Irans Präsident war mit Reformversprechen angetreten. Schnell hat ihn die Realität eingeholt. Ein Blick auf die größten Spannungsfelder.
Nach 100 Tagen im Amt muss Irans moderat-konservativer Präsident Massud Peseschkian gleich zwei riskante Krisen meistern: Im Innern wachsen die gesellschaftlichen Spannungen und in der Außenpolitik könnte ein Krieg mit Israel bevorstehen. Während die Militärführung der Revolutionsgarden, Irans Eliteeinheit, den Erzfeinden Israel und den USA mit einer Reaktion auf den jüngsten Vergeltungsschlag droht, wächst in der Bevölkerung erneut die Kritik an strengen islamischen Kleidungsvorschriften.
Irans Machtzentren mit treuen Gefolgsleuten besetzt
Wie sich Irans Politik gewandelt hat, zeigt eine Parlamentsdebatte, in der Peseschkian vor einigen Monaten sein Kabinett gegen Kritik des rivalisierenden Lagers konservativer Hardliner verteidigte. In beispielloser Form erklärte der Präsident, dass sein Kabinett schließlich schon von Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei abgesegnet worden sei. "Stimmt endlich ab, damit wir eine Regierung formen können", forderte Peseschkian damals von den Abgeordneten.
Beobachter werteten dies als Ausdruck, dass sich Peseschkian der Staatsführung vollkommen unterordnet. Im Iran ist der Präsident, anders als in vielen Ländern, nicht Staatsoberhaupt, sondern Regierungschef. Die tatsächliche Macht liegt bei Religionsführer Chamenei, der auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist.
Peseschkian gehört dem Lager der Reformbewegung an, deren Anhänger am Status quo festhalten, aber das autoritäre System von innen reformieren wollen. Doch Kritik vieler Bürger gibt es nicht nur an den Hardlinern, sondern auch an den Reformern um Peseschkian, wie die historisch geringe Beteiligung an Parlaments- und Präsidentenwahl gezeigt hat. Beide Fraktionen galten lange als zerstritten. Ein Erfolg Peseschkians ist Insidern zufolge, beide Lager zugunsten einer "nationalen Versöhnung" im Sinne des Systems vereint zu haben.
Ungewisse außenpolitische Zukunft
Mit Abbas Araghtschi hatte Peseschkian einen erfahrenen Diplomaten als Außenpolitiker gewonnen, um die belasteten Beziehungen zum Westen zu verbessern. Doch angesichts der militärischen Auseinandersetzungen mit Israel scheint dies mittlerweile unmöglich.
Auch die Beziehungen zu Deutschland haben einen neuen Tiefpunkt erreicht, nachdem die Justiz den Deutsch-Iraner Djamshid Sharmahd hinrichten ließ. Vom Westen isoliert, bleibt die Kooperation mit Russland und China – eine Allianz, die jedoch im Land auf viel Kritik stößt.
Auch der Ausgang der US-Wahl wird die außenpolitische Strategie der Islamischen Republik wesentlich beeinflussen. Ein Präsident mit harter Haltung gegenüber dem Iran könnte die Spannungen im Nahen Osten weiter verschärfen. An Donald Trump, der 2018 einseitig aus dem Atomdeal ausstieg, neue Sanktionen verhängte und die Revolutionsgarden als Terrororganisation einstufte, hat Irans Führung keine guten Erinnerungen.
Konflikt mit Israel droht zu eskalieren
Irans politische Führung steht im Dauer-Konflikt mit Erzfeind Israel erneut am Abgrund. Nach den jüngsten direkten militärischen Schlägen droht der Konflikt zu eskalieren. Ein Insider in Teheran, vertraut mit dem Denken der Regierung, sagte: "Es wäre falsch, die Entwicklungen der letzten Monate nicht als Niederlage zu sehen." Die allgemeine Wahrnehmung sei, dass Israels Auslandsgeheimdienst Mossad überlegen ist. "Das ist bitter, aber wahr."
Experten zufolge spielt Peseschkian im militärischen Denken der Islamischen Republik aber nur eine untergeordnete Rolle. Die zentralen Entscheidungen treffen demnach Chamenei, die mächtigen Revolutionsgarden und der Generalstab. Der Präsident hatte wiederholt für diplomatische Lösungen geworben. Am Sonntag deutete Peseschkian an, ein Waffenstillstand im Libanon und Gazastreifen könnte Irans Entscheidungen beeinflussen.
Wahlversprechen bisher nicht eingehalten
Irans Präsident trat mit Wahlversprechen an, Bürgerrechte zu stärken und einige der strengen Internetsperren aufzuheben. Bis heute wurde davon jedoch nichts umgesetzt. "Peseschkian versucht weiterhin, mit volksnahem Auftreten und einer relativ kritischen Rhetorik Sympathien zu gewinnen", sagt ein iranischer Professor, der anonym bleiben möchte.
Seit den Protestwellen der vergangenen Jahre glaube jedoch ein Großteil der Gesellschaft nicht mehr an solche Versprechen. Die Menschen wollen Ergebnisse, keine leeren Worte, erklärt der Hochschuldozent am Telefon. Die Absichten Peseschkians hält er dennoch für ehrlich. "Er glaubt an das, was er sagt. Doch war Peseschkian nie ein richtiger Politiker, sondern eher ein revolutionstreuer Idealist in der Provinz." (dpa/bearbeitet von fab)
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