Frankreichs Bildungsminister Gabriel Attal plant das Tragen von muslimischen Überbekleidungen in Schulen zu verbieten. Ein Modell auch für Deutschland? Ein Experte sieht solch ein Verbot kritisch.

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114 Seiten lang ist die Verbotsliste, die regelt, welche Kleidung an französischen Schulen erlaubt ist und welche nicht. Seit dem 4. September 2023 gehört ein weiteres Kleidungsstück dazu, dessen Verbot der französische Bildungsminister Gabriel Attal per Dekret durchgesetzt hat: Das Abaja, ein meist knöchellanges Gewand, das in den Augen der Regierung ein Zeichen muslimischer Religionszugehörigkeit ist. Das Ziel hinter dem Verbot: "Niemand sollte in der Lage sein, in einer Schulklasse die Religion der Anwesenden zu erkennen."

Der Laizismus, die Trennung von Staat und Kirche, ist tief verwurzelt in Frankreich – auch und insbesondere an Schulen. Seit 2018 führt die Regierung ein Register, in das jede Schuldirektorin die Fälle eintragen soll, in denen keine "neutrale Kleidung in der Klasse" getragen wurde. Ungefähr 5.000 Meldungen sind im vergangenen Schuljahr eingegangen, rund doppelt so viele wie im Jahr davor.

Die Zahlen steigen, in Relation zu zwölf Millionen Schülerinnen und Schülern an weiterführenden Schulen in Frankreich ist die Zahl aber nach wie vor kaum von Gewicht. Handelt es sich also um eine zielgerichtete Maßnahme oder vielmehr Symbolpolitik?

Kritik an Attals Vorhaben

Attals Maßnahmen stoßen in Frankreich auf Kritik. Marie-Laure Tirelle von der französischen Lehrergewerkschaft Se-unsa erklärt gegenüber "Zeit Online": "Die Regierung verabreicht ein Pflaster für eine große Wunde. Sie wird an anderer Stelle wieder aufbrechen."

Sie berät Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit dem Neutralitätsgebot an Schulen. Die Gewerkschafterin kritisiert, dass die Verordnung erneut die Scheinwerfer auf absolute Ausnahmen richte. "Es gibt nur wenige Schulen, an denen Abajas von nennenswert vielen Mädchen getragen werden", so Tirelle.

Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi sieht Verbot kritisch

Auch Abdel-Hakim Ourghi sieht ein Verbot kritisch. Er ist Islamwissenschaftler und leitet den Fachbereich Islamische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er: "Solche Verbote bewirken nichts. Sie lösen eher eine Gegenreaktion aus und sorgen dafür, dass die Menschen sich zurückziehen aus dem öffentlichen Leben." Entsprechende Maßnahmen würden letztlich nur radikalen Ideologen in die Hände spielen.

Stattdessen sollte in den Dialog getreten werden, so Ourghi: "Eine Lösung wäre eine Aufklärung anhand der Vernunft." Die Abaja ist dem Religionspädagogen zufolge ein Produkt der männlichen Herrschaft und sollte auch so wahrgenommen werden. Es werde versucht, Körper und Geist der Frauen und Mädchen zu kontrollieren und zu beherrschen. Das Gewand sei daher viel mehr Zeichen von kulturellen Vorstellungen als ein religiöses Symbol, so Ourghi.

Wäre ein vergleichbares Verbot auch in Deutschland denkbar?

Auch in Deutschland gibt es ein Verbot von religiösen Symbolen an Schulen in Form des Neutralitätsgesetzes. Es untersagt Lehrkräften und anderen Pädagogen an öffentlichen Schulen das Tragen religiöser Symbole im Dienst. Das kann ein Kopftuch sein, aber auch ein Kreuz oder eine Kippa.

Allerdings gilt dieses Gesetz nur in Berlin und wurde dort auch zuletzt vor Gericht als grundgesetzwidrig erklärt. In allen anderen deutschen Bundesländern gibt es kein Verbot mit Kopftuch zu unterrichten.

Genauso wenig ist es verboten als Schülerin ein Kopftuch zu tragen – auch wenn es immer wieder Debatten um ein Kopftuchverbot an deutschen Schulen gibt. Ein Abaja-Verbot ist laut Islamwissenschaftler Ourghi hier nicht möglich: "Die Religionsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Das ist hier anders als in Frankreich, wo eine absolute Laizität herrscht."

Kopftucherlaubnis an Berliner Schulen

In Berlin war das Tragen von Kopftüchern als einziges Bundesland seit 2005 verboten. Auch dort dürfen Lehrerinnen seit dem gerade begonnenen Schuljahr Kopftuch oder auch Schleier tragen, solange der Schulfrieden gewahrt bleibt. Dabei handelt es sich nicht um eine gezielte Maßnahme, sondern stellt vielmehr eine Niederlage des Landes Berlin vor Gericht dar: Anfang des Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht eine Berliner Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Daher hat ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2020 Bestand, wonach Berlin muslimischen Lehrerinnen nicht pauschal verbieten darf, ein Kopftuch zu tragen.

Die Bildungsverwaltung schätzt die Schwelle für ein Kopftuch-Verbot wegen konkreter Störung oder Gefährdung des Schulfriedens als "hoch" ein und empfiehlt in ihrem Brief an die Schulen Möglichkeiten, wie sie die Angelegenheit im Alltag handhaben sollen.

Problematisch sei das Tragen des Kopftuchs oder anderer religiöser Symbole nur dann, "wenn missionarischer Eifer oder Beeinflussung der Schülerinnen und Schüler hinzukommen". Hier scheint das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen: Die ehemalige Berliner Senatorin Bettina Jarasch hatte erklärt, bei einer Niederlage vor Gericht das Neutralitätsgesetz anzupassen.

Zur Person:
Abdel-Hakim Ourghi ist ein deutsch-algerischer Islamwissenschaftler, Philosoph und Religionspädagoge. Seit 2011 leitet er den Fachbereich Islamische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Abdel-Hakim Ourghi
  • zeit.de: Eine 114 Seiten lange Verbotsliste
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