- Warum haben Länder und Kommunen nicht ausreichend vor dem Hochwasser Mitte Juli gewarnt?
- Lageberichte des Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern offenbaren nun, dass die dortigen Experten nur wenig zuverlässige Prognosen lieferten und offenbar die Gefahr unterschätzten.
Vor ziemlich genau einem Monat haben Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und insbesondere in Rheinland-Pfalz ganze Landstriche zerstört. 766 Menschen wurden bei der Flutkatastrophe Mitte Juli verletzt, mindestens 189 Menschen starben.
Viele Gemeinden, insbesondere im rheinland-pfälzischen Ahrtal, wurden verwüstet, Straßen, Brücken und Häuser weggeschwemmt. Weil die betroffenen Länder und Kommunen vor der Katastrophe nicht ausreichend gewarnt haben, wurde auch gefordert, dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mehr Kompetenzen zu geben.
Doch nun kommt heraus: Das BBK selbst wurde offenbar von dem Ausmaß des Hochwassers überrascht. Das geht aus internen Schreiben der Behörde an das Bundesinnenministerium hervor, die dem WDR vorliegen und aus denen der Sender zitiert.
Unterschätzten die Experten die Gefahr?
Konkret geht es um Lageberichte des beim BBK angesiedelten Gemeinsamen Melde- und Lagezentrums von Bund und Ländern (GMLZ). Die Meldungen waren in den Tagen unmittelbar vor der Flut, die in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli über NRW und Rheinland-Pfalz hereinbrach, sehr zurückhaltend:
- So rechneten die Experten am 12. Juli in ihrem Statusreport an das Bundesinnenministerium laut WDR nur mit "begrenzten Überschwemmungen" und "kleineren Erdrutschen". Zu dem Zeitpunkt schlossen sie eine "länderübergreifende Hochwasserlage" aus.
- Selbst am 14. Juli, als das Wasser vielerorts schon merklich anstieg, rechnete das in Bonn sitzende Lagezentrum "nicht mit einem länderübergreifenden und bevölkerungsschutzrelevanten Schadensereignis".
- Erst am 15. Juli kurz nach Mitternacht meldete das GMLZ dem WDR zufolge: "Durch die Großflächigkeit der Ereignisse ist von überörtlichen Hilfeleistungen, ggf. auch länderübergreifend auszugehen."
- Am Nachmittag desselben Tages meldete das Lagezentrum schließlich an die Bundesregierung, "ein länderübergreifendes und bevölkerungsschutzrelevantes Schadensereignis sei nicht auszuschließen". Zu dem Zeitpunkt war die Flutwelle schon längst durch das Ahrtal gewalzt.
BBK-Präsident: "Ab Mitternacht kamen die Hilfeleistungsersuche"
Bereits nach der Katastrophe hatte BBK-Präsident Armin Schuster seine Behörde gegen Kritik verteidigt. So hieß es in einem am 14. Juli mittags – also mehrere Stunden vor der Katastrophe – erstellten GMLZ-Bericht: "Im morgigen Tagesverlauf ist ein Anstieg des Wasserstands bis in den Bereich von 900 cm nicht ausgeschlossen, jedoch aufgrund der unsicheren Niederschlagsvorhersage noch schwer abzuschätzen."
Niemand habe an dem Tag in der Lagezentrale des BBK nachgefragt, um vorsorglich etwa Hubschrauber oder Anlagen zur Trinkwassernotversorgung anzufragen, sagte Schuster Ende Juli. "Ab Mitternacht kamen die Hilfeleistungsersuche. Ich weiß, dass gegen zwei Uhr die Hubschrauber angefordert wurden." Schuster betonte, das Bundesamt habe keinen Einfluss darauf, wie jeweils vor Ort auf die Warnungen seiner Behörde reagiert werde.
Britische Wissenschaftlerin: "Monumentales" System-Versagen der deutschen Behörden
Bereits kurz nach der Katastrophe hatte die britische Hydrologin Hannah Cloke den deutschen Behörden "monumentales" System-Versagen bei der Flutkatastrophe vorgeworfen.
Klare Hinweise, die im Rahmen des europäischen Frühwarnsystems EFAS bereits vier Tage vor den ersten Überschwemmungen herausgegeben worden seien, seien offenbar nicht bei der Bevölkerung angekommen, sagte Cloke dem ZDF am 16. Juli.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt seit dem 6. August gegen den Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), und ein weiteres Mitglied des Krisenstabes. Dabei geht es um den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen. Im Kern soll geklärt werden, ob mit früheren Warnungen oder Evakuierungen Menschenleben hätten gerettet werden können.
Die Bewältigung akuter Katastrophenlagen liegt bislang in der Verantwortung der Bundesländer sowie der Landkreise und Städte. Der Bund hat hier keine unmittelbaren Zuständigkeiten, er hat seinerseits die Aufgabe, für den Schutz der Bevölkerung im Verteidigungsfall zu sorgen. Einige Experten halten die Aufteilung für überholt. (dpa/mf)
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