• Der Iran erlebt die heftigste Protestwelle seit der Gründung der "Islamischen Republik".
  • Die Bevölkerung und insbesondere die Frauen leben schon seit Jahrzehnten mit der Repression durch das Regime.
  • Doch es war nicht immer so, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

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Die Geschichte des Iran ist geprägt von äußeren Einflüssen, radikalen Kräften und einer mutigen Bevölkerung, die trotz Repressionen lautstark Veränderungen auf den Straßen einfordert. Shoura Hashemi, österreichische Diplomatin mit iranischen Wurzeln, beobachtet die Entwicklungen im Iran und ordnet sie für unsere Redaktion historisch ein. Denn was viele nicht wissen: Der Iran war nach dem Zweiten Weltkrieg schon einmal eine Demokratie.

Anfang der 50er-Jahre regierte Mohammad Mossadegh mit einer Regierung, die Hashemi als "linksnational" bezeichnet. Die Frauenrechte seien für die damaligen Verhältnisse in Ordnung gewesen.

Allerdings legte sich Mossadegh mit dem Westen an, indem er die Ölindustrie im Iran verstaatlichen wollte. Diese war größtenteils in britischer Hand. "Das war der Grund für den Sturz der Regierung" erklärt Hashemi. Mossadeghs Kurs hatte auch innenpolitisch zu Verwerfungen geführt und bereitete so den Boden für einen Militärputsch, der von britischen und amerikanischen Geheimdiensten ausgeführt wurde. An dessen Ende stand die zweite Schah-Diktatur. Das Eingreifen des Westens beschäftigt die Bevölkerung im Iran noch heute, Hashemi bezeichnet es als das "Kollektiv-Trauma der Iraner".

Frauenrechte waren das "einzig Gute" unter dem Schah

Denn unter dem Schah galten demokratische Grundsätze nicht mehr. Andersdenkende wurden unterdrückt, gefoltert und teilweise hingerichtet. Auch Hashemis Eltern gerieten ins Visier des Schahs und waren kurzzeitig inhaftiert. Trotz der persönlichen Betroffenheit räumt Hashemi aber ein, dass zumindest die Frauenrechte im Iran zu dieser Zeit auf einem guten Weg gewesen seien: "Es gab keine Verschleierungspflicht, Frauen konnten arbeiten, Frauen konnten Richterinnen sein."

Zum Westen pflegte der Schah gute Beziehungen. Das half ihm allerdings nicht, als die Bevölkerung wegen der massiven Unterdrückung aufbegehrte. Die Protestbewegung war eine Mischung aus religiösen Kräften und liberalen Studenten, die sich trotz unterschiedlicher Weltanschauung zusammentaten, um den Schah zu stürzen. Auch Hashemis Eltern waren nach der gelungenen Revolution voller Hoffnung: "Meine Eltern waren in der Generation linker Studenten, die gehofft hatten, dass mit Chomeini eine Demokratie eingeführt wird."

Nach der Revolution mussten sie allerdings direkt in den nächsten Widerstand: "Die von Chomeini entwickelte Staatsform hat sich in der Realität als religiöse Diktatur entpuppt", erzählt Hashemi. Denn auch wenn der Staatspräsident im neuen System der "Islamischen Republik" durch Wahlen bestimmt wird, ist der Iran weiterhin keine Demokratie. Bei den Wahlen dürfen nur ausgewählte Kandidaten antreten, sodass viele Menschen sich nicht vertreten fühlen. Die meiste Macht liegt ohnehin beim religiösen Führer, der auf Lebenszeit ernannt wird. Unterdrückung von Andersdenkenden und Massenhinrichtungen gab es weiterhin.

Chamenei folgt auf Chomeini

Direkt auf die Revolution folgte der erste Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak, der die Anfangszeit der neuen "Islamischen Republik" prägte. Hashemis Eltern verließen in dieser Zeit das Land - auch aus Enttäuschung über die politische Entwicklung. Sie waren Teil eines regelrechten "Exodus nach der Revolution", wie Hashemi beschreibt. Die iranische Wirtschaft in den 80er-Jahren war von der politischen Instabilität und dem Krieg schwer gebeutelt. 1989, ein Jahr nach Ende des Krieges, starb Chomeini. Er wurde als oberster Führer abgelöst von Ali Chamenei, der bis heute das Sagen hat.

Dieser führte die religiöse Diktatur weiter, bis 1997 der Reformer Mohammad Chatami zum Staatspräsident gewählt wurde und ein liberales Gegengewicht zum religiösen Führer darstellte. Hashemi beschreibt diese Phase, in der es wirklich Lockerungen gab: "Die Bekleidungsvorschriften wurden nicht mehr so ernst genommen. Die Polizei war nicht so präsent. Man hatte das Gefühl, es ist alles ein bisschen freier."

Allerdings seien das nur "Lockerungen im Lebensumfeld" gewesen und keine "politischen Lockerungen". Denn Chamenei blieb der starke Mann und verhinderte wirkliche Reformen unter Chatami, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr erneut antreten durfte.

Es folgte die Regierung Ahmadinedschad, deren autoritärer Stil 2009 drei Millionen Menschen auf die Straße trieb. Die sogenannte "grüne Revolution" wurde jedoch brutal unterdrückt.

Hashemi: "Die Proteste werden weitergehen"

Seitdem schwelt der Konflikt unter der Oberfläche, viele Iraner fühlen sich machtlos: "Der Großteil der Menschen im Iran geht nicht mehr wählen, weil das das einzige Zeichen ist, das man setzen kann bei Wahlen", sagt Hashemi. Seit 2021 führt Staatspräsident Ebrahim Raisi gemeinsam mit Chamenei das Land, laut Hashemi "das schlimmste Duo überhaupt seit der Gründung der 'Islamischen Republik'".

Die Proteste, die sich nach der Ermordung Masha Aminis wie ein Lauffeuer im Iran verbreiteten, werden niedergeschlagen, zuletzt hatte das Regime sogar Demonstranten hingerichtet. Hashemi glaubt nicht, dass sich die Bewegung davon abschrecken lässt: "Die Proteste werden weitergehen. Die Jugend lässt sich da, glaube ich, nicht mehr aufhalten."

Sie fordert ein komplett neues System im Iran, das nur durch eine Revolution erreicht werden könne: "Man kann nach 40 Jahren sagen, dass das System von innen heraus nicht reformierbar ist", stellt sie fest.

Zur Expertin: Shoura Hashemi ist eine österreichische Juristin und Diplomatin im Außenministerium. Seit dem Ausbruch der Proteste im Iran berichtet Hashemi fast täglich auf Twitter über die neuesten Entwicklungen in der "Islamischen Republik".
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