• Spannungen zwischen Kosovo und Serbien drohen auf dem Westbalkan militärisch zu eskalieren.
  • Russland hat sich in den Konflikt eingeschaltet und stellt sich hinter Serbien, das den unabhängigen Status von Kosovo nicht anerkennt.
  • Ein Experte erklärt, worin die wichtigen Unterschiede zwischen Krim und Kosovo bestehen.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Spannungen im Norden Kosovos lösen derzeit internationale Besorgnis aus. Serbien hatte zuletzt die Kampfbereitschaft seiner Truppen in Grenznähe angeordnet, Kosovo daraufhin den größten Grenzübergang zum Nachbarland geschlossen.

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Entbrannt waren die jüngsten Eskalationen unter anderem durch die Festnahme eines früheren serbisch-kosovarischen Polizisten. Er soll während eines Protestes einen kosovarischen Kollegen angegriffen haben. Bei anschließenden Protesten von Serben in Kosovo kam es zu Straßenblockaden, Schüssen und Explosionen. Ende Dezember kündigte Serbiens Präsident Aleksandar Vucic nach drei Wochen den Abbau der Barrikaden an.

Kosovo ist seit 2008 unabhängig

Das heute ganz überwiegend von Albanern bewohnte Kosovo gehörte früher zu Jugoslawien, später zum Rechtsnachfolger Serbien. 2008 erklärte es seine Unabhängigkeit. Deutschland erkennt die Republik Kosovo als unabhängigen Staat an. Serbien bestreitet den Status allerdings und beansprucht das Territorium des Landes für sich.

Im Fokus steht dabei vor allem das Gebiet nördlich der Stadt Mitrovica, welches direkt an Serbien angrenzt und wo fast nur ethnische Serben wohnen. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic gibt sich als Kriegstreiber und ermuntert die dort lebenden Menschen immer wieder, die Hoheit des kosovarischen Staates nicht anzuerkennen.

Kosovo-Entscheidung als Blaupause für Russland?

Auch Russland hat der Konflikt auf den Plan gerufen. Moskau sicherte Serbien seine Unterstützung zu. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte: "Wir haben sehr enge Beziehungen als Verbündete mit Serbien, historische und spirituelle". Man unterstütze Belgrad bei all seinen Maßnahmen, die ergriffen werden und verfolge sehr aufmerksam, was in Kosovo passiere und wie die Rechte der Serben dort gewahrt würden.

Für Russland spielt der Konflikt keine unwichtige Rolle: Die Krim-Annexion rechtfertigt Moskau auch mit Verweis auf die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien. Tatsächlich haben sich auf den ersten Blick zwei Gebiete für die Loslösung von einem souveränen Staat entschieden. Die eine wird international vielfach anerkannt, die andere nur von wenigen, russlandfreundlichen Staaten.

Warum wurde Kosovo international größtenteils anerkannt, die Krim-Loslösung aber nicht? "Für die Anerkennung oder Nichtanerkennung von Sezessionen durch die bestehende Staatenwelt oder Einzelstaaten gibt es keine rundum eindeutige Kriterienliste", schickt Konrad Clewing voraus. Der jeweilige Einzelfall, also seine Bewertung wie auch das faktische Kräfteverhältnis und die jeweilige internationale Konstellation spielten stets eine wichtige Rolle.

"Grundsätzlich ist das Sezessionsrecht eine Sonderform des Selbstbestimmungsrechts der Völker", sagt er. Dieses Selbstbestimmungsrecht sei eines der fundamentalen Rechte der Völkerrechtsordnung. "Seine Inanspruchnahme per Sezession eines staatlichen Teilgebiets konkurriert aber mit dem ebenfalls grundlegenden Recht der vorhandenen Staaten auf Achtung ihrer Souveränität und Unverletzlichkeit ihrer Grenzen", erklärt Clewing.

Habeck sieht Russland auf Weg zur Niederlage in der Ukraine

Es ist noch kein Jahr her, dass Russland seinen großen Feldzug gegen die Ukraine gestartet hat. Viele erwarteten eine rasche Niederlage der Ukraine - doch es kam anders. Minister Habeck verspricht dem Land weitere Unterstützung. (Bildquelle: Kay Nietfeld/dpa)

In der Abwägung werde dabei das Sezessionsrecht in der internationalen Staatenpraxis meistens als unerwünscht hintenangestellt, weil es zumindest vorübergehend mit Instabilität einhergehe. "Geschichtlich betrachtet ist Sezession aber eine besonders übliche Form von Staatenbildung: So ist beispielsweise Serbien, das dem Kosovo ein Recht auf Sezession bestreitet, einst selbst per Sezession aus dem Osmanischen Reich hervorgegangen", erinnert der Experte.

Grundvoraussetzungen für eine Sezession sei das Vorhandensein eines klaren Territoriums und von Bevölkerungsverhältnissen, die die Bevölkerung dieses Territoriums als Volk erkennbar machen. "Beides trifft auf Kosovo zu", sagt Clewing mit Blick auf die Geschichte.

Gemeinsamkeiten von Krim und Kosovo

In der internationalen Praxis und in der Mehrheitsmeinung der Völkerrechtler komme noch ein Kriterium hinzu: Die Bevölkerung muss durch den Staat, gegen den die Sezession gerichtet ist, starker Diskriminierung ausgesetzt gewesen sein. "Die große kosovo-albanische Mehrheit war in der Tat durch Serbien seit Ende der 1980er Jahre und dann im Kosovokrieg von 1998/99 massiver Diskriminierung und Unterdrückung ausgesetzt", erinnert der Experte.

Was Kosovo und Krim gemeinsam haben: Beide sind politisch-geografisch gut abgrenzbare Territorien, sogar die Bevölkerungsgröße ist mit etwa zwei Millionen Menschen nahezu gleich. "Grundsätzlich kommen beide als Träger des Selbstbestimmungsrechts infrage", sagt Clewing daher.

Warum der Vergleich trotzdem unzulässig ist

Aber anders als in Kosovo durch Serbien fehle auf der Krim das Kriterium umfassender ethnopolitischer Diskriminierung durch die Ukraine, sodass die Sezession dort keinen Notwehrcharakter gehabt habe. "Außerdem haben die Ereignisse auf der Krim nicht zu einer eigenen unabhängigen Staatlichkeit geführt, sondern zur Einverleibung der Krim durch einen Drittstaat, also die Annexion durch Russland", analysiert der Experte.

Der Verstoß gegen den konkurrierenden Grundsatz der territorialen Integrität des vorhandenen Staates, also der Ukraine, sei daher besonders offensichtlich und schwerwiegend.

Die Bevölkerungsmehrheit auf der Krim sei außerdem viel weniger als eigenständiger Akteur im Sinne des Sezessionsrechts hervorgetreten als die Bevölkerung von Kosovo. "Dadurch ist die russische Erlangung der faktischen Herrschaftsgewalt über die Krim 2014 de facto durch Annexion und in erster Linie durch Russland selbst erfolgt", analysiert Clewing. Den Ereignissen sei zunächst eine anfänglich getarnte russische Militärinvasion auf der Krim vorausgegangen.

Völkerrechtswidriges Vorgehen durch Moskau

"Und obwohl Russland vielleicht sogar eine Mehrheit der örtlichen Bevölkerung für einen Anschluss an Russland hätte erlangen können, hat es jede freie Abstimmung darüber unmöglich gemacht", sagt Clewing. Beispielsweise sei die angebliche Abstimmung im Regionalparlament der Krim unter selektiver Zulassung der Abgeordneten und drohender Anwesenheit russischer Bewaffneter im Abstimmungsraum erfolgt.

Bei der anschließend überhastet durchgeführten "Volksabstimmung" hätten Gegner des Anschlusses an Russland sich nicht ohne Gefahr für Leib und Leben artikulieren können. Außerdem habe Russland durch sein Vorgehen bei all dem bestehende bilaterale Verträge mit der Ukraine gebrochen.

Welche Staaten die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen

Zu den Ländern, die die Krim offiziell als Teil Russlands anerkannt haben, gehören beispielsweise Syrien, Kirgisistan und der Sudan. Sie alle erkennen gleichzeitig Kosovo nicht als unabhängigen Staat an. Damit sind sie allerdings nicht alleine: "In der Tat erkennt eine erhebliche Minderheit der UN-Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an", sagt Clewing. Außer Serbien und dessen traditionellem Verbündeten Russland seien das beispielsweise China, Indien oder Argentinien und andere Länder, die den vom Westen unterstützten Kosovo gerade deshalb ablehnten, weil sie gegenüber dem Westen grundsätzlich skeptisch oder feindlich eingestellt seien.

Doch auch die fünf europäischen Staaten Griechenland, Spanien, Zypern, Slowakei und Rumänien betrachten den Kosovo offiziell noch als Teil Serbiens. Die Ablehnung innerhalb der EU erfolgt aus einem anderen Grund, erklärt Clewing: etwa der Angst vor möglichen Parallelen zwischen einem Selbstbestimmungsrecht für Kosovo und eigenen Minderheitenproblemen. In Spanien sorgt man sich beispielsweise vor einer Abspaltung Kataloniens, in Zypern geht es um den Status von Nordzypern und in Rumänien blickt man skeptisch auf die ungarische Minderheit in Siebenbürgen.

"Indem sie damit diese Probleme indirekt auf eine Stufe mit Kosovo heben, agieren sie im Grunde erstaunlich unklug, denn anders als durch Serbien gegenüber Kosovo fehlt in ihren Fällen die für das Sezessionsrecht grundlegende Diskriminierung der betroffenen Minderheiten durch sie selbst", sagt Clewing.

Über den Experten: Dr. Konrad Clewing ist Historiker am Leibniz-Institut für Ost- und Südost-Europaforschung.
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