In der Türkei werden kritische Journalisten reihenweise ins Gefängnis gesteckt. In Polen und Ungarn gerät die Pressefreiheit mehr und mehr unter Druck. In Deutschland aber können auch investigative Reporter ungehindert arbeiten - sollte man meinen. Ermittlungen gegen den Journalisten Oliver Schröm wegen des Cum-Ex-Skandals und ein aktueller Gesetzentwurf lassen Zweifel aufkommen.

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Der Widerhall war groß, als 18 Medien in Europa im Oktober das epische Ausmaß des Cum-Ex-Skandals offengelegt hatten.

Satte 55 Milliarden Euro sollen Banker und finanzstarke Investoren den Staatskassen der europäischen Länder geraubt haben. Es ist der größte Steuerskandal aller Zeiten.

Jetzt ermittelt die Justiz - jedoch ausgerechnet gegen einen Journalisten, dem die Öffentlichkeit maßgeblich zu verdanken hat, dass sie von dem Skandal überhaupt erfahren konnte.

Die Recherchen zu der Veröffentlichung im Oktober fanden unter Federführung des deutschen Recherchenetzwerks "Correctiv" statt.

Dessen Chefredakteur Oliver Schröm steht nun im Visier der Hamburger Staatsanwaltschaft, wie diese der dpa bestätigt hat. Es gehe um den Verdacht auf Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen.

Die Journalisten von "Correctiv" laufen Sturm. Sie befürchten einen Angriff auf die Pressefreiheit, haben Angst, ihren Beruf nicht länger frei ausüben zu können, wie sie in einem offenen Brief an Justizministerin Katarina Barley und Finanzminister Olaf Scholz schreiben.

Unter dem Titel "Journalismus ist kein Verbrechen" heißt es dort: "Es ist erschreckend, dass deutsche Behörden sich von den Tätern instrumentalisieren lassen. Der Versuch, einen Journalisten und eine ganze Redaktion mundtot zu machen, ist ein Missbrauch des Strafrechts."

Oliver Schröm: "Das ist grotesk"

Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt Oliver Schröm: "Die Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft gehen auf die Anzeige der Schweizer Privatbank Sarasin zurück, die mitgeholfen hat, mit Cum-Ex-Geschäften die deutsche Staatskasse auszurauben. Und was macht die deutsche Justiz? Sie geht gegen einen Journalisten vor, der geholfen hat, den Betrug aufzudecken. Das ist doch grotesk."

Sarasin habe ihn 2014 angezeigt, nachdem er für den "Stern" einen Artikel über Cum-Ex-Geschäfte verfasst hatte. Der Vorwurf: Wirtschaftsspionage und Verrat von Geschäftsgeheimnissen.

"Auf Anraten meiner Anwälte habe ich dann zwei Jahre lang einen Bogen um die Schweiz gemacht, bis ich das Signal bekam, dass ich nichts mehr zu befürchten hätte", sagt Schröm.

Er habe die Sache als erledigt erachtet - bis ihm im Herbst ein Informant aus Deutschland berichtet habe, dass er von der Hamburger Staatsanwaltschaft vernommen worden sei.

Auf Nachfrage bei der Justiz hätten Schröms Anwälte dann auch von den Ermittlungen gegen den Journalisten selbst erfahren. Über ein Übernahmeersuchen der Schweiz sei der Fall in Deutschland gelandet.

Ein Routinevorgang - mit Risiken und Nebenwirkungen

Dass die deutsche Justiz der Sache jetzt nachgeht, ist aus Sicht des Berliner Strafverteidigers Benjamin Grunst erst einmal nichts Ungewöhnliches.

"Die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erlangen, die es möglich erscheinen lassen, dass eine Straftat begangen worden sein könnte", sagt er uns auf Nachfrage.

Alles nur Routine also? Oliver Schröm glaubt nicht daran.

Dass Personen oder Unternehmen strafrechtlich gegen unliebsame Journalisten vorgehen, wenn sie presserechtlich keine Chance sehen, sei nichts Neues, erklärt er.

Ihm sei klar, dass die Staatsanwälte dann nicht untätig bleiben könnten. "In meinem Fall aber wird nicht erst seit Kurzem und nicht nur nach Aktenlage ermittelt. Das Verfahren läuft seit März und die deutschen Behörden haben aus eigenem Antrieb jemanden vernommen."

Heribert Prantl - Top-Journalist der "Süddeutschen Zeitung" und studierter Jurist - teilt sowohl die Einschätzung von Strafverteidiger Grunst als auch die Sorge von Schröm und seinen Kollegen.

Die Ermittlungen hätten das Zeug, potenzielle Informanten einzuschüchtern. "Wenn Informanten befürchten müssen, dass sie auf diese Art und Weise aufgedeckt werden, dann werden sie keine heiklen Informationen mehr an Journalisten weitergeben, erklärte er im "Deutschlandfunk". Das wäre ein Schaden für die gesamte Gesellschaft, meint Prantl.

Neues Gesetz droht Informanten abzuschrecken

Sehr kritisch sehen Prantl, Schröm und viele andere Journalisten vor diesem Hintergrund das geplante Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (kurz: GeschGehG).

Trotz der von vielen Medienvertretern vorgetragenen Bedenken sei auch im überarbeiteten Entwurf der Informantenschutz nicht gewährleistet, sagt Schröm.

"Unternehmen haben demnach Anspruch auf die Information, wer ein Geschäftsgeheimnis verraten hat. Man kann uns Journalisten also dazu zwingen, unsere Informanten preiszugeben."

Strafverteidiger Grunst verweist auf Paragraf 5 des Gesetzentwurfs, wonach gestattet ist, ein Geschäftsgeheimnis zu veröffentlichen, wenn der Hinweisgeber die Absicht hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen.

Der Gesetzgeber habe den Bedarf, Whistleblower und Informanten von Journalisten zu schützen, also erkannt, sagt er.

Schröm reicht das aber nicht, weil die Formulierung nicht auf das Wesentliche abziele, die Relevanz der Enthüllung, sondern auf die persönliche Motivation des Informanten.

Was also, wenn die Motivation des Informanten nur darauf beruht, dem ungeliebten Chef eines auswischen zu wollen? Wird er dann bestraft, auch wenn die Enthüllung im Interesse der Öffentlichkeit ist?

"Das muss vor Gericht ausgefochten werden. Das kostet viel Zeit und Geld", kritisiert Schröm. Vor allem aber, betont er: "Die abschreckende Wirkung ist enorm."

Das GeschGehG dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie von 2016.

Der Eindruck, der deutsche Gesetzgeber werfe Journalisten gezielt Knüppel zwischen die Beine, rührt auch daher, dass diese Richtlinie im englischen Originaltext mitnichten auf die persönliche Motivation des Informanten abstellt, sondern in erster Linie auf die Bedeutung der Enthüllung für die Allgemeinheit.

Für das Europaparlament ist entscheidend, dass der Informant dem "Zweck" dient, öffentliches Interesse zu schützen. Aus welcher Motivation heraus er das tut, ist hier zunächst nicht relevant.

Sofern an der deutschen Gesetzesfassung nicht nachgebessert werde, hätten Journalisten in Deutschland "bald ein Riesenproblem", sagt Schröm.

Es ist offensichtlich, dass sich daraus auch ein "Riesenproblem" für die Gesellschaft ergäbe: Skandale aus sensiblen Bereichen wie Politik und Wirtschaft würden so häufiger im Verborgenen bleiben.

Verwendete Quellen:

  • Offener Brief von Correctiv: "Journalismus ist kein Verbrechen"
  • Gespräch mit Oliver Schröm
  • Gespräch mit Benjamin Grunst von der Kanzlei Buse-Herz-Grunst
  • "Deutschlandfunk": "Keine illegalen Geheimnisse schützen" vom 11. Dezember 2018
  • dpa
  • EU-Richtlinie 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen
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