• #OutInChurch ist eine Initiative von Menschen, die in der katholischen Kirche arbeiten und wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität diskriminiert wurden oder werden.
  • Eines der Gesichter der Initiative ist Rainer Teuber, Museumspädagoge am Domschatz Essen.
  • Er ist seit fast 18 Jahren mit seinem Mann verheiratet, in der Kirche geoutet hat er sich aber erst 2020 - damit endete eine lange Zeit der Angst und des Versteckens.
Ein Interview

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Herr Teuber, Sie sind Leiter der Abteilung Museumspädagogik und Besucherservice des Domschatzes Essen, eines bedeutenden Kirchenschatz, der zum Bistum Essen gehört. Wie sieht denn Ihre tägliche Arbeit beim Domschatz aus?

Rainer Teuber: Ich kümmere mich um alles, was die Gästebetreuung und Führungen angeht. Ich organisiere die Führungen und mache sie zum Teil selbst, plane das Programm für Sonder- und Themenführungen, entwickle neue Führungsformate, halte Vorträge und den Kontakt zu anderen kirchlichen Museen in Deutschland. Es ist eine sehr vielfältige und spannende Aufgabe.

Durch ihre Arbeit in der Initiative #OutInChurch und die ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" sind Sie auch über Essen hinaus bekannt geworden. Bei #OutInChurch haben sich Menschen zusammengefunden, die sich unter anderem als lesbisch, schwul, bi, trans*, inter, queer und non-binär identifizieren. Die Gruppe gibt all jenen ein Gesicht und eine Stimme, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Identität in der katholischen Kirche Diskriminierung bis hin zu Drangsalierung erfahren haben. Wie sind Sie zu #OutInChurch gekommen?

Impulsgeber für #OutInChurch war die #ActOut-Kampagne von Schauspielern und Schauspielerinnen Anfang des vergangenen Jahres. Ein Freund von mir aus Hamburg und ein Pfarrer aus Hamm haben daraufhin Menschen im privaten Umfeld angesprochen, um auszuloten, ob das auch in der katholischen Kirche funktionieren könnte. So kam ich dazu.

Eines der Ziele von #OutInChurch, das auch im Manifest der Initiative niedergeschrieben ist, ist eine "Kirche ohne Angst". Sie leben seit fast 20 Jahren mit Ihrem Mann zusammen, Ihr Coming-out bei Ihrem Arbeitgeber, dem Bistum, hatten Sie 2020. Welche Ängste hatten Sie in der Zeit davor?

Ich bin ja bereits seit 1996 Museumspädagoge hier. Mir war zwar damals schon klar, dass ich schwul bin, aber solange ich ungebunden war, war das alles unproblematisch. Dann habe ich meinen Mann kennengelernt und wir haben uns recht schnell dazu entschlossen zu heiraten. Beim Standesamt lernten wir dann etwas kennen, das sich "Melderechtsrahmengesetz" nennt. Es besagte, dass die Standesämter über Lebensstandveränderungen Meldung an die Kirchen geben mussten. Das war damals ein Automatismus - das gibt es heute nicht mehr - und niemand konnte uns sagen, was mit den Daten dann in der Kirche passiert. Gegen schwere Widerstände bei der Stadt Essen und in einem regelrechten Nervenkrieg haben wir es geschafft, dass diese Meldung unterbleibt. Denn ich hatte die - sicher auch berechtigte - Angst, ich könnte dann meinen Job verlieren, wenn unsere Partnerschaft beim kirchlichen Arbeitgeber bekannt wird.

Warum hatten Sie diese Angst?

Weil kirchliche Arbeitsverträge einen Passus enthalten, der besagt, dass das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft, heute: Zivilehe, ein schwerer Loyalitätsverstoß gegen die kirchliche Grundordnung sei. Dieser Verstoß kann zur sofortigen Kündigung führen - und das ist ja auch, wie sich herausgestellt hat, immer wieder passiert; also, dass Menschen entweder direkt gekündigt wurden oder ihnen nahegelegt wurde, zu kündigen.

Besonders perfide ist dabei die Argumentation von Dritten: Sie müssen ja nicht bei der Kirche arbeiten! Aber: Der Skandal sind doch nicht die queeren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sondern das ausgrenzende Arbeitsrecht. So etwas gibt es bei keinem anderen Arbeitgeber - und das auch noch bei einer Institution, die für sich in Anspruch nimmt, für Menschenrechte einzutreten. Ich bin gläubig und finde, dass meine Talente genau dort wirksam werden, wo ich jetzt bin. Und es gibt ja auch Berufe, die man nur in der Kirche ausüben kann, zum Beispiel Gemeindereferent beziehungsweise -referentin, Religionslehrer beziehungsweise -lehrerin, Priester. Diese Berufe sollten allen Menschen, auch LGBTIQ+-Personen, offenstehen.

Wie wird dieser Passus mit dem Loyalitätsbruch durch gleichgeschlechtliche Ehe eigentlich begründet?

Aus der katholischen Lehre heraus. Demnach gilt gelebte Homosexualität als Sünde und es wird behauptet, Homosexualität habe ein "ungeordnetes Beziehungsleben" zur Folge, das auf die geoffenbarten Pläne Gottes nicht passe. Solche Äußerungen sind sehr verletzend und basieren auf einer extrem veralteten Sicht auf Homosexualität.

Wie haben Sie sich in der Zeit bis zu Ihrem Coming-Out in der Kirche 2020 verhalten?

Ich muss dazu sagen: Im engsten Team wussten schon länger alle Bescheid und es war dort nie ein Thema - vielleicht auch, weil in diesem Team ausschließlich Frauen gearbeitet haben. Im gesamten Kollegium war die Atmosphäre aber nicht so, dass ich einfach so hätte sagen können, dass ich schwul bin. Manchmal wurde in Gesprächen über LGBTIQ+-Menschen hergezogen, das hat mich sehr verletzt. Das Klima, der Geist war da nicht wirklich frei.

Weil ich als jemand, der Führungen gab, auch ein recht öffentliches Gesicht der Kirche war, hatte ich im Privaten häufig Angst, angesprochen zu werden. Wenn das zum Beispiel im Urlaub mit meinem Mann passierte, haben wir uns nachher gefragt: War das jetzt ersichtlich, dass wir ein Paar sind? Hinzu kam, dass es auch Drohungen gab, mich zu denunzieren. Erst vor wenigen Wochen hat mich wieder jemand gefragt: "Weiß Ihr Chef eigentlich, wie Sie leben?" Ich sagte: "Mein Chef weiß, wie ich arbeite, und das sollte ihm ausreichen".

Mittlerweile weiß Ihr Chef auch, "wie Sie leben". Wie kam es dazu, dass Sie sich geoutet haben?

Das war gänzlich ungeplant. Ich war Zuhörer auf einer Veranstaltung, in der es darum ging, welche Vorkehrungen das Bistum Essen trifft, um Missbrauch in der Kirche zu verhindern. Bei der Veranstaltung kamen immer wieder diese unseligen Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie. Irgendwann hielt ich das nicht mehr aus und habe, ohne groß nachzudenken, gesagt: Dieser Zusammenhang ist falsch und ihn herzustellen, ist infam und verletzt mich tief. Das total legale Leben und Gestalten der eigenen Sexualität hat nichts mit der schweren Straftat der Pädophilie zu tun.

Wie war die Reaktion der Anwesenden, vor allem die des Generalvikars, Ihres Chefs?

Bei der Veranstaltung selbst war das kein Thema mehr. Am Nachmittag rief mich aber der Generalvikar an - das erste Mal überhaupt - und das war ein äußerst befreiendes Gespräch. Er konnte meine Einwände nachvollziehen und hat mir zugesichert, dass das Coming-out keine Konsequenzen für mich hat. Aber es war nicht nur so, dass mir persönlich eine Last von den Schultern fiel. Im Anschluss kamen Anfragen für das Bistums-Magazin, für Tagungen und Video-Statements, in denen ich für Reformen werben konnte. Auch weil diese Freiheit im Denken und das Anerkennen von Vielfalt vom Generalvikar und vom Bischof gelebt wird, ist der Geist, den ich nun in meiner Kirche erlebe, einer, der Mut macht - auch wenn noch nicht alle dem folgen.

Könnte Ihr Chef denn nicht einfach sagen, wir streichen jetzt diesen Passus aus dem Arbeitsvertrag?

Dazu gibt es offenbar unterschiedliche Ansichten. Manche sagen, das könne jedes Bistum für sich ändern. Wünschenswerter wäre aber ohnehin, wenn alle Bistümer im gesamten Zuständigkeitsbereich der Bischofskonferenz diese Sätze herausnehmen würden. Und zugleich die Berufe in der katholischen Kirche nicht nur für schwule und lesbische Menschen, sondern auch für Trans-, Intersexuelle und alle Menschen gleich welcher sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität öffnen würden. Wir erfahren gerade großen Zuspruch, aber dem müssen auch Taten folgen.

Im Moment gibt es da zwei Prozesse, die laufen: die Synodalversammlung (sie findet vom 3. bis 5. Februar, in Frankfurt am Main statt, Anm. d. Red.), da ist die von #OutInChurch angestoßene Debatte sicherlich ein Thema. Es muss aber auch Thema bei der nächsten Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 7. bis 10. März sein.

Wenn wir uns in einem Jahr wieder sprechen: Was glauben Sie, wird sich verändert haben?

In einem Jahr sollte sich auf jeden Fall das kirchliche Arbeitsrecht geändert haben. Damit wäre aber nur ein Ziel von #OutInChurch erreicht. Die anderen sind jedoch genauso wichtig: das Sichtbarwerden aller sexuellen Identitäten in der Kirche und die Kirche ohne Angst. Wir fordern außerdem eine Aufarbeitung der Diskriminierungsgeschichte, und dass die Kirche anerkennt, dass sie im Umgang mit homosexuellen, queeren und trans Menschen Schuld auf sich geladen hat, dass sie ganze Biographien zerstört und psychisches Leid verursacht hat. Immerhin ist ja eine Kernbotschaft der Kirche: Nächstenliebe, und dass jeder Mensch gewollt ist. Diese Botschaft muss gelebt werden!

Haben Sie Hoffnung, dass auch in der offiziellen Kirchenlehre diese Botschaft, dass jeder Mensch gewollt ist, in diesem Sinne ausgelegt wird?

Das ist das Maximalziel. Aber da sind noch sehr dicke Bretter zu bohren! Ich weiß nicht, ob wir das noch erleben werden, aber das ist ja kein Grund, es nicht anzugehen.

Über den Interviewpartner: Rainer Teuber ist 53 Jahre alt und seit 1996 Leiter der Abteilung Museumspädagogik und Besucherservice des Domschatzes Essen. Er ist in einem katholischen Elternhaus groß geworden und sang als Kind bei den Essener Domsingknaben. Als junger Mann machte er zunächst eine Bankausbildung, war aber nebenbei immer in der Gemeindearbeit tätig. Über den Dienst am Empfang des Domschatzes kam er dann zu seiner Stelle im Museum.
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