• Im Gespräch mit Journalistinnen äußert sich Grünen-Chefin Annalena Baerbock zur Kritik an ihrem Buch.
  • Die Frage, wie sich die auffälligen Passagen in ihrem Buch erklären, bleibt jedoch unbeantwortet.

Mehr zur Bundestagswahl 2021 finden Sie hier

Annalena Baerbock muss sich entscheiden. "Lächeln oder Zähne zeigen?", fragt eine Journalistin der Zeitschrift "Brigitte" sie im Interview am Donnerstagabend in einem Berliner Kino. Die Grünen-Chefin antwortet ohne Zögern: "Lächeln."

Im medialen Dauerfeuer dieser Woche angesichts an einigen Stellen frappierender Ähnlichkeiten zwischen Baerbocks Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" und anderen Publikationen gibt sich die Grünen-Kanzlerkandidatin unbeirrt. Die schweren rhetorischen Geschütze ("Rufmord") fahren andere in ihrer Partei auf. Baerbock selbst redet einfach konsequent am Problem vorbei.

"Ganz viele Ideen von anderen sind mit eingeflossen", sagt Baerbock. "Aber ich habe kein Sachbuch oder so geschrieben, sondern das, was ich mit diesem Land machen will - und auf der anderen Seite die Welt beschrieben, wie sie ist, anhand von Fakten und Realitäten." Bei der Vorstellung am 17. Juni hatte Baerbock auf die Frage, um was es sich handle, eine Biografie oder ein politisches Sachbuch, noch geantwortet: "Es ist beides."

Stattdessen gebe es, so Baerbock, "eine Zusammenstellung aus dem, was alles mit eingeflossen ist". In der Tat steht in der Danksagung am Ende, das Buch sei von der Programmarbeit der Partei inspiriert. Erst im November hatten die Grünen ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet, im Juni dann das Programm für die Bundestagswahl. "In diesem Sinne stecken hier auch Ideen, Kenntnisse und kreative Gedanken von all den Menschen drin, mit denen ich in den letzten Jahren eng Politik machen durfte", schreibt Baerbock.

Von einer Übernahme fremder Formulierungen, die sich in dem Werk aber auch finden, ist dort aber nicht die Rede. Eine mögliche Erklärung dazu, warum der österreichische Medienwissenschaftler Stefan Weber diese in Baerbocks Buch nicht nur sucht, sondern auch findet, steht zwei Seiten später. Dort dankt Baerbock ihrer Lektorin, "zumal mit der Entscheidung der Kanzlerkandidatur im April plötzlich alles ganz schnell gehen musste". Vielleicht zu schnell.

"Ein unbeschriebenes Blatt wird eben auch schneller schmutzig"

Bei der Parteispitze und damit auch bei Baerbock kam viel zusammen in der Zeit, als das Buch entstand. Anders als bei ihren Konkurrenten, Unionskandidat und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz, steht Baerbock kein ministerialer Apparat zur Verfügung, auf dessen Expertise sie zurückgreifen kann.

Als Wahlkämpfer haben Laschet und Scholz große Parteizentralen im Rücken. Zumal ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Fehltritte bereits seit Jahren öffentlich diskutiert werden - bei Baerbock geschieht das gerade im Zeitraffer. "Ein unbeschriebenes Blatt wird eben auch schneller schmutzig", stellt einer bei den Grünen dazu nüchtern fest.

Baerbock schlägt sich seit Wochen mit Problemen rund um ihre Person herum. Öffentlich wurden:

  • die verspätete Nachmeldung von Sonderzahlungen an den Bundestag Mitte Mai;
  • mehrere Klarstellungen beim Lebenslauf in den folgenden Wochen und
  • zu Wochenanfang die Vorwürfe zu ihrem Buch.

Die Frage, wie sich die auffälligen Passagen in ihrem Buch erklären, bleibt unbeantwortet. Stattdessen betont Baerbock erneut, es gebe keine Urheberrechtsverletzungen. Was sie nicht sagt: Ob sie abgeschrieben hat. Stattdessen weist sie auf strittige Vorwürfe hin und lenkt den Blick so weg von Formulierungen, die ins Auge springen.

Am Anfang ihrer Kandidatur - sie wurde Mitte April vom Bundesvorstand nominiert - seien "Fake News" in der Welt gewesen. "Aber ich habe schon erlebt, wie sich das verfestigt." Man habe erlebt, was in den USA geschehen sei, wo sich der Wahlkampf nicht mehr "mit den großen Fragen unserer Zeit" beschäftigt habe, sondern wo "die Wahrheit und Unwahrheit sich irgendwie vermischen". Weshalb ihre Partei dem Vorwurf der Urheberrechtsverletzung so klar widersprochen habe.

Baerbock, die an diesem Abend was ihr Buch angeht keinen Hauch von Selbstkritik zeigt, wird auch gefragt, ob der Hang zur Selbstkritik nicht ein "irre hoher Anspruch" sei und auch ein "sehr, sehr weiblicher Anspruch". Was erstmal eine Pause auslöst und dann eine Antwort, die beginnt mit "Weiß ich nicht, so auch jetzt in der Situation." Baerbock weist zwar häufig auf die speziellen Probleme und Erfahrungen von Frauen hin, lässt sich aber ungern in einer Schublade einsortieren.

Auch wenn viele Fragen an Baerbock an diesem Abend sehr freundlich ausfallen, sie steht unter Druck. Wie ihr Körper auf Stress reagiere, wird sie gefragt. Baerbock blickt auf ihre Finger und sieht, "ein, zwei Stellen", kleine Blasen. "Die kriege ich ganz, ganz selten." (dpa/mko)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.