Philipp Franke hat den Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise aus nächster Nähe erlebt: Als Bundespolizist arbeitete er an der deutsch-österreichischen Grenze. Eine prägende Erfahrung.
Dreizehn Tage zu Hause im beschaulichen Kürten in Nordrhein-Westfalen, neun Tage in Ostbayern, wo täglich Hunderte Flüchtlinge über die Grenze strömten. So sah das Leben des Bundespolizisten Philipp Franke (heute 33) zwischen September 2015 und März 2016 aus. Die mobile Kontrollüberwachungseinheit, der Franke angehört, wurde an die deutsch-österreichische Grenze beordert.
In dreizehn Jahren Polizeidienst hatte Franke schon einiges erlebt. Doch dieser Einsatz war anders. Franke war nicht darauf vorbereitet. Die Strukturen fehlten. Täglich wurde er mit den Schicksalen der Geflüchteten konfrontiert, mit Menschen, die nach wochen- und monatelanger Flucht in erbärmlichem Zustand vor ihm standen.
Viele Erlebnisse aus dieser Zeit wird er nie vergessen.
Der traurigste Moment
Eine Erstaufnahmeeinrichtung in Passau. Die Flüchtlinge werden registriert und verpflegt, unter anderem mit Fischkonserven. Ein Mann aus Syrien öffnet die Dose - und schneidet sich mit dem scharfen Deckel die Pulsadern auf. "Gott sei Dank verkehrt herum", erzählt Franke. Der Mann überlebt.
Dieses Erlebnis sagt Franke, habe ihm gezeigt, wie verzweifelt mancher Flüchtlinge ist. "Man will helfen, denkt an nichts Böses - und dann so etwas."
Der schönste Moment
Am schönsten sei es gewesen, "in die strahlenden Augen von Kindern zu sehen, die realisierten, dass sie es ans Ziel ihrer Flucht geschafft haben". Außerdem erinnert er sich gerne an folgendes Erlebnis:
Registrierung an der deutsch-österreichischen Grenze. In der Schlange der wartenden Flüchtlinge steht eine Frau mit einem kleinen Hund. Als sie an der Reihe ist, zückt sie stolz eine Art Pass - ein Dokument, das belegt, dass der vierbeinige Begleiter wie sie aus Syrien stammt und sie auf der gesamten Flucht begleitet hat. Vorerst muss das Tier trotzdem in Quarantäne. Doch wenig später werden die beiden wieder zusammengeführt.
Der schwierigste Moment
Am Bahnhof. Ein Zug soll registrierte Flüchtlinge von Ostbayern nach Niedersachsen bringen. Alle wollen weiter, drängen in den Zug nach Norden. Nur ein Mann nicht. Er wirkt verloren. Franke und seine Kollegen sprechen ihn an, fragen, warum er nicht einsteigen will.
Der Mann, der aus Afghanistan stammt, erklärt den Beamten, dass er nicht auf der Flucht, sondern nach Deutschland gekommen sei, um seinen Bruder aus dem Gefängnis zu holen. Er zieht ein Sammelsurium an Blättern hervor.
Franke sieht sich die Dokumente an, telefoniert mit dem zuständigen Amt, und muss feststellen: Die Sache mit dem Gefängnis ist ein Übersetzungsfehler. Tatsächlich ist der Bruder des Afghanen tot. "Ihm das klar zu machen, war hart. Er hat zwei Stunden bitterlich geweint", erzählt Franke.
Letztendlich unterstützen die Polizisten den Afghanen bei der Heimreise. Anders als viele seiner Landsleute, hat er keinerlei Interesse daran, in Deutschland zu bleiben.
Der gefährlichste Moment
Durchsuchungen haben Franke mehr als einmal gezeigt, dass manche Flüchtlinge Messer oder als Taschenlampen getarnte Elektroschocker bei sich tragen. "Unsicher", sagt er, "habe ich mich trotzdem nie gefühlt". Schließlich kämen die Menschen nach Deutschland, weil sie sich etwas erhofften, nicht, um Deutschen etwas anzutun.
Warum dann Messer und Elektroschocker? "Vermutlich, weil die Polizei mit ihnen nicht in allen Ländern so zimperlich umgegangen ist, wie in Deutschland."
Der lustigste Moment
"Es gab nicht sehr viele lustige Momente", sagt Franke. An einen aber erinnert er sich, und das sehr gerne:
Im Erstaufnahme-Camp des Technischen Hilfswerks hinter der deutsch-österreichischen Grenze treffen Franke und seine Kollegen einen jugendlichen Flüchtling, der ein T-Shirt mit der Aufschrift "Leider geil" trägt. Die Polizisten müssen lachen. Der Jugendliche versteht nicht warum. "Er hatte das Oberteil wohl in einer Kleiderkammer in Österreich bekommen und keine Ahnung, was der Text bedeutet."
Mit Händen und Füßen erklären sie es ihm. Da müssen dann auch die Umstehenden lachen, und der Jugendliche ruft laut: "leider geil". "Der Kerl war damit natürlich der Hero der Gruppe", sagt Franke.
Bereits während der sechs Monate, in denen sie an der deutsch-österreichischen Grenze Dienst taten, kam Philipp Franke und seinen Kollegen Dirk Conrads und Marcel Hodenius die Idee, ihre Erlebnisse in einem Buch festzuhalten. Gesagt, getan. "Mittendrin - Drei Polizisten berichten aus der Flüchtlingskrise" ist im Selbstverlag erschienen und als E-Book oder Taschenbuch erhältlich.
"Beim Schreiben habe ich den Einsatz aufgearbeitet", sagt Franke - einen Einsatz, den er in vielerlei Hinsicht "beeindruckend" nennt.
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