In der Stichwahl im Iran hat sich überraschend der moderate Kandidat Massud Peseschkian durchgesetzt. Er folgt als Präsident auf den bei einem Hubschrauberabsturz getöteten Ebrahim Raisi. Wofür der 69-Jährige Peseschkian steht, was von ihm zu erwarten ist und warum ein Experte an echten Reformen zweifelt.
Bei der Stichwahl im Iran hat sich überraschend der Reform-Kandidat Massud Peseschkian durchgesetzt. Er kam bei der Wahl am Freitag (5.) auf 53,7 Prozent der Stimmen und hatte damit einen Vorsprung gegenüber dem ultrakonservativen Hardliner Said Dschalili, dem 44,3 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme gaben.
Damit folgt der 69-jährige Peseschkian auf den Ex-Präsidenten Ebrahim Raisi, der im Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war.
Bei der ersten Wahlrunde Ende Juni (29.) war keiner der ursprünglich sechs Kandidaten als Sieger hervorgegangen, sodass Peseschkian und Dschalili in einer Stichwahl gegeneinander antreten mussten. Peseschkian stammt aus dem Nordwesten Irans und ist Herzchirurg.
Herzchirurg und Ex-Gesundheitsminister
In der Vergangenheit leitete er ein Krankenhaus in der Millionenstadt Tabris und war zwischenzeitlich auch Soldat im Ersten Golfkrieg. Überschattet wurde das Leben von Peseschkian durch den Tod seiner Frau und einem seiner Söhne, die Mitte der 1990er-Jahre bei einem Autounfall ums Leben kamen.
Der bisher eher unscheinbare Politiker war bereits Gesundheitsminister unter dem ehemaligen Präsidenten Mohammad Chatami. Dieser und auch Ex-Präsident Hassan Rohani hatten sich im Vorfeld der Wahl für Peseschkian ausgesprochen. 2021 war Peseschkian vom Wächterrat nicht zur Wahl zugelassen worden.
Wahlbeteiligung auf Rekordtief
Die Wahlbeteiligung war sowohl im ersten als auch im zweiten Wahlgang auffällig niedrig. Ende Juni gingen nur rund 40 Prozent des 61-Millionen-Volks zur Wahl – ein Rekordtief. Nun lag die Wahlbeteiligung bei 49,8 Prozent.
"Die niedrige Wahlbeteiligung ist vorrangig mit der schlechten Wirtschaftsage und der politischen Perspektivlosigkeit der Jugend zu erklären", sagt Historiker Rasim Marz im Gespräch mit unserer Redaktion.
Die iranische Öl- und Gasindustrie mache zwar in den letzten Jahren trotz weitreichender US-Sanktionen Gewinne, davon profitiere jedoch vorrangig das Regime. "90 Prozent des iranischen Öls wird mit Öltankern vom persischen Golf nach China exportiert. Die Inflation liegt bei etwa 40 Prozent und die Lebensmittelpreise sind um 50,4 Prozent gestiegen", so Marz.
Vertrauen zurückgewinnen
Die Währung Rial stehe unter immensen Druck, was die politische Unzufriedenheit in der Bevölkerung befeuere. "Die niedrige Wahlbeteiligung soll dem Regime die rote Karte zeigen, vor allem wirtschaftliche Reformen auf den Weg zu bringen", meint er.
Im Wahlkampf war Peseschkian für neues Vertrauen zwischen Regierung und Volk, räumte aber auch ein, dass die Bevölkerung die derzeit herrschende Elite nicht akzeptiere. Die Wahlen im Iran gelten nicht als frei.
Der Wächterrat hatte im Vorfeld die Kandidaten auf ideologische Eignung geprüft und von 80 Bewerbern nur 6 zugelassen. Keine einzige Frau durfte kandidieren, zwei Kandidaten hatten außerdem schon vor der ersten Abstimmung ihre Kandidatur zurückgezogen.
Echte Reformen unwahrscheinlich
"Peseschkian betont zwar die Notwendigkeit gesellschaftlicher Reformen, doch der oberste Führer Ali Chamenei ist die letzte Instanz in wichtigen Angelegenheiten und somit das große Hindernis zur Öffnung des Irans", sagt auch Marz.
Im Iran ist der Präsident nicht das Staatsoberhaupt. Stattdessen konzentriert sich die Macht auf den Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei. Auch wenn Peseschkian als Reformer bezeichnet wird, gilt er als loyal gegenüber Chamenei.
"Die Machtzentren im Iran liegen im Amt des obersten religiösen Führers und den islamischen Revolutionsgarden, die einen entsprechenden politischen Kurs vorgeben, der für den gewählten Präsidenten verpflichtend ist, sofern er den Verlust seiner eigenen Machtstellung nicht riskieren will", sagt Marz.
Macht liegt an anderer Stelle
Alle Kandidaten seien auch von Ayatollah Chamenei zugelassen worden, somit sei keinen echten Reformern die Macht anvertraut worden. "Der außen- wie innenpolitische Kurs des Mullah-Regimes wird leicht nachjustiert, aber eine Kehrtwende in ihrer autoritären Politik wird ausbleiben", meint Marz.
Im Wahlkampf hatte Peseschkian Reformen und bessere Beziehungen zum Westen gefordert, um die angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln. "Peseschkian erklärte, er wolle auf den Westen zugehen, im Gegensatz zu seinem Herausforderer Dschalili, der sich nachdrücklich für eine Vertiefung der Beziehungen zu Russland und China einsetzt", sagt Marz.
Außerdem habe er versprochen, die Beschränkungen des iranischen Kopftuchgesetzes zu lockern. Das hatte Ende 2022 zu Massenprotesten und einem gewaltsamen Vorgehen der Regierung geführt.
Unterstützung der Elitestreitmacht
Trotz allem gehöre Peseschkian dem bestehenden System an und habe mehrfach die paramilitärische Revolutionsgarde des Irans für ihre militärischen Aktionen im Ausland gewürdigt und auch ihre Uniform getragen. So lobte Peseschkian beispielsweise den jüngsten Angriff der Streitmacht mit Drohnen und Raketen auf den Erzfeind Israel im April.
Ob Hoffnung auf große innenpolitische Veränderungen berechtigt sind, bleibt daher auch mit der Wahl von Peseschkian zweifelhaft. Die blutige Bilanz seines Vorgängers weist Peseschkian allerdings nicht auf.
Raisi wurde bereits als Nachfolger des amtierenden Staatsoberhauptes Khamenei gehandelt und hatte die Proteste nach dem Tod der kurdischstämmigen Iranerin Jina Mahsa Amini blutig niederschlagen und ihre Unterstützer landesweit verfolgen lassen. "2023 wurden mehr als 800 Menschen exekutiert, ein Großteil stammt aus der Protestbewegung", erinnert Marz.
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Traum ist ausgeblieben
Massud Peseschkian entstammt der aserbaidschanischen Bevölkerungsgruppe und gehört der iranisch-türkischen Dialoggruppe an. "Er wird die Beziehungen hinsichtlich des türkischen Präsidenten Erdogan weiter aufrechterhalten und einen Ausgleich im Nahen Osten anstreben wollen", meint Marz.
Seine Wahl solle zudem die iranischen Aserbaidschaner im Norden des Landes enger an Teheran binden und sie nicht für separatistische Ideen aus Baku empfänglich machen, vermutet er.
Der lang ersehnte Traum von einer Revolution im Iran, der 2023 von oppositionellen Kräften in Europa und den USA in bunten Farben ausgemalt wurde, ist aus Sicht von Marz ausgeblieben.
"Der Iran ist ein komplexes Staatsgebilde, reich an unterschiedlichen Ethnien, Kulturen und Religionen, die sich schwerlich für eine breite Volksbewegung mobilisieren lassen. China und Russland würden das Mullah-Regime notfalls militärisch stabilisieren, damit es nicht wieder an den Westen fällt", bilanziert er.
Über den Gesprächspartner
- Rasim Marz ist ein deutsch-türkischer Historiker und Publizist für die Geschichte des Osmanischen Reiches und der modernen Türkei. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die europäische und osmanische Diplomatie des 19. Jahrhunderts sowie die Subversion des Nahen Ostens im 20. Jahrhundert.
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