• Karl Lauterbach nimmt Anlauf für sein wohl größtes Vorhaben: eine Krankenhausreform.
  • Der Bundesgesundheitsminister will die Finanzierung der deutschen Krankenhäuser verbessern: 60 Prozent davon befinden sich derzeit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
  • Die Klinik-Landschaft in Deutschland würde sich mit der Reform grundlegend verändern. Die wichtigste Frage lautet: Werden Bundesländer und Verbände mitspielen?

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Karl Lauterbach stapelt alles andere als tief. Die deutschen Krankenhäuser sind aus seiner Sicht in einer Notlage. Deswegen will der Bundesgesundheitsminister gegensteuern: "Wir stehen am Vorabend einer notwendigen Revolution im Krankenhaus-Sektor", sagt der SPD-Politiker am Donnerstag nach einem Krankenhaus-Gipfel von Bund und Ländern.

Viele Kliniken in Deutschland sind selbst ein Fall für die Notaufnahme. Im ersten Jahr der Corona-Pandemie sind die Patientenzahlen und damit auch die Einnahmen deutlich gesunken. Die Kinderkliniken dagegen sind überlastet. Die Inflation treibt auch für den Gesundheitsbereich die Kosten in die Höhe. Viele Kliniken brauchen zudem dringend Investitionen in Technik, Ausstattung und Gebäude.

Hinzu kommt der Fachkräftemangel: Der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft (DKG) zufolge hatten im vergangenen Jahr 90 Prozent der Krankenhäuser Probleme, Pflegekräfte und anderes Personal zu finden. Das Problem könnte sich noch verschärfen: "Wir verabschieden in den nächsten zehn, 15 Jahren viele Menschen in den wohlverdienten Ruhestand, vor allem im Bereich Pflege", warnt Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD).

Das System Fallpauschale als Problem

Seit der Wiedervereinigung sind mehr als 500 Krankenhäuser in Deutschland geschlossen worden – und diese Entwicklung könnte weitergehen. Eine "Insolvenzwelle" rolle jetzt an, teilte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß vor kurzem mit. Gesundheitsminister Lauterbach zufolge haben 60 Prozent der Krankenhäuser finanzielle Probleme.

Lauterbach hat ein zentrales Problem ausgemacht: die Finanzierung über die Fallpauschalen, die er einst selbst als Experte mit angeschoben hat. Krankenhäuser bekommen für die Behandlung eines kranken Patienten eine Fallpauschale oder DRG; also einen Festbetrag, der sich nach der Art der Behandlung richtet. Die Krankenhäuser finanzieren sich zum allergrößten Teil über diese Fallpauschalen. Deutschland hat das Modell im internationalen Vergleich auf die Spitze getrieben.

Die Folge: Gerade viele kleinere Kliniken müssen praktisch jeden Patienten aufnehmen, da sie auf die Fallpauschalen angewiesen sind. Das setzt nicht nur die Belegschaft unter Druck. Es mindert auch die Qualität der Behandlung, wenn Krankenhäuser Eingriffe vornehmen, auf die das Personal eigentlich nicht spezialisiert ist. "Die Kliniken müssen aus dem Hamsterrad heraus: Bisher müssen sie immer mehr Eingriffe machen, um überhaupt überleben zu können", sagte Lauterbach im November im Interview mit unserer Redaktion.

Krankenhausreform: Die Vorschläge der Expertenkommission

Eine von Lauterbach eingesetzte Krankenhaus-Kommission hat im Dezember Reformvorschläge vorgelegt. Sie sollen den wirtschaftlichen Druck der Krankenhäuser mildern. Die Kliniken sollen neben den Fallpauschalen künftig auch eine Grundfinanzierung bekommen, also eine bestimmte Vergütung, unabhängig von Patientenzahl und Behandlungen. Wie hoch dieser Betrag ausfällt, hängt vom jeweiligen Krankenhaus ab. Die Kommission schlägt die Einteilung in drei Klassen vor:

  • Kleinere Krankenhäuser (etwa im ländlichen Raum), die nur eine Grundversorgung anbieten, also alltägliche Operationen oder eine Notfallversorgung
  • Schwerpunktkliniken, die sich neben der Grundversorgung auch auf bestimmte Leistungen und Eingriffe spezialisieren
  • Kliniken mit einer "Maximalversorgung", zum Beispiel Universitätskliniken

Diese Rangfolge soll die medizinische Versorgung verbessern: Für eine Prostata-Operation zum Beispiel müssten Patienten dann möglicherweise einen weiteren Weg zu einer Schwerpunktklinik in Kauf nehmen. Allerdings bekommen sie dort tendenziell auch eine bessere Behandlung.

Kind im Krankenhaus.

Krankenhaus-Chef sieht Rot: Situation der Kinderkliniken ist "dramatisch"

Die angespannte Lage an den Kinderkliniken belasten zunehmend das gesamte Gesundheitssystem. Krankenhaus-Chef Gerald Gaß warnt: "Wir erleben gerade, dass alle Bereiche der Gesundheitsversorgung an ihre Grenzen stoßen."

Die offene Frage: Machen Länder und Verbände mit?

Eine große Krankenhausreform gilt als Lauterbachs wichtigstes Vorhaben für seine Amtszeit. Ein Fragezeichen steht aber hinter der Umsetzung, denn auf Länder, Kommunen, Betreiber und Verbände kämen schwierige Entscheidungen zu: Welche Kliniken können sich worauf spezialisieren? Welche bieten nur noch eine Grundversorgung, welche werden vielleicht ganz geschlossen?

Für die Krankenhaus-Planung sind die Länder zuständig. Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat bereits Bedenken angemeldet: "Es kann nicht riskiert werden, dass durch zentralistische Planung von heute auf morgen bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen zerstört werden", sagte er am Mittwoch. Die Vorschläge der Kommission gefährden aus seiner Sicht die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum.

Holetschek war beim Bund-Länder-Gipfel am Donnerstag dann aber gar nicht dabei: Er war zur Totenmesse für Papst Benedikt XVI. nach Rom gereist. Lauterbach hält es für ein Missverständnis, dass es um die Schließung kleinerer Krankenhäuser gehe. Viel mehr wolle er die Möglichkeit schaffen, diese Kliniken vor einer Insolvenz zu schützen. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sieht das ähnlich. Das Ziel sei kein "Krankenhaus-Schließungsplan", sagt er am Donnerstag bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Lauterbach. Viel mehr müsse man regeln: Wer macht was?

Karl Lauterbach will ersten Gesetzentwurf bis zum Sommer

Die Deutsche Krankenhaus-Gesellschaft ist skeptisch, weil durch die Reform nicht mehr Geld ins System komme. "Die Reform soll nach Vorstellung der Kommission die aktuellen Mittel nur umverteilen", kritisierte DKG-Chef Gerald Gaß gegenüber t-online.de.

Wie viel diese Reform die Krankenkassen und den Staat kosten wird, kann Lauterbach noch nicht sagen. Für ein "Preisschild" sei es zu früh. Allerdings nimmt er sich einen durchaus ehrgeizigen Zeitplan vor: Bis zum kommenden Sommer soll es einen ersten Entwurf für ein Gesetz geben.

Verwendete Quellen:

  • Deutsche Presse-Agentur
  • Bundesgesundheitsministerium: Reformvorschläge der Krankenhaus-Kommission Qualität und Angemessenheit als Kriterien für Krankenhaus-Reform
  • Pressemitteilung der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft: DKG zum DKI-Krankenhaus-Barometer 2022 – Krankenhaus-Insolvenzwelle rollt an
  • t-online.de: Wichtige Gesundheitsreform: Wo Lauterbach jetzt liefern muss
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