US-Präsident Donald Trump treibt wie auch 2016 die Polarisierung der Gesellschaft voran. Durch rassistische und sexistische Attacken auf Demokraten zwingt er diese zu Gegenreaktionen. Springen Medien und politische Gegner über jedes Stöckchen, das Trump ihnen hinhält? Wir sprechen mit US-Experte und Politikwissenschaftler Michael Dreyer.

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Ein rassistischer Ausfall des US-Präsidenten reiht sich an den nächsten. Damit offenbart der Präsident: Er will die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft weiter vorantreiben und sich so nächstes Jahr die Stimmen des "weißen" Amerika sichern. Befeuern die US-Medien jetzt - wie es auch 2016 der Fall war - Trumps Strategie des Kulturkampfes und der Spaltung der Bevölkerung ?

Prof. Dr. Michael Dreyer: Ja, aber sie haben nicht wirklich eine andere Wahl. Sie müssen die Ausschreitungen Trumps aufgreifen. Natürlich passt es in seine Agenda, dass seine Aussagen kontrovers in die Öffentlichkeit kommen. Ob Trump an dieser Stelle taktisch agiert, weiß wohl nur er selbst.

Was sollen die Medien also machen? Wenn Trump über den schwarzen Kongressabgeordneten Elijah Cumming sagt, dass er der schlechteste Kongressabgeordnete aller Zeiten sei und sein Bezirk von Ratten und anderen Kriechtieren heimgesucht sei, dann können sie nicht einfach nichts dazu berichten. Es muss aufgegriffen werden - Kongressabgeordnete sind Mitglieder des in Artikel 1 genannten Parlaments der Vereinigten Staaten.

...die Medien müssen also über jedes Stöckchen springen, dass Trump ihnen hinhält?

Nein. "Über Stöckchen springen" impliziert, dass es sich um belanglose Kleinigkeiten handelt, die von den Medien aufgebauscht werden. Dem ist aber nicht so. Wenn der Präsident der USA Mitglieder des Kongresses in der Form angreift, in der das jetzt mehrfach passiert ist, dann ist das keine Kleinigkeit. Darüber muss die Bevölkerung informiert werden, allein um die Grenzüberschreitung deutlich zu machen.

Das führt natürlich zur weiteren Polarisierung und Spaltung der Bevölkerung – Trumps Ziel. Die Zahl der Amerikaner, die diese Art von Angriffen gutheißt, ist aber nicht besonders groß. Das ist auch der Grund, warum Trumps Zustimmungswerte die 40 Prozent-Marke niemals durchbrochen haben. Was er sagt kommt an - aber nur bei seiner Basis, nicht in der Mitte der Gesellschaft.

Und wieso nimmt seine Basis die rassistischen Tiraden so leicht hin?

In vielen Fällen haben seine Wähler schon lange ein Gefühl, welches bis in die Reagan-Ära zurückreicht. Sie haben sich beständig für konservative Republikaner engagiert – für sie gestimmt, Wahlkampf gemacht, Geld gespendet. Aber nichts ist wirklich passiert.

Trump ist der Erste, der seine Versprechen hält und liefert. Seine Aussagen stammen für sie aus der Rubrik "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen". Es sind meist Aussagen, die man eben nicht sagen darf und auch nicht denken sollte. Aber: Wenn der Präsident sie äußert, stellt es für viele eine Befreiung dar. Sie empfinden es als Erlaubnis, ähnliche Gedanken, die sie vielleicht jahrelang unterdrückt oder nicht öffentlich geäußert haben, nun herauszulassen.

Für sie gibt es einen Champion von ganz oben im Staate. Das ist neu. Auch vergangene republikanische Präsidenten haben mit Rassen- und Klassenfragen gespielt, aber meist nur mit Andeutungen und durch die Blume. Dass jemand so offen Rassismus zum Teil seiner Agenda erhebt ist eine völlig neue Angelegenheit.

Zurück zur Rolle der Medien: Ignorieren sie andere wichtige Wahlkampfthemen zu häufig ?

Das ist den amerikanischen Medien häufig zum Vorwurf gemacht worden. In diesem Jahr sehe ich aber wenig Belege dafür. Im beginnenden Wahlkampf wird von Seiten der Demokraten eine durchaus substantielle Kampagne geführt und diese Substanz wird auch berichtet. Die verschiedenen Reformvorschläge wie etwa von Warren, Harris, Biden sind Gegenstand der Berichterstattung.

Außerdem geht es um wichtige Wahlkampfthemen wie die ökonomische Ungleichheit und ungerechte Steuerpolitik, Trumps Versuch "Obamacare" weiter zurückzufahren und Millionen Amerikanern ihre Gesundheitsfürsorge zu nehmen, sowie um amerikanische Außenpolitik und Migrationsfragen.

Gäbe es eine bessere Art des Umgangs mit Trumps rassistischen und sexistischen Äußerungen?

Das ist schwierig, denn gerügt werden die Aussagen bereits. Die "Baltimore Sun", eine hochrespektierte Zeitung des Heimatstaates von Elijah Cumming, hat den Präsidenten schlichtweg eine Ratte genannt. Sie titelte: "Besser ein paar Ratten in der Nachbarschaft, als selbst eine zu sein", nachdem Trump die Stadt Baltimore als "widerliches Drecksloch" bezeichnet hatte.

Ich habe noch nie erlebt, dass eine seriöse Zeitung in diesem Tonfall über den Präsidenten berichtet. Auch die Analysen zu Trumps möglicher Strategie sind vorhanden. Wie weit man aber zu den Menschen damit durchdringt, ist eine andere Frage.

Wer sein ganzes Leben nur Fox News hört - den Kanal, der im TV den Cheerleader für den Präsidenten abgibt – den erreicht man auch mit hunderten hochanalytischen, Trump-kritischen Artikeln nicht. Es ist also nicht so, dass es diese Kritik und Analyse nicht gäbe. Für Jeden der sie lesen will, ist sie da – Viele wollen das aber eben nicht.

Wie steht es um die internationale Berichterstattung?

In den nicht-amerikanischen Medien war der Respekt für Trump niemals vorhanden. Inzwischen verlieren die Medien weltweit die Geduld mit ihm und benennen die Sachen, die Trump von sich gibt, klar beim Namen. Trump lässt eine Lüge nach der anderen los und der Zeitpunkt, dass in aller Deutlichkeit zu benennen, ist mittlerweile auch in dem Großteil der internationalen Medien gekommen. Die Medien haben kein Nachsehen mehr mit ihm.

Die Demokraten springen auf Trumps Äußerungen an. Ist es ein Fehler sich auf diesen Kulturkampf einzulassen oder ist es ein notwendiger Teil des amerikanischen Zwei-Parteien-Systems, dass die Abgrenzung zum politischen Gegner so deutlich sein muss?

Trumps Strategie ist, genau so eine Auseinandersetzung herbeizuführen. Zuletzt hatte er die vier demokratischen Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib, Ilhan Omar und Ayanna Pressley attackiert und aufgefordert, sie sollten dahin zurückgehen, wo sie hergekommen sind. Alle vier sind amerikanische Staatsbürgerinnen, drei davon in den USA geboren und zumindest die Vorfahren von Pressley sind vermutlich deutlich länger in den USA als jene von Trump.

Mit dieser Attacke hat Trump die Demokraten gezwungen, sie zu verteidigen. In der demokratischen Partei sind die vier Abgeordneten aber inhaltlich eigentlich völlig isoliert. Der Großteil der Demokraten ist inhaltlich nicht auf ihrer Linie.

Von Trump ist es daher äußerst geschickt, die radikalsten Elemente der Demokraten herauszugreifen, diese als typisch für die Gesamtpartei darzustellen und gleichzeitig die Partei-Oberen - die mit diesen Frauen ständig im Zwist liegen - zu zwingen, sie zu verteidigen. Inwiefern das jenseits seiner eigenen Basis Erfolg hat, wird man sehen.

...haben die Demokraten andere Optionen?

Sie könnten versuchen, den Präsidenten zu ignorieren, aber das ist keine erfolgsversprechende Strategie. Jede Wahl mit einem amtierenden Präsidenten ist ein Referendum über die ersten vier Jahre seiner Amtszeit. Wollen die Wähler vier weitere Jahre mit diesem Präsidenten oder nicht? Die Amtsführung des Präsidenten – Erfolge und Misserfolge – sind die Vorlage für den Wahlkampf.

Natürlich kann sich die Opposition dagegen positionieren, die Agenda wird aber durch den Präsidenten gesetzt. Er kann Sachen wirklich machen, die Opposition nur versprechen. Trumps Zustimmungswerte müssten angesichts der Rahmenbedingungen eigentlich höher sein. Die Wirtschaft brummt, es gibt Vollbeschäftigung, die Aktienkurse steigen.

Die Wiederwahl sollte für Trump unter normalen Bedingungen ein Spaziergang sein. Aber die normalen Bedingungen gibt es nicht, denn wir reden hier von Donald Trump. Er schafft es, selbst aus diesen geradezu idealen Rahmenbedingungen eine sehr schwierige Wiederwahl für ihn zu machen.

Kommt es im kommenden Wahlkampf deshalb nicht viel mehr auf den kleinen Prozentsatz der unentschlossenen Wähler an, die sich weder strikt dem oftmals elitär erscheinenden Moralismus der Demokraten noch der machtorientierten Technokratie der Republikaner verpflichtet fühlen?

Ja, genau darüber debattieren die Demokraten aktuell. Sie fragen sich: Woran soll man sich orientieren, was in den Mittelpunkt stellen? Es heißt puritanische Reinheit der Moral vs. electability – also wer kann überhaupt gegen Trump gewinnen.

Solange die demokratischen Primaries noch nicht begonnen haben, ist es kaum möglich darauf eine Antwort zu geben. Wenn sie begonnen haben, wird man sehen, ob die Demokraten sich hinter einem Pragmatiker mit guten Wahlchancen versammeln, oder hinter jemandem, der die Gefühle der Partei besser ausdrückt.

Es ist also die Frage, ob die linken Aktivisten über ihren Schatten springen und einen zentristischen Pragmatiker wählen, weil der in der Mitte der Gesellschaft besser ankommt, oder ob die Demokraten auf politischen Purismus setzen.

Stand jetzt: Wird Trump wiedergewählt?

Ich gehöre zu den gebrandmarkten Kindern, die damals gesagt haben, Trump würde niemals Präsident der USA. Daher bin ich nun sehr zurückhaltend. Es ist im Grunde noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Aber Trump hat die erste Voraussetzung erreicht: Er ist schon einmal zum Präsidenten gewählt worden. Die Wiederwahl ist immer leichter als die erste Wahl.

Er hat eine ganze Reihe an Erfolgen – ob verdient oder unverdient – zu verbuchen und hat seine Wahlversprechen – ob gute oder schlechte – gehalten. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Niederlage von Trump vorherbestimmt ist. Er hat eine gute Chance, wiedergewählt zu werden. Es wird einen sehr spannenden Wahlkampf geben.

Prof. Dr. Michael Dreyer lehrt Politikwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er hat in Kiel und Lexington, Kentucky, studiert und mehrere Jahre am Center for European Studies an der Harvard University verbracht. Als DAAD-Professor lehrte er an der Northwestern University in Evanston, Illinois. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Innenpolitik der USA; vor allem der Supreme Court, und die Weimarer Republik.
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