Dem thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke sollen Grundrechte entzogen werden. Ein Antrag der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht könnte das ermöglichen. Allerdings ist ein Experte skeptisch, ob das auch gelingen würde.

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"Björn Höcke ist ein wahrhaft gefährlicher Feind der freiheitlichen Demokratie. Das zeigt sich immer wieder. Doch es gibt eine Möglichkeit, ihn zu stoppen: Die Grundrechtsverwirkung nach Verfassungsartikel 18. Das ist niedrigschwelliger als ein Parteiverbot – und darum realistischer. Damit dürfte Höcke sich nicht mehr wählen lassen." So steht es im Text einer Petition, die zwar schon seit längerem online ist, aber nun durch die aktuellen Enthüllungen der Rechercheplattform "Correctiv" über geheime Pläne von AfD-Mitgliedern, Migranten deportieren zu lassen, neuen Auftrieb erhalten hat.

1,58 Millionen Unterzeichnerinnen und Unterzeichner zählte die Petition am Montag (23.01.2024, Stand 6:00 Uhr). Damit ist die Schwelle von 50.000 Unterzeichnern weit überschritten. Ab dieser Zahl muss sich der Petitionsausschuss des Bundestages mit dem Anliegen beschäftigen.

Der Verfassungsartikel 18, auf den die Petition sich bezieht, erklärt, dass derjenige sein Grundrecht verwirkt, der die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, missbraucht. Dasselbe gilt für die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum sowie das Asylrecht zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung.

Ist das bei Björn Höcke der Fall? Was ist genau mit der Verwirkung der Grundrechte gemeint und wie schwer ist es, Björn Höcke diese Grundrechte zu entziehen?

Wie läuft das Verfahren ab?

Für so ein Verfahren braucht es einen entsprechenden Antrag der Bundesregierung, des Bundestages oder einer Landesregierung beim Bundesverfassungsgericht, wie Alexander Thiele im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. Er ist Professor für Öffentliches Recht, speziell Staats- und Europarecht an der BSP Business & Law School Berlin. Im nächsten Schritt würde das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob beziehungsweise inwieweit Björn Höcke insbesondere die Meinungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht.

Anhaltspunkte dafür finden sich laut Thiele vor allem im ethnischen Volksbegriff, den Björn Höcke in seinen Reden immer wieder benutzt und der mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes unvereinbar sei. Vor einem Antrag müssten die relevanten Auftritte und Äußerungen zusammengetragen werden.

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Welche Grundrechte würden Höcke entzogen werden?

Verwirkt würden nur einzelne Grundrechte wie das aktive und passive Wahlrecht. "Höcke würde also ein bestehendes Abgeordnetenmandat verlieren und könnte auch an keiner Regierung beteiligt sein", erläutert Rechtsexperte Thiele.

Das seien aber die einzigen Grundrechte, die ihm aberkannt werden könnten. "Im Übrigen blieben die Grundrechte für Höcke bestehen. Auch die europäischen Grundrechte wären von einer solchen Entscheidung nicht betroffen." Höcke könnte außerdem auch weiterhin informellen Einfluss auf AfD-Abgeordnete ausüben.

Gab es so ein Verfahren schon einmal?

In der bundesdeutschen Geschichte wurde ein Verfahren zum Entzug der Grundrechte bisher viermal versucht. Alle vier Versuche scheiterten.

1974 wurde ein Verfahren gegen den rechtsextremen Verleger Gerhard Frey angestrebt, der die "Nationalzeitung" herausgab. Das Bundesverfassungsgericht lehnte den Antrag ab. Frey sei zu unbedeutend und nicht gefährlich genug für die freiheitliche demokratische Grundordnung, lautete die Begründung.

Auch bei den anderen Fällen war das der Grund, warum die Verfahren scheiterten. "Das wäre bei Höcke eher nicht der Fall", schätzt Rechtsexperte Thiele.

Bei dem Landes-Chef der AfD ist die Relevanz durch seine Prominenz und die aktuellen Umfragewerte der AfD klar gegeben. Bei den kommenden Wahlen in Thüringen sieht derzeit alles nach einem klaren Wahlsieg seiner Partei aus. Damit könnte Höcke Ministerpräsident werden – wenn er einen Koalitionspartner finden würde.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Wie aussichtsreich ist so ein Verfahren?

Trotz Höckes Bekanntheit hält Rechtsexperte Thiele ein Verfahren gegen ihn für eher unrealistisch. Das liege aber zunächst an der Politik, nicht an den rechtlichen Voraussetzungen.

"Ich gehe davon aus, dass eher über ein Parteiverbot nachgedacht wird. Auch dazu scheint es aktuell aber noch am nötigen politischen Willen zu fehlen, zumal auch ein solcher Antrag lange vorbereitet werden müsste."

Ein entsprechendes Verbotsverfahren gegen die AfD würde einige Jahre in Anspruch nehmen. Vergleichbare Verfahren gegen die NPD scheiterten in der Vergangenheit bereits zweimal.

Über den Experten

  • Alexander Thiele ist Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Staats- und Europarecht an der BSP Business & Law School Berlin.

Verwendete Quellen

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