Geht dem sogenannten "Islamischen Staat" das Geld aus? Die Terrormiliz hat den Sold ihrer Kämpfer um 50 Prozent gekürzt, auch ausländische Rekruten sind betroffen. Ob diese Entscheidung potentielle "Gotteskrieger" abschrecken wird, ist fraglich.
Die Zeiten der großen Erfolge sind für die Terrormiliz "Islamischer Staat" offenbar vorüber. 2015 schrumpfte das Territorium in Syrien und im Irak im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent, wichtige Nachschubwege an der Grenze zur Türkei wurden abgeschnitten, und schließlich setzen den Dschihadisten die verstärkten Luftangriffe der internationalen Allianz schwer zu. Nun hat der IS in einem Schreiben angekündigt, den Sold für seine Kämpfer pauschal um 50 Prozent zu halbieren. In dem Dokument, das die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte aus London veröffentlichte, werden "außergewöhnliche Umstände" als Begründung genannt. Doch was versteckt sich hinter dieser wenig konkreten Formel?
Freibrief für Steuern und Gebühren
Die Mitglieder der Dschihadisten-Miliz sollen monatlich statt 400 nur noch 200 Dollar bekommen, auch der Sold für ausländische Kämpfer wird von 800 auf 400 Dollar pro Kopf reduziert, wie aus dem Schreiben hervorgeht. An den beiden Lebensmittellieferungen je Monat solle jedoch festgehalten werden, heißt es weiter. "200 Dollar ist gerade für einheimische Kämpfer weiterhin ein sehr guter Sold", sagt der Nahostexperte Rainer Hermann.
Der Grund: Im Herrschaftsgebiet des IS gibt es kaum alternative Möglichkeiten, Geld zu verdienen, weil die Wirtschaft weitgehend zusammengebrochen ist. Zudem sei das nun aufgetauchte Schreiben mit einer Fatwa verknüpft, "dass jene, die auf der Gehaltsliste des IS stehen, ihre Einbußen kompensieren dürfen, indem sie selbst von normalen Bürgern Steuern und Gebühren erheben dürfen", erklärt Hermann weiter. "Was also zunächst aussieht, als ob der IS Attraktivität verliere, entpuppt sich als das Gegenteil." Dadurch könnten jedoch auch interne Spannungen zunehmen.
Da die Wirtschaft in weiten Teilen Syriens zusammengebrochen und die Arbeitslosigkeit enorm hoch ist, geht es den Kämpfern des Islamischen Staats trotz ihrer Soldkürzung im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung immer noch sehr gut. Ob die Maßnahme trotzdem Auswirkungen auf die Kampfmoral hat, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.
Bargeld durch Militärschlag vernichtet
Die Reduzierung der Gelder ist ein Hinweis auf eine allgemeine Krise des IS. Erst vor wenigen Tagen zerstörte die US-geführte Koalition ein Gebäude in der Millionenstadt Mossul, in dem Bargeld lagerte. "Da bei dem Luftschlag mutmaßlich größere Bargeldbestände vernichtet worden sind, fehlt dem IS von einem Tag auf den nächsten Liquidität", erklärt Nahostexperte Hermann. Hinzu kommen die zurückgegangenen Einnahmen als Folge der Bombardierung von Ölfeldern. Das "schwarze Gold" ist eine der wichtigsten Einnahmequellen der Dschihadisten. "Die Miliz hatte das geförderte Rohöl weit unter dem Weltmarktpreis verkauft", erklärt Hermann. Sinkende Fördermengen und ein sinkender Ölpreis hätten seit Monaten ihre Einnahmen gedrückt.
Ohnehin hatte die Türkei nach dem Selbstmordanschlag eines mutmaßlichen IS-Anhängers in Istanbul angekündigt, ihr Vorgehen zu verschärfen und Nachschubwege zu schließen.
Bundesregierung: IS mit zwei Milliarden Dollar Kapitalstock
Nichtsdestotrotz gilt der Islamische Staat nach wie vor als relativ reiche Organisation: Laut Angaben der Bundesregierung beträgt der Kapitalstock bis zu zwei Milliarden Dollar (rund 1,85 Mrd. Euro). Die wichtigsten Einnahmequellen sind neben dem Verkauf von Erdöl, die Ausraubung der besetzten Gebiete und ihrer Bewohner, der Handel mit Beutekunst, Lösegelderpressungen, Menschenhandel und Spenden.
Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King's College in London bezeichnet den IS in einem Interview mit Zeit Online als "Beute-Ökonomie", die ständig neue Gebiete erobern müsse, "um sie dann zu plündern". Weil die Dschihadisten aber schon länger keine nennenswerten Territorien mehr eingenommen haben, sprechen immer mehr Beobachter von einer Krise. Die bekommen nun auch die IS-Kämpfer zu spüren – im eigenen Geldbeutel.
Rainer Herrmann rechnet dennoch nicht mit einer sinkenden Attraktivität. "Die ausländischen Kämpfer lassen sich nicht aus finanziellen Gründen anwerben. Bei ihnen steht im Vordergrund, für eine vermeintlich ’gute’ Sache zu kämpfen."
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