Im Grundgesetz steht das Recht auf Asyl. Friedrich Merz, Bewerber um den CDU-Parteivorsitz, denkt laut über eine Änderung nach und geht dabei ins Detail. Aber stimmen seine Äußerungen überhaupt?

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Das Grundrecht auf Asyl stelle er "selbstverständlich nicht in Frage", sagt Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz.

"Für mich steht aber fest, dass wir die Themen Einwanderung, Migration und Asyl nur in einem europäischen Kontext lösen können", sagt er am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur - nachdem er mit Äußerungen vom Vorabend heftige Empörung ausgelöst hat.

Ein Faktencheck:

Analyse Beispiel eins

BEHAUPTUNG

Merz sagt: "Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in seiner Verfassung stehen hat." Stimmt das?

BEWERTUNG

Das ist eine steile These. Es gibt viele Länder, die ein Recht auf Asyl in der Verfassung verankert haben. Außerdem räumt das in allen EU-Mitgliedstaaten geltende Europarecht abgelehnten Asylbewerbern das Recht zur individuellen Klage ein.

FAKTEN

Das Recht auf Asyl steht unter anderem in Frankreich in der Verfassung. Dem Rechtswissenschaftler Steve Meili von der Universität im US-amerikanischen Minnesota zufolge ist das allein innerhalb der Europäischen Union in insgesamt zwölf Staaten der Fall.

Mit Individualrecht ist gemeint, "dass jeder, der Asyl beantragt hat, gegen eine ablehnende Entscheidung klagen kann", sagt der Europarechtler Thomas Groß von der Universität Osnabrück. Das ist aber ohnehin europarechtlich garantiert. "Es gibt in allen EU-Staaten mindestens eine gerichtliche Instanz, die Klagen prüft."

Analyse Beispiel zwei

BEHAUPTUNG

Merz sagt auch: "Dieses Individualgrundrecht auf Asyl richtet sich an alle Menschen auf der Welt, die nach Deutschland kommen wollen und einen Asylgrund vortragen."

BEWERTUNG

Diese Behauptung ist irreführend.

FAKTEN

Asylanträge kann man nicht irgendwo auf der Welt stellen, man muss es erst einmal nach Deutschland schaffen.

Es gibt sogar ganz explizit Länder, deren Bürger kein Asyl beantragen können. Das sind alle EU-Staaten sowie Norwegen und die Schweiz, weil diese Länder die Genfer Flüchtlingskonvention umsetzen ("sichere Drittstaaten").

"Asyl" im von Merz gebrauchten Sinne, also als politisch Verfolgter, bekommt in Deutschland fast niemand. Von Januar bis Oktober waren es gerade einmal 3,8 Prozent der insgesamt 63.413 Menschen, die hierzulande Schutz erhielten.

Knapp die Hälfte wurde stattdessen nach der Genfer Konvention anerkannt, was ihnen die gleichen Rechte verleiht, aber auch nichtstaatliche Verfolgung umfasst.

Analyse Beispiel drei

BEHAUPTUNG

Merz fragt rhetorisch: "Wenn wir denn eine Lösung in Europa wollen, müssten wir dann nicht auch einen Gesetzesvorbehalt in das Grundgesetz hineinschreiben - das erfordert Zwei-Drittel-Mehrheiten im Deutschen Bundestag und im Bundesrat -, dass dieses Grundrecht auf Asyl auch unter dem Vorbehalt europäischer, gemeinsamer Regelungen steht?"

BEWERTUNG

Es ist nicht ganz klar, was Merz hier meint. Die europäischen Regelungen gibt es ja schon. Sie funktionieren allerdings als Mindeststandards. Außerdem wird seit längerem über eine Reform verhandelt.

Merz könnte meinen, dass sichergestellt werden sollte, dass die deutschen Regelungen nicht darüber hinaus gehen sollten.

FAKTEN

Nach Einschätzung von Rechtsexperten sind die deutschen Asylregeln nicht besonders großzügig. "Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl in Deutschland sind keinesfalls großzügiger als im Europarecht.

Die europäischen Regelungen zählen zum Teil auch Asylgründe auf, die sich im deutschen Recht nicht wiederfinden, etwa geschlechtsspezifische Verfolgung", sagt der Europarechtler Groß. "Es gibt einige EU-Länder, die bei der Unterbringung oder Versorgung erheblich weniger tun als Deutschland oder auch gar nichts – das hat aber mit der Entscheidung über den Asylantrag nichts zu tun."

Selbst wenn man den Satz "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" aus dem Grundgesetz streichen würde, hätte das nach Einschätzung von Rechtsexperten für Asylbewerber keine Auswirkungen. "Für die Betroffenen macht es keinen Unterschied, ob ein Individualrecht auf Asyl im Grundgesetz verankert ist oder nicht", sagt Constantin Hruschka vom Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik unter Verweis auf die europäischen Reglungen.

Der Fachanwalt Matthias Lehnert bekräftigt: "Die Verankerung des Individualrechts auf Asyl hat keine praktische Relevanz." Und der Europarechtler Groß sagt dazu: "Es würde kein einziger Asylantrag im Ergebnis anders entschieden werden."

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Teaserbild: © Silas Stein/dpa