Mit ihrer nicht abgesprochenen und vorab lancierten Beschlussvorlage für den Corona-Gipfel am Montag hat sich Angela Merkel den Unmut der Bundesländer zugezogen. Politikberater Johannes Hillje spricht von einem "kommunikativen Scherbenhaufen" und versucht, die Motive der Kanzlerin zu erklären.

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Der Ärger war absehbar und machte sich dann auch im Vorfeld der Video-Konferenz am Montagnachmittag zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den 16 Chefs der Bundesländer deutlich bemerkbar.

Denn die Beschlussvorlage, die das Bundeskanzleramt bereits am späten Sonntagabend an die Ministerpräsidenten und –präsidentinnen verschickte - und die ganz zufällig auch bei Nachrichtenagenturen und der Bild-Zeitung landete -, enthielt einigen Zündstoff.

Die Kanzlerin regte über den geltenden Teil-Lockdown hinaus weitere, deutlich verschärfte Kontakt- und Quarantänebeschränkungen an, zudem sollten vor allem in Schulen noch striktere Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie als bislang gelten.

Damit überrumpelten Merkel und ihr Kanzleramtschef Helge Braun die Länderkollegen, auch die aus der eigenen Partei. Heraus kam am Ende ein Appell, aber keine weiteren Verbote und verbindlichen Beschränkungen.

Politikberater: Kanzleramt steht vor "kommunikativem Scherbenhaufen"

"Eine ähnliche Taktik hat das Kanzleramt auch bei vorherigen Corona-Gipfeln gewählt. Bis zu dieser Woche war diese Strategie durchaus erfolgreich", erklärt Johannes Hillje auf Anfrage unserer Redaktion.

Der Politik- und Kommunikationsberater sieht allerdings einen wichtigen Unterschied: "Es war ein Fehler, dass das Kanzleramt die Beschlussvorlage diesmal extrem kurzfristig über die Medien lanciert hat."

Die Empörung der Ministerpräsidenten sei vorhersehbar gewesen, das Kanzleramt stehe in dieser Woche vor einem "kommunikativen Scherbenhaufen", so Hillje: "In dieser Pandemie ist das Vertrauen in und die Befolgung der Maßnahmen durch die Bevölkerung das höchste Gut. Gestern wurde das Vertrauen riskiert."

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) etwa übte auf der Pressekonferenz nach dem Corona-Gipfel deutlich Kritik. "Wir hatten ja in der Vergangenheit sehr gut funktionierende und geübte Verfahren, dass für gemeinsame Sitzungen gemeinsame Papiere auch gemeinsam erarbeitet werden", sagte Müller. "Und wir haben uns heute verständigt, dass wir da auch wieder hin wollen, dass wir zu diesen Verfahren zurückkehren."

Zuletzt habe das Kanzleramt mitunter "doch sehr kurzfristig" Papiere erarbeitet, und dafür könne es objektive Gründe geben. "Aber wir müssen das zwischen 16 Ländern auch noch beraten können. Und das dann am Sonntagabend um 23:00 Uhr machen zu müssen, und Montag früh geht es gleich weiter, dient oft auch der Sache nicht", so Müller.

"Unterm Strich ein kommunikatives Desaster"

Bleibt die Frage nach dem Warum: Was wollte Merkel mit ihrer veränderten Kommunikationstaktik erreichen? Persönliche Motive unterstellt Hillje der Kanzlerin explizit nicht: "Merkel geht es in der Endphase ihrer Amtszeit nicht um Profilierung. Sie folgt in der Pandemie ihrem naturwissenschaftlichen Instinkt. Seit Beginn der Pandemie steht sie für Vorsicht und im Zweifel für strengere Maßnahmen."

Hinzu komme ein strukturelles Problem, so der Politikstratege: "Merkel macht Corona-Politik von der Bundesebene, sie will landesweit das Infektionsgeschehen reduzieren. Da entstehen automatisch Konflikte mit den unterschiedlichen Perspektiven der Länder."

Auf der PK am Montagabend wirkte die Kanzlerin einigermaßen zerknirscht. "Merkels Statement fällt in die Rubrik Schadensbegrenzung", urteilt der Kommunikationsexperte: "Der Versuch, dem Treffen etwas Positives abzugewinnen, war weitestgehend unglaubwürdig. Sie hat die Stabilisierung der Infektionszahlen zu ihrer Hauptbotschaft gemacht. Das war Ablenkung von der Tatsache, dass sie ihr Ziel bei dem Treffen verfehlt hat. Unterm Strich war es ein kommunikatives Desaster für die Kanzlerin."

Merkel geht die Umsetzung der Corona-Maßnahmen zu langsam

Einen kleinen Einblick in ihre Gemütslage gab die Kanzlerin am Dienstag bei einer Konferenz der "Süddeutschen Zeitung". Dort räumte sie ein, dass ihr die Entscheidungen zur Coronakrise teils zu langsam getroffen werden.

Das bedauere sie, auch weil es am Ende mehr Geld koste. "Wenn man früher agiert, kann man schneller auch wieder rausgehen aus den Beschränkungen", erläuterte Merkel.

Am 25. November wollen Bund und Länder erneut über das weitere Vorgehen beraten. Hillje hofft, dass dann die Vernunft das Treffen bestimmt: "Der Ärger der Länder ist nachvollziehbar. Aber auch den Ländern sollte mittlerweile klar sein, dass die Infektionszahlen in der gesamten Republik runter müssen. Die Debatte zwischen Bund und Ländern ist wichtig, aber ein Dauerkonflikt beschädigt das Vertrauen und die Akzeptanz der Maßnahmen."

Verwendete Quellen:

  • Schriftliche Aussagen von Johannes Hillje
  • Material der dpa
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