Die Grünen stoßen gerade in Ostdeutschland auf starken Widerspruch. Parteichefin Ricarda Lang will auf ihrer Sommertour dagegen vorgehen: Beim Besuch in der Lausitz spricht sie über Wohlstand und Sicherheit – und muss sich anhören, dass die Bundesregierung den Wandel aus Sicht des Braunkohleunternehmens LEAG noch viel zu langsam angeht.

Eine Analyse
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Die angehenden Industriemechaniker haben ihren ersten Arbeitstag – und schon wird im Klassenraum ihre Zukunft verhandelt. Betriebsräte und Personalvorstand sind ins Ausbildungszentrum des Braunkohleunternehmens LEAG gekommen, dazu zwei Handvoll Journalisten und eine Politikerin: die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. Sie stehen um die elf Auszubildenden herum und diskutieren: Was muss passieren, damit diese jungen Menschen ihren Beruf auch in 20 Jahren noch ausüben können? Oder in 30?

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Die LEAG ist der zweitgrößte Energieversorger Deutschlands: Betreiber von vier Braunkohletagebauten und vier Kohlekraftwerken in Brandenburg und Sachsen, Arbeitgeber für rund 7.200 Beschäftigte. Grünen-Chefin Lang hat sich das Unternehmen und den Industriepark Schwarze Pumpe für den Start ihrer Sommertour ausgesucht. Dabei ist die Lausitz alles andere als klassisches Grünen-Gebiet. Vor allem in den ostdeutschen Ländern schlägt der Partei Ablehnung, manchmal auch blanker Hass entgegen.

Kohleausstieg? Ja, aber...

Davon ist an diesem Tag allerdings wenig zu spüren. Lang wird etwas skeptisch, aber höflich empfangen. Der Kohleausstieg bis 2038 sei akzeptiert, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Toralf Smith. Stellenweise klingt es fast, als könnten die Grünen und der Braunkohlekonzern Verbündete sein: Die LEAG pocht zum Beispiel auf niedrigere Stromkosten, damit die Industrie nicht die Flucht ins Ausland antritt – und auch die Grünen möchten einen subventionierten Industriestrompreis einführen.

Die LEAG plant und baut außerdem längst für die Zeit nach der Braunkohle. Man werde erneuerbare Energien "in Hülle und Fülle" haben, sagt der Vorstandsvorsitzende Thorsten Kramer. Die Lausitz könne zum "Green Valley" werden. Vier wasserstofffähige Gaskraftwerke will das Unternehmen an jedem der bisherigen Kohlekraftwerke bauen, zudem mehr Speichermöglichkeiten schaffen, damit Energie auch bei Flaute und in der Nacht vorhanden ist. Das klingt nach Zukunftsplänen, die die Grünen sofort unterschreiben würden.

Was kommt nach der Kohle? LEAG drückt aufs Tempo

Allerdings liegt das Problem aus Sicht der LEAG woanders. "Wir sind nicht so sehr am Aussteigen, sondern am Einsteigen interessiert", sagt Toralf Smith zu Ricarda Lang. "Und wir bitten Sie herzlich, Ihren Beitrag zu leisten." Das soll heißen: Die Politik muss die nötigen Weichen stellen, damit die LEAG ihren Weg in die Zukunft gehen kann. Der Kohlekonzern scheint in seiner grünen Zukunftsplanung aber schon weiter zu sein als die selbsternannte Fortschrittskoalition.

"Größer könnte die Verunsicherung nicht sein."

Toralf Smith, Gesamtbetriebsratsvorsitzender LEAG

Zum Beispiel die Ausschreibungen für die vier Gaskraftwerke: Die habe das von Robert Habeck geführte Bundeswirtschaftsministerium noch nicht auf den Weg gebracht, kritisiert Smith. In der Lausitz erwartet man Investitionen und Entscheidungen. Mit beidem tut sich die notorisch zerstrittene Ampelkoalition schwer. Welchen energiepolitischen Weg die Bundesregierung einschlagen will, sei ihm nicht klar, sagt Smith. "Größer könnte die Verunsicherung nicht sein."

Die Menschen wollen bleiben – und nicht des Jobs wegen wegziehen

Denn für die LEAG drängt die Zeit. Schon im Laufe dieses Jahrzehnts soll die erste Hälfte der Braunkohle-Kapazitäten vom Netz gehen. Den kompletten Ausstieg auf 2030 vorzuziehen, wie die Grünen es vorgeschlagen haben, hält Smith vor diesem Hintergrund für illusorisch. Zunächst müsse klar sein, wie es danach weitergeht. In welchem Bereich arbeiten zum Beispiel die rund 400 Auszubildenden der LEAG in 20 oder 30 Jahren? Gibt es Fördergeld von der Europäischen Union für den klimagerechten Umbau? "Ohne Perspektive werden die Menschen nicht mehr an uns glauben", sagt Smith.

Das sieht auch Maximilian Franke so, Sprecher der jüngeren LEAG-Beschäftigten: "Wir haben hier Angst vor Arbeitslosigkeit." Viele junge Menschen in der Lausitz wollen genau dort bleiben, eines Tages eine Familie gründen und nicht gezwungen sein, des Jobs wegen nach Stuttgart, Berlin oder Frankfurt zu ziehen. "Das ist die Firma, die meine Heimat ist. Hier will ich bleiben", sagt ein angehender Industriemechaniker, als Ricarda Lang seine Klasse besucht.

Ricarda Lang: "Großer Respekt vor der Lebensleistung"

"Wohlstand für alle" hat die Grünen-Vorsitzende ihre Sommertour überschrieben. Das ist auch eine Antwort auf die massive Kritik, die die Grünen in den vergangenen Monaten erfahren haben. Seit Klimapolitik nicht mehr nur aus Zielen, sondern auch aus konkreten Maßnahmen besteht, ist die Partei für einen nicht sehr kleinen Teil der Bevölkerung zum Feindbild geworden. Die heftigen Diskussionen über das sogenannte Heizungsgesetz waren das beste Beispiel dafür.

Langs Gegenrezept: Sie spricht weniger über gesellschaftlich polarisierende Themen. Sie weiß, dass es bei den Menschen schlecht ankommt, wenn Politikerinnen und Politiker den Zeigefinger erheben. Sie spricht lieber über Wohlstand und Industrie, über Sicherheit und soziale Gerechtigkeit. "Wir müssen deutlich machen, dass die Menschen in der Lausitz unsere Energieversorgung sichern und das Land am Laufen halten", sagt Lang. "Das verdient unseren größten Respekt." Auch die Tarifbindung ist ihr ein wichtiges Anliegen. Den Traum, eines Tages der SPD den Status als größte Partei der linken Mitte abzunehmen, hat die Partei offenbar noch nicht aufgeben.

Lausitz will dieses Mal auf der Gewinnerseite stehen

Der zweite Tag im Industriepark Schwarze Pumpe beginnt mit einem Besuch in einem Gründungszentrum. Auch hier geben die Verantwortlichen der Politikerin eine ähnliche Botschaft mit auf den Weg, auch hier ist eine gewisse Unruhe zu spüren: Die Pläne für die Zukunft liegen auf dem Tisch. Zu einer klimagerechten Transformation bekennt man sich nicht nur, man ist schon mittendrin. Doch die Umsetzung scheitert häufig an Vorschriften, an langwierigen Genehmigungsverfahren oder fehlender Förderung.

Nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft standen die Menschen in der Lausitz auf der Verliererseite. Das dürfe sich nun nicht wiederholen, sagt Christine Herntier, Bürgermeisterin der Stadt Spremberg, zu Ricarda Lang. Nun könne und müsse man das Beispiel für eine gelingende Transformation sein. "Aber dazu brauchen wir Geschwindigkeit."

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