Carsten Stormer hat in seinem "War Diary" mit erschütternden Bildern seine ganz persönliche Sicht auf den syrischen Bürgerkrieg dokumentiert. Im Interview erklärt der Reporter, welche Eindrücke ihn nicht mehr loslassen, wie viel Gewalt den TV-Zuschauern zumutbar ist und warum er das Desinteresse an dem Konflikt nicht versteht.
Herr Stormer, Sie haben fünf Jahre aus Syrien berichtet. Wann werden Sie wieder in das Bürgerkriegsland zurückkehren?
Carsten Stormer: Nach jetzigem Stand gar nicht. Die Gebiete, die mich interessieren, in die komme ich gar nicht mehr rein. Die Grenze über die Türkei ist zu. Die Grenze über den Libanon ist zu.
Und bei den syischen Kurden sind die Regeln für Journalisten ziemlich restriktiv. Außerdem sind die Leute aus der Zivilgesellschaft, die im Land etwas zum Besseren verändern wollten, fast alle tot oder geflüchtet.
Also ist das Kapitel Syrien für Sie abgeschlossen?
Nein, keinesfalls. Sobald ich wieder die Möglichkeit habe, reinzukommen und frei zu recherchieren, würde ich das machen. Aber es darf keine Selbstmordaktion sein, wie es bei vergangenen Reisen teilweise gewesen ist. Ich wäre einmal fast entführt worden.
Wie heftig waren die Verhältnisse in Syrien im Vergleich zu anderen Kriegsschauplätzen wie Afghanistan oder Darfur?
Syrien hat alles in den Schatten gestellt.
Warum?
Wegen der ungeheuren Brutalität. Man konnte ohne Probleme bis ganz nah an die Front gehen. Man konnte alles sehen, wenn man das wollte. Seit Vietnam war das wahrscheinlich in dieser Form nicht mehr möglich.
Im Irakkrieg ab 2003 und auch in Afghanistan war der Zugang viel restriktiver. Die Brutalität blieb oft im Verborgenen.
Gibt es ein Bild, dass Sie nicht mehr loslässt?
Das sind ganz, ganz viele. Ich habe gesehen wie ein Scharfschütze der Freien Syrischen Armee von einem Scharfschützen der Syrischen Armee erschossen wurde, direkt neben mir. Ich habe den Mann in ein Feldlazarett begleitet, wo er verstorben ist. Sein Sohn oder Neffe kam vorbei und hat fürchterlich geweint.
Ich habe mich danach geschämt, dass ich ihn mit meiner Kamera bei seiner Trauer belästigt habe. Das ist ein Bild, was immer wieder auftaucht. Man sieht einfach zu viele sterbende Menschen.
Sie sind an einer Posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt. Sind die Symptome wie schlechter Schlaf oder Stimmungsschwankungen völlig verschwunden?
Nein, die gehen nie zu 100 Prozent weg. Sie tauchen auf wie ein hartnäckiger Schnupfen. Man muss Wege finden, damit zu leben und offen damit umgehen. Ich habe mir Hilfe bei einer Therapeutin gesucht und spreche viel mit Freunden und der Familie darüber.
Eine Depression ist mir Gott sei Dank erspart geblieben. Mir geht es gut. Ich bin nachts nie schreiend aufgewacht.
Der Tagesspiegel kritisierte am Kriegstagebuch, Sie würden ihre "persönliche Betroffenheit zuweilen plakativ ins Bild rücken".
Das kann so wirken. Aber es ist mein Weg, damit umzugehen. Ich will mit diesen Bildern nicht alleine gelassen werden. Damit kann man nicht alleine klarkommen. Ich will andere Menschen ermuntern, ebenfalls offen damit umzugehen und ihre Gefühle zu zeigen.
Was denken Sie über die Aufmerksamkeit für den Syrienkrieg in den deutschen Medien?
Die ist viel zu gering. Keine deutsche Redaktion – außer Spiegel, Zeit und Bild – hat eigene Leute hingeschickt. In anderen Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Italien oder den USA ist das Interesse der Redaktionen viel größer.
Dieses leicht inszenierte Höhlendrama in Thailand hat die Welt wochenlang in Atem gehalten. Wenn man sieht, wie viel Leid in Syrien geschehen ist und geschieht, steht das in keinem Verhältnis.
Nur zu Beginn der Flüchtlingskrise und beim Aufkommen des IS war das Interesse größer.
Frage: Haben Sie eine Erklärung für das Desinteresse?
Nein, ich habe grundsätzlich kein Verständnis für Desinteresse. Ich verstehe das Desinteresse auch nicht, da dieser Konflikt uns direkt betrifft.
Hat es Sie geärgert, dass der Film an einem Wochentag um 22.55 Uhr ausgestrahlt wurde?
Natürlich hätte ich mir eine Ausstrahlung an einem Samstag um 20.15 Uhr gewünscht. Aber nach vielen Versuchen und vielen Absagen von Redaktionen war ich froh, dass er überhaupt gezeigt wurde.
Dies ist in erster Linie dem Regisseur Mark Wiese zu verdanken, der die Bilder arrangiert und Kontakte zu Sendern, Geldgebern und Produktionsfirmen hergestellt hat.
Im Fernsehen und Kino hat man sich an Gewalt praktisch gewöhnt. Wie viel echtes Elend und echte Gewalt kann man den Zuschauern zumuten?
Der Film war brutal, das war harter Tobak. Wobei wir zusammen schon entschieden haben, die brutalsten Szenen erst gar nicht auszustrahlen. Ich hätte die eine oder andere Szene eigentlich gern noch gezeigt, denn die Menschen müssen damit konfrontiert werden, was vor Ort geschieht.
Allerdings ist die Schere im Kopf am Ende vielleicht ganz gut. Ich als Krisenreporter bin natürlich viel mehr echte Gewalt gewohnt als die TV-Zuschauer.
In einer Szene geraten Sie nach einem Reifenplatzer an der Front unter Beschuss. Haben Sie eigentlich Angst vor dem Tod in solchen Momenten?
Da wird so viel Adrenalin ausgeschüttet, dass ich gar nicht darüber nachdenken kann. Das kommt erst Monate später hoch, eben in Form einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Für Todesangst ist an der Front keine Zeit.
Der Süddeutschen Zeitung sagten Sie in einem Interview, Sie "brauchen den Hexenkessel, die Todsünde, die Halunken, die Hoffnungsvollen und die Helden". Wie lange wollen Sie den Job noch machen?
Ich hoffe nicht, dass der Zeitpunkt kommt, an dem ich sage: Ich habe zu viel erlebt. Ich hoffe, dass ich weiter das Engagement aufbringe, um wichtige Themen zu begleiten.
Sei es in Krisengebieten oder im Dschungel von Borneo, wo ich zuletzt zwei Wochen über die Rodung der Urwälder und die Vertreibung der Waldnomaden berichtet habe.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.