Während sich der IS im Mittleren Osten in die Defensive gedrängt sieht, erfährt die Terrormiliz von radikalen Salafisten in Bosnien ungebrochen Sympathien. Der Staat Bosnien-Herzegowina weiß zwar um die Gefahr, die von kampferprobten IS-Rückkehrern ausgeht, wirkt aber machtlos. Was sind die jüngsten Wurzeln des Islamismus in der Region?

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Gornja Maoca ist ein nur vermeintlich unscheinbares Bergdorf im Norden von Bosnien-Herzegowina. Das Örtchen hat zweifelhafte Bekanntheit als angebliches Anwerbezentrum für IS-Kämpfer auf dem Balkan erfahren. Journalisten haben für den „Tagesspiegel" Gornja Maoca besucht.

Schwarze Fahnen des IS auf den Häusern

Sie berichten davon, dass die schwarzen Fahnen des sogenannten "Islamischen Staates" bei ihrer Ankunft eiligst von Häusern entfernt wurden. Zudem gab es IS-Botschaften an Hauswänden. Das Beispiel passt ins Gesamtbild.

So ist die Situation in der Region Bosnien

Die islamistische Szene sei nach dem Bosnienkrieg in den 1990er Jahren kontinuierlich gewachsen, schildert Dzihic, der für das Österreichische Institut für Internationale Politik zum Thema forscht.

"50 Prozent der Bosnier sind Muslime. Die große Mehrheit gehört der traditionellen Deutung des Islam an. Sie haben mit radikalen Tendenzen nichts zu tun”, erklärt der Politikwissenschaftler.

Es gebe jedoch eine radikale Szene mit parallelen Gebetsräume, sogenannten Para-Dzemats, nicht selten finanziert aus Saudi-Arabien. "Sie geben etwa eigene Medien heraus. Es sind heute sicher Tausende, die sich der salafistischen Gruppierung zugehörig fühlen”, erzählt er.

Gemessen an den 3,5 Millionen Einwohnern von Bosnien-Herzegowina sei das ein in Europa vergleichsweise hoher Anteil an der Bevölkerung, schildert Dzihic. "Von ihnen wurden Kämpfer für den IS rekrutiert, einige Hunderte sind zum IS ausgewandert."

Eine Gruppe von Forschern aus Sarajevo habe im Juni 2016 dazu eine Studie vorgelegt. "Es wanderten demnach 260 Menschen zwischen 2012 und 2015 in die Gebiete des IS aus. Davon wurden 46 getötet. Etwa 50 sind, Stand 2016, zurückgekehrt”, schildert Dzihic. "In Syrien waren zu diesem Zeitpunkt noch etwa 150 bis 160 Kämpfer aus Bosnien."

Dzihic verweist allerdings darauf, dass es heute so gut wie gar keine bosnischen Muslime mehr gebe, die für den IS in den Irak oder nach Syrien gingen.

Warum gerade Bosnien?

Doch was sind die Gründe für die Radikalisierung in der Region Bosnien?

Zum einen funktioniere die staatliche Verwaltung fast gar nicht, erklärt der Balkan-Experte, zum anderen könnten sich Muslime mit dem Staat oft nicht identifizieren.

"In Bosnien liegt die Jugendarbeitslosigkeit zudem bei über 60 Prozent. Die salafistischen Gruppen bieten Jugendlichen dagegen das Gefühl von Zusammenhalt”, sagt er.

Nicht zuletzt der Krieg habe zur Radikalisierung beigetragen, erklärt er. "Im Krieg gab es eine Brigade namens Mujahideen, in die bis zu 2.000 Kämpfer aus arabischen Staaten kamen. Das waren die ersten Ursprünge der heutigen Salafisten.”

Bei den Muslimen habe sich anschließend das Gefühl eingeschlichen, sie seien fallen gelassen worden, meint Dzihic. "Sie sagen, sie seien im Krieg den Serben und einem Genozid ausgeliefert worden”.

International ist die brisante Konstellation bereits durchaus ein Thema.

Experte: Keine Kontrolle über IS-Rückkehrer

Interpol und die Amerikaner beraten die staatlichen Sicherheitsbehörden, es seien Regeln für die zurückgekehrten islamistischen Kämpfer aufgestellt worden, sagt Dzihic: "Zu behaupten, der Staat hätte diese im Griff, wäre aber vermessen."

In Bosnien gebe es salafistische Dörfer, "zum Beispiel Gornja Maoca in Zentral-Bosnien, oder Siedlungen wie Osve oder Dubnica.

Sie leben immer stärker auch an den Peripherien der Städte wie Sarajevo oder Zenica”, erklärt der Politikwissenschaftler. Ansonsten seien die Salafisten auch sehr stark in Südserbien vertreten, in der Region namens Sandzak, schildert er.

"Zwischen den dschihadistischen Zellen dort und denen in der Region Bosnien gibt es rege Verbindungen. Und: Aus Albanien, Mazedonien und dem Kosovo sind sehr viel mehr Menschen in Richtung IS ausgewandert.” Einzige Ausnahme: Kroatien.

Salafistischer Brückenkopf in die EU

"Zwischen 2012 und 2015 gab es salafistische Anschläge in Bosnien, die als Terrorattacken klassifiziert wurden. Im November 2015 hat zum Beispiel ein Salafist zwei Soldaten mit einem Sturmgewehr erschossen", erzählt der Balkan-Experte.

Der Anschlag erfolgte seinerzeit in einem Wettbüro vor einer Kaserne, anschließend hatte sich der Angreifer bosnischen Medienberichten zufolge in einem Haus verbarrikadiert und selbst getötet.

Von den Salafisten gehe lokal eine Gefahr aus, wobei es seit zwei Jahren keine Angriffe mehr gegeben habe, schildert Dzihic.

"Was es sehr wohl gibt, ist eine Verbindung zwischen dschihadistischen Zellen am Balkan und in der EU", erklärt er. "Bei den Terror-Anschlägen in Westeuropa wurde nicht zuletzt davon gesprochen, dass Waffen über die Balkanroute kamen."

Gerade bei der Rekrutierung von Kämpfern in Deutschland, Österreich und der Schweiz wirkten die Balkangruppen mit.

"Es gibt Balkan-Zellen innerhalb des IS und IS-Propaganda in Bosnien. Es wird gedroht, dass alle Nicht-Gläubigen auf dem Balkan vernichtet werden, das ist aber alles Rhetorik", meint Dzihic.

Allerdings existiere in Bosnien "ein religiöser Marktplatz, auf dem sich unterschiedliche islamistische Bewegungen tummeln". Die Rhetorik fällt dort auf fruchtbaren Boden.

Dr. Vedran Dzihic forscht für das Österreichische Institut für Politik zum Balkan und halt an der Universität Wien Vorträge zum Thema. Ein Schwerpunkt ist die Forschung zu radikalen Islamisten auf dem Balkan, wozu er bereits mehrere Arbeitspapiere veröffentlicht hat.
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