Der Aufstand in Venezuela schien fast im Sande zu verlaufen, da gelingt Herausforderer Juan Guaidó ein neuer Coup: Er zieht Soldaten auf seine Seite und befreit einen Oppositionsführer aus dem Arrest. Die regierenden Sozialisten jedoch geben sich nicht geschlagen.
Über den Hügeln von Caracas geht gerade die Sonne auf, als
Neben Guidó steht an diesem Dienstagmorgen der vor Jahren inhaftierte Oppositionsführer Leopoldo López, den aufständische Soldaten gerade aus dem Hausarrest befreit haben. «Alle Venezolaner, die sich Freiheit wünschen, sollen kommen», sagt der Gründer von Guaidós Oppositionspartei Voluntad Popular. «In diesem Moment sollen alle Venezolaner, mit Uniform und ohne, auf die Straße.»
Kurz darauf liefern sich Demonstranten und regierungstreue Sicherheitskräfte schwere Auseinandersetzungen. Vermummte Regierungsgegner greifen gepanzerte Militärfahrzeuge an. Ein Panzerwagen rast in die Menge, wie im kolumbianischen Fernsehsender RCN zu sehen ist. Ob dabei Demonstranten verletzt werden oder ums Leben kommen, ist zunächst unklar.
Mit Tränengas gegen die Menschenmenge
Nahe dem Luftwaffenstützpunkt La Carlota schleudern Demonstranten Steine auf Nationalgardisten auf Motorrädern. Die Sicherheitskräfte feuern Tränengaskartuschen in die Menge. Verteidigungsminister Vladimir Padrino sagt, ein Oberst sei in den Hals geschossen worden, er müsse notoperiert werden. «Ich mache dafür die politische Führung der Opposition verantwortlich», schreibt er auf Twitter.
Mit dem Husarenstück im Morgengrauen hat Guaidó nach wochenlangem Stillstand wieder Bewegung in den venezolanischen Machtkampf gebracht. Mit seiner «Operation Freiheit» will er Präsident Maduro nun aus dem Amt drängen. «Mutige Soldaten, Patrioten, verfassungstreue Männer haben heute unseren Ruf erhört», sagt Guaidó. «Das Ende der unrechtmäßigen Machtübernahme beginnt heute.»
Der Machtapperat gibt sich nicht geschlagen
Allerdings ist der Vorstoß auch brandgefährlich: Bislang ließ Maduro seinen Herausforderer Guaidó weitgehend gewähren. Nach dem Putschversuch könnte die sozialistische Regierung nun andere Saiten aufziehen und Guaidó verhaften lassen. «In diesem Moment sammelt die Generalstaatsanwaltschaft Beweise gegen jene, die in diese illegale Verschwörung verwickelt sind», sagt Generalstaatsanwalt Tarek William Saab.
Zunächst tut die Regierung den Aufstand allerdings als kläglichen Putschversuch einiger Weniger ab. «In diesem Moment schalten wir eine kleine Gruppe verräterischer Soldaten aus», schreibt Kommunikationsminister Jorge Rodríguez auf Twitter. «Wir rufen das Volk dazu auf, in maximaler Alarmbereitschaft zu bleiben und gemeinsam mit den glorreichen Streitkräften den Putschversuch abzuwehren und den Frieden zu erhalten.»
Das Militär gilt als der entscheidende Faktor im Machtkampf in Venezuela. Guaidó hat die Streitkräfte immer wieder dazu aufgerufen, die Seiten zu wechseln - bislang allerdings mit nur geringem Erfolg. Die Generäle profitieren ohnehin vom System Maduro und haben daher wenig Interesse an einem Machtwechsel. Kleinere Aufstände einfacher Soldaten gegen Maduros Regierung wurden bereits mehrfach niedergeschlagen.
Agenten des militärischen Geheimdienstes Kubas sollen die einfachen Soldaten der venezolanischen Streitkräfte kontrollieren und Aufstände sowie Verschwörungen bereits im Keim ersticken. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Control Ciudadano sitzen in dem südamerikanischen Land 193 Militärs wegen politischer Vergehen in Haft.
Der Verteidigungsminister steht treu zu Maduro
Verteidigungsminister Padrino gelobt der Regierung von Maduro weiter die Treue. «Die Streitkräfte verteidigen die Verfassung und die legitimen Autoritäten», schreibt er auf Twitter. «Alle militärischen Einheiten melden Normalität in ihren Kasernen und Stützpunkten und befinden sich unter der Befehlsgewalt ihrer Kommandeure.»
Während auf den Straßen von Caracas noch um die Macht gerungen wird, bringen sich die internationalen Verbündeten der verfeindeten Lager in Stellung. Die USA, viele EU-Staaten und zahlreiche lateinamerikanische Länder haben Guaidó bereits als rechtmäßigen Übergangsstaatschef anerkannt - dagegen halten Russland, China, die Türkei sowie die linken Regierungen in Kuba, Nicaragua und Bolivien weiterhin Maduro die Treue.
«Die US-Regierung unterstützt das venezolanische Volk vollkommen in seinem Verlangen nach Freiheit und Demokratie», schreibt US-Außenminister Mike Pompeo auf Twitter. Der Nationale US-Sicherheitsberater John Bolton ruft das Militär dazu auf, Guaidó zu unterstützen. «Das Ende der unrechtmäßigen Machtübernahme durch Maduro ist möglich. Venezuelas Streitkräfte sollten treu zum Volk und der Verfassung stehen», schreibt er auf Twitter.
Angesichts der brenzligen Lage hofft Bundesaußenminister Heiko Maas auf eine friedliche Lösung. «Wir wollen nicht, dass es eine Entwicklung gibt, in der die Waffen sprechen», sagt er nach einem Treffen mit dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. «Jetzt wird es erst einmal darum gehen, verantwortungsvoll zu handeln. Wir wollen das nicht militärisch lösen, sondern politisch. Nur das ist wirklich nachhaltig. Dazu können alle ihren Beitrag liefern.»
Der SPD-Politiker macht einmal mehr klar, auf welcher Seite die Bundesregierung in dem seit Januar andauernden Machtkampf in Venezuela steht: «Unsere Unterstützung für Juan Guaidó hat sich in keiner Weise geändert.»
Maduros Verbündete hingegen stärken dem venezolanischen Präsidenten den Rücken. «Wir verurteilen diese putschistische Bewegung, die darauf abzielt, das Land mit Gewalt zu überziehen», schreibt Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel auf Twitter. Bolivien Staatschef Evo Morales teilt mit: «Wir verurteilen diesen versuchten Staatsstreich in Venezuela aufs Schärfste.»
Erdogan erinnert an demokratische Werte
Russland warnt vor einem Eingreifen von außen. Es gebe Kräfte, die nur einen Vorwand für ein gewaltsames Einschreiten suchten, schreibt der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Föderationsrat, Konstantin Kossatschow, bei Facebook. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schreibt auf Twitter: «Diejenigen, die sich in Venezuela, wo das Volk herrscht und der Präsident gewählt wurde, darum bemühen, einen postmodernen Kolonial-Gouverneuren zu berufen, sollen wissen, dass nur durch demokratische Wahlen bestimmt werden kann, wie ein Land geführt wird.» (dpa/best)
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