer Scheidung vorgesehen werden. Die Vorschrift muss bis Mitte 2024 überarbeitet werden. Die Unterhaltsregelungen gelten ab sofort. (Az. 1 BvL 7/18)

Das Gesetz war eine Reaktion auf den Zustrom von Flüchtlingen

Die beanstandete Vorschrift sieht vor, dass eine ausländische Ehe automatisch unwirksam ist, wenn einer der Partner noch keine 16 Jahre alt war. Sie war Teil des "Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen", das die schwarz-rote Bundesregierung 2017 vor dem Hintergrund gestiegener Flüchtlingszahlen auf den Weg gebracht hatte. Zu der Zeit waren vermehrt sehr junge Verheiratete nach Deutschland gekommen. Der damalige Justizminister Heiko Maas von der SPD hatte daher Handlungsbedarf gesehen: "Kinder heiraten nicht, Kinder werden verheiratet", sagte er.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hätte die neue Vorschrift 2018 im Fall eines syrischen Paares anwenden müssen, hielt sie aber für verfassungsrechtlich problematisch. In einer solchen Situation sind Gerichte verpflichtet, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umfasst 80 Seiten

Nun liegt der 80-seitige Beschluss vor. Anders als die BGH-Kollegen haben die Verfassungsrichter keine grundsätzlichen Bedenken wegen der pauschalen Nichtigerklärung der Ehen. Der Schutz von Minderjährigen und die Ächtung von Kinderehen seien legitime Ziele. Und nur die automatische Unwirksamkeit schütze Betroffene unmittelbar vor den Rechtswirkungen, die eine Ehe normalerweise entfalten würde.

Die Richter halten es aber für einen unangemessenen Eingriff in die Eheschließungsfreiheit, dass Betroffene derzeit noch einmal neu heiraten müssen, wenn sie die Ehe als Erwachsene weiterführen wollen. Sie geben außerdem zu bedenken, dass der minderjährige Partner oft vom älteren wirtschaftlich abhängig ist. Der Verzicht auf jegliche Unterhaltsansprüche stelle daher eine besondere Belastung dar.

Der Bundesgerichtshof behandelte den Fall eines Mädchens aus Syrien

In dem BGH-Fall ging es um ein Mädchen, das 2015 in Syrien mit 14 Jahren vor einem Scharia-Gericht einen sieben Jahre älteren Mann geheiratet hatte. Wenig später flüchteten beide nach Deutschland. Hier wurde die Jugendliche von ihrem Mann getrennt und in einer Einrichtung für weibliche minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Zum Vormund wurde das Jugendamt bestellt. Dieses wollte vor Gericht durchsetzen, dass die Jugendliche ihren - einstigen - Ehemann nur noch einmal die Woche für drei Stunden unter Aufsicht treffen darf.

Das Karlsruher Verfahren zu den Kinderehen hatte einst für Diskussionen gesorgt, weil Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth 2017 noch Fraktionsvize der Union im Bundestag war. Harbarth, der Vorsitzender des zuständigen Ersten Senats ist, hatte selbst angegeben, "intensiv in die Vorbereitung und Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen eingebunden" gewesen zu sein. Seine Senatskolleginnen und -kollegen sahen trotzdem keinen Anlass, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Sie hatten 2019 entschieden, dass er das Verfahren mit bearbeiten kann. (dpa/afp/hau)

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