Der Staat muss den Gürtel noch einmal enger schnallen. Wegen der Corona-Krise bleibt das Geld knapp. Der Finanzminister erwartet eine kräftige Corona-Delle - und lässt bei der Präsentation der Steuerschätzung ab und an den Kanzlerkandidaten durchblitzen.
Am Ende bringt der Finanzminister in seiner Rede zur Steuerschätzung plötzlich Weltpolitik unter. Die Situation der Flüchtlinge im brennenden Moria, eine Forderung nach großer europäischer Solidarität. Das kommt etwas plötzlich und zeigt:
Dabei haben Wirtschafts- und Finanzwelt auf genau diese Zahlen lange gewartet. Die außerordentliche Steuerschätzung ist der erste richtige Kassensturz seit der Corona-Krise. Im Mai, bei der vergangenen Schätzung, waren die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft und Staatsfinanzen noch lange nicht absehbar.
Steuereinnahmen sinken um fast 20 Milliarden
Jetzt ist klar - und Scholz sagt das auch so: "Wir brauchen einen langen Atem". Erst 2022, prognostizieren die Schätzer, werden die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen wieder auf Vorkrisenniveau liegen. Im kommenden Jahr dagegen muss der Staat den Gürtel nochmal enger schnallen, als man bereits im Mai dachte. Es kommen noch einmal 19,6 Milliarden Euro weniger in die Kasse als geplant.
Scholz: "Es spricht vieles dafür, dass wir das Schlimmste hinter uns haben"
Scholz schaut trotzdem zufrieden: Die Zahlen seien viel besser, als alle in den vergangenen Monaten befürchtet hätten, meint er. Wirtschaftlich gehe es bereits wieder aufwärts. "Es spricht vieles dafür, dass wir das Schlimmste hinter uns haben."
Tatsächlich halten die Steuerschätzer für das laufende Jahr ihre Prognose vom Mai mehr oder weniger ein - und das, obwohl damals weder die 20 Milliarden teure vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer berücksichtigt war noch der 4 Milliarden Euro teure Kinderbonus. Das heißt, andere Steuern brechen längst nicht so stark ein wie befürchtet.
Problem ist weniger der Konsum in Deutschland als die Weltwirtschaft
Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat seine Konjunkturerwartungen für 2020 zuletzt leicht angehoben - im gleichen Atemzug aber die für das kommende Jahr gesenkt. Das Problem ist weniger der Konsum in Deutschland als die Weltwirtschaft, die wegen der hohen Infektionszahlen etwa in den USA weiter am Boden liegt. Die stark exportorientierten deutschen Unternehmen kommen deshalb nur zögerlich auf die Beine.
Zu Beginn der Krise hatten Wirtschaftswissenschaftler und Bundesregierung eine Entwicklung in V-Form vorhergesagt: Ein rasanter Absturz mit einem folgenden, ebenso rasanten Anstieg. Nun deutet sich an, dass der Absturz zwar rasant kam, die Erholung aber etwas länger dauern könnte.
Doch was heißt das für den Bundeshaushalt für 2021, den Scholz am 23. September dem Kabinett vorlegen will? Von der schwarzen Null hat sich der Finanzminister erst einmal verabschiedet. Schon jetzt sagt er, dass erneut die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse im Grundgesetz gezogen werden soll. Das ist nur in Notsituationen erlaubt.
Kann Scholz erneute Schulden überhaupt rechtfertigen?
In diesem Jahr hat der Bundestag diese Karte bereits zweimal gezogen und Kredite in Höhe von fast 218 Milliarden Euro ermöglicht. Doch kann Scholz erneute Schulden überhaupt rechtfertigen - wenn er doch zugleich Milliarden-Rücklagen des Bundes nicht antastet? Im Haushalt gibt es sozusagen Sparbüchsen: Allein die sogenannte Asyl-Rücklage, eingeführt während der Flüchtlingskrise, umfasst 48 Milliarden Euro. Weitere Milliarden an Hilfen für Unternehmen wurden trotz Corona-Krise nicht abgerufen. Außerdem gehen die Zinsen, die der Bund für seine bisherigen Schulden zahlt, immer weiter nach unten.
Scholz argumentiert, einer Krise dürfe man nicht hinterhersparen. Außerdem machen die geltenden Negativzinsen das Schuldenmachen so profitabel wie nie.
Neue Einnahmequelle aus erhöhten Steuern für Besserverdienende?
Offen scheint der Vizekanzler auch für neue Einnahmequellen. Nach Steuererhöhungen gefragt, deutet er sanft an, er sei überzeugt von einem "fairen und leistungsgerechten Steuersystem". Das klingt harmlos, mit ähnlichen Worten aber hat der Kanzlerkandidat vor kurzem angekündigt, im Fall eines Siegs bei der Bundestagswahl die Steuerlast für Besserverdienende erhöhen zu wollen.
Die Wirtschaft dagegen warnt energisch vor Steuererhöhungen. "Es wäre sehr kurz gesprungen, damit in den kommenden Jahren Löcher in den öffentlichen Kassen stopfen zu wollen", mahnte DIHK-Chef Eric Schweitzer. Aufwärts gehe es nur, wenn die Unternehmen investieren könnten - und nicht, wenn sie zur Kasse gebeten würden.
Ab 2022 will Scholz die Schuldenbremse dann wieder gelten lassen. Doch im gleichen Atemzug mahnt er bereits: "Trotzdem, selbst wenn die Krise dann überwunden ist, werden es keine gewöhnlichen Zeiten." Der Wohlstands-, Einkommens- und Wachstumsverlust könne niemals in der Geschichte ungeschehen gemacht werden. Viele Bürger werden die Corona-Krise noch jahrelang spüren, auch wenn sie längst nicht mehr um ihre Gesundheit fürchten müssen. Und auch im Steueraufkommen, sagt Scholz, werde eine Wachstumsdelle für immer an die Pandemie erinnern. (Theresa Münch/dpa/ash)
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