Am 31. Dezember 2015 läuft bei einem der berüchtigtsten Bücher der deutschen Geschichte das Urheberrecht ab: 70 Jahre nach dem Tod von Adolf Hitler kann "Mein Kampf" frei nachgedruckt werden. Muss eine unkontrollierte Verbreitung des Buchs verhindert werden - oder sorgt der ganze Wirbel nicht erst recht für einen Hype um ein Machwerk, dessen Inhalt heute unfreiwillig komisch erscheint?
"Ich will mir nicht vorstellen, dass ich durch eine Buchhandlung gehe und auf dem Angebotstisch eine mit einer weihnachtlichen Schleife verpackte Neuausgabe von "Mein Kampf" finde." So bringt der SPD-Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka eines der Bedenken auf den Punkt, die er gegen eine ungehinderte Vervielfältigung des Werks hat. So unwahrscheinlich dieses Bild auch sein mag: Die Sorge um die besondere Verantwortung der Deutschen im Umgang mit ihrer Vergangenheit ist nicht von der Hand zu weisen.
Ab dem 31. Dezember 2015 kann nach der aktuellen Gesetzeslage eine Vervielfältigung von "Mein Kampf", etwa durch einen Nachdruck oder eine Veröffentlichung im Internet nicht mehr verhindert werden. Besonders bei Opferverbänden stoße die Aussicht, dass jeder Verlag nach eigenem Gutdünken das Buch neu herausgeben kann, auf "wenig Verständnis", so Lischka.
Auch zwischen der Bundesregierung und der israelischen Regierung gebe es ein "gemeinsames Interesse an einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung dieses menschenverachtenden Gedankenguts", heißt es in der Antwort auf eine SPD-Anfrage von der Bundesregierung. Derzeit würden rechtliche Fragen wie ein Publikationsverbot und dessen Auswirkungen geprüft.
Nachdruck ist verboten, Verkauf aber nicht
Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, über ein mögliches Verbot des Buchs wegen Volksverhetzung zu sprechen, sagt Lischka. "Wir haben noch zwei Jahre Zeit und sollten diese Zeit nutzen, um auf einer breiten Basis vernünftig darüber zu sprechen." So müsse unter anderem geklärt werden, ob Ausnahmen für kommentierte wissenschaftliche Ausgaben gemacht werden dürften und was mit aktuell existierenden Exemplaren geschieht - und ob ein Verbot der sinnvollste Weg wäre. "Wir brauchen eine Diskussion, ob man den freien Verkauf will oder nicht."
Besonders schwer ist es derzeit nicht, an das Buch im "Giftschrank der Geschichte" zu kommen. Verboten ist nur der Nachdruck, nicht der Verkauf an sich. Bei einer Suche im Internet ist die Volltext-Version meist unter den ersten Treffern zu finden. Alte Exemplare dürfen in Antiquariaten angeboten werden und ausländische Verlage haben das Buch bereits mehrfach nachgedruckt.
Heute sei zudem in jeder größeren Bibliothek meist ein Exemplar vorhanden, sagt die Leiterin der Landesfachstelle für Öffentliche Bibliotheken in Thüringen, Sabine Brunner. Sie sieht in der aktuellen Diskussion vor allem eine ungerechtfertigte Werbung für ein unerträgliches Machwerk.
"Es hat seinen Grund, dass schon zur Entstehungszeit offenbar kaum jemand das Buch gelesen hat", sagt sie. "Meist kommt man über die ersten paar Seiten nicht hinaus, weil es so furchtbar schlecht und langweilig ist." Per Fernleihe könne sich aber schon jetzt jedermann selbst ein Bild von Hitlers "Meisterwerk" machen. "Bisher hat sich schlicht kaum jemand dafür interessiert." Die Ironie: Aufgrund der öffentlichen Diskussion besorgten sich viele Bibliotheken spätestens jetzt ein Exemplar, um der Nachfrage gerecht zu werden.
Prozess um "Mein Kampf" sorgt für mehr Öffentlichkeit
Für noch mehr Öffentlichkeit sorgt vermutlich auch der Prozess, bei dem sich der Herausgeber der Wochenzeitschrift "Zeitzeugen", Peter McGee, und die Bayerische Landesregierung vor dem Oberlandesgericht München gegenüberstehen. Bayern hatte 2009 rund 12.000 Ausgaben des Magazins beschlagnahmen lassen, weil ein Exemplar der NS-Zeitung "Völkischer Beobachter" beigelegt war.
McGees Aussichten auf Schadenersatz stehen Experten zufolge nicht schlecht. Darüber hinaus war im Dezember letzten Jahres bekannt geworden, dass die bayerische Staatsregierung eine von ihr mitfinanzierte kommentierte Fassung von "Mein Kampf" auf Eis gelegt hat und gegen eine Verbreitung vorgehen will.
"Vor allem wünschen wir uns klare Worte - wie immer die Entscheidung letztlich auch ausfallen mag", bringt Brunner die Erwartung vieler Bibliothekare und Außenstehender auf den Punkt. Einfach sei die Entscheidung nicht, weil zwischen der Informationsfreiheit und dem Verbot von Volksverhetzung abgewogen werden müsse.
Je schneller das gehe, umso besser sei es aber. "Damit das Buch möglichst schnell wieder in der Vergessenheit versinken kann", sagt Brunner.
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