- Bei einer groß angelegten Razzia wurden 25 Reichsbürger festgenommen, die offenbar einen Umsturz in Deutschland geplant hatten.
- Terrorismusexperte Peter Neumann spricht von einer neuen Dimension.
- Er geht auch davon aus, dass es weitere ähnliche Netzwerke gibt.
3.000 Beamte waren am Mittwochmorgen in elf Bundesländern im Einsatz, um ein Netzwerk auszuheben, das den Behörden zufolge nichts Geringeres plante als einen gewaltsamen Umsturz der Bundesrepublik Deutschland. Der Terrorismusexperte Peter Neumann geht im Gespräch mit unserer Redaktion davon aus, dass die Gruppe tatsächlich das Ziel hatte, die Regierung zu stürzen. Er macht aber auch klar: "Ein Staatsstreich wäre nicht erfolgreich gewesen."
Die Reichsbürger seien Opfer ihrer eigenen Propaganda geworden: "Sie haben geglaubt, dass 100 Leute genug sind, um in Deutschland einen Staatsstreich durchzuführen. Das ist natürlich eine Wahnvorstellung." Das Netzwerk wäre aber durchaus in der Lage gewesen, terroristische Aktionen gegen den Staat durchzuführen: "Dabei wären wahrscheinlich auch Menschen gestorben."
Corona-Proteste wurden zur Rekrutierung genutzt
Die Gefahr war also real und sie ist noch nicht gebannt. "Ich bin mir sicher, dass das nicht das einzige Netzwerk dieser Art ist", sagt Neumann. Die Reichsbürgerszene habe die Mobilisierung während der Corona-Proteste ausgenutzt, um neue Allianzen zu schmieden. In dieser Zeit konnten die Köpfe des Umsturzes ihre Ideologie weiterverbreiten und ihr Netzwerk erweitern.
"Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung", ließ die Bundesanwaltschaft heute verlauten. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten "Deep State" regiert werde, hieß es in einer Mitteilung. Ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika, stehe dieser Überzeugung nach kurz bevor.
Neumann fordert, dass für diese neue Bedrohung eine eigene Kategorie geschaffen wird: "Es handelt sich hier nicht um klassischen Neonazi-Rechtsextremismus, sondern um eine neue Verschwörungsideologie."
Zu dem aufgedeckten Netzwerk gehören neben Reichsbürgern auch Querdenker, ehemalige Soldaten und sogar eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD. Das sei für Neumann eine "breitere Aufstellung, als wir das jemals gesehen haben".
Die Rekrutierung der Szene in Kreisen von Polizei und Armee hält Neumann für "ganz besonders besorgniserregend". Das Netzwerk wollte laut Bundesanwaltschaft vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmaßliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben. Im Herbst hätten dann Beschuldigte in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung gewinnen wollen. Angehörige des "militärischen Arms" hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, "um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren".
Die Ermittlungen richten sich aktuell auch gegen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr.
Neumann fordert konsequenteres Durchgreifen bei verdächtigen Beamten
Vor diesem Hintergrund fordert Neumann ein konsequenteres Vorgehen gegen potenzielle Gefährder in Militär und Polizei. Das Beamtenrecht setze aktuell noch zu hohe Hürden, die verhinderten, dass Gefährder aus dem Dienst entfernt werden. Demnach reiche es aktuell nicht aus, wenn sich Beamte positiv über einen Umsturz äußern, um sie aus dem Verkehr zu ziehen.
Im Zehn-Punkte-Plan des Innenministeriums, der dieses Frühjahr vorgestellt wurde, ist das Ziel angegeben, "Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen". Aktuell fehlen aber noch konkrete Maßnahmen. Neumann fordert: "Hier muss das Beamtenrecht verschärft werden, damit man diese Leute entfernen kann."
Den Einsatz der Sicherheitsbeamten bei der Razzia wertet Neumann dagegen als Erfolg. Da ist er sich mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) einig, die sagte: "Unser Rechtsstaat ist stark. Wir wissen uns mit aller Härte gegen die Feinde der Demokratie zu wehren."
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