Die Bundeswehr soll familienfreundlicher werden – und zugleich mehr Präsenz im Ausland zeigen. Die Pläne von Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) könnten widersprüchlicher kaum sein. Oder eben auch nicht.

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Wenn junge Soldaten auf ihrem ersten Orientierungsmarsch unterwegs sind, verlaufen sie sich. Egal, wie viele Pfadfinderlager sie besucht haben, wie oft ihnen Papa den Umgang mit dem Kompass erklärt hat – beim ersten Mal stehen sie alle irgendwann vor einem Baum und wissen nicht weiter, weil sie nicht wissen, wo sie sind. Orientierung bei der Bundeswehr hat so viele Facetten, dass selbst der sichere Umgang mit Standardgerätschaften wie Karte und Kompass nicht ausreicht, um sich nicht zu verlaufen. Diese Erfahrung macht gerade auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. So scheint es jedenfalls.

Zwar hat die CDU-Frau jahrelange Erfahrung auf dem politischen Parkett, auch in hohen Staatsämtern. Doch die Pläne, die sie in den vergangenen Wochen als ihre Pläne für die Zukunft der Bundeswehr vorgestellt hat, könnten widersprüchlicher kaum sein. Angekommen im ungewohnten Alltag des Militärs, marschiert von der Leyen mal stramm in die eine Richtung; nur um auf dem Weg dahin, Halt zu machen, sich umzusehen – und sich dann für den Gang in genau die andere Richtung zu entscheiden.

Mehr Familienfreundlichkeit - aber wie?

Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt verkündete von der Leyen noch, sie wolle die Bundeswehr familienfreundlicher machen. In ihrer Lesart meint das nicht nur mehr Krippen- und Kitaplätze für die Kinder von Soldaten und Soldatinnen, am besten in unmittelbarer Nähe von Kasernen. Sondern, so erklärte sie es vor wenigen Tagen im Bundestag, das meine auch mehr Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit und weniger Versetzungen im Laufe eines Dienstlebens.

Nun allerdings drängt die Verteidigungsministerin darauf, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, heißt: Die Bundeswehr noch häufiger als bisher im Ausland einsetzen, "schon allein aus humanitären Gründen", wie es von der Leyen in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" mit Blick auf einen verstärkten Einsatz der Streitkräfte in Afrika formulierte.

Wie von der Leyen dergestalt gleichzeitig in die eine Richtung marschieren und in der anderen ankommen will, das ist bislang noch ihr Geheimnis. Mehr als Absichtserklärungen hat sie noch nicht vorgelegt. Nicht nur, dass mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen unter anderem bedeutet: Einen höheren Anteil der Bundeswehrsoldaten als bislang für Auslandseinsätze einsatzbereit zu machen; für eine bessere Luftverlegbarkeit der Truppe zu sorgen; die Deutschen darauf vorzubereiten, dass mehr Auslandseinsätze auch mehr Gefahren und damit auch mehr Gefallene bedeuten – und das alles vor dem Hintergrund einer in der Truppe sehr umstrittenen Bundeswehrreform. Dabei soll die Zahl der Soldaten von etwa 250.000 (im Jahr 2010) auf künftig nur noch circa 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie bis zu 15.000 freiwillig Wehrdienstleistende verkleinert werden.

Vor allem ist bislang völlig offen, wie von der Leyen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Bundeswehr damit in Einklang bringen will, dass Väter und Mütter demnächst noch öfter für mehrere Monate von zu Hause fort sein sollen, um überall auf der Welt humanitäre Hilfe zu leisten und zugleich deutsche Sicherheitsinteressen zu verteidigen. Denn so sehr von der Leyen in der Theorie recht hat: Nur motivierte Streitkräfte, die ein attraktiver, familienfreundlicher Arbeitgeber sind, werden fähigen Nachwuchs anziehen können, der den hohen Anforderungen des Soldatenalltags im 21. Jahrhundert gerecht wird – und damit überhaupt regelmäßig rund um den Erdball eingesetzt werden kann. In der Praxis aber ist es äußerst zweifelhaft, ob diese beiden Ziele sich jemals miteinander in Einklang werden bringen lassen.

Von der Leyen hat persönliche Zukunft im Blick

Bis es zu dieser Richtungsentscheidung kommt, sagt allerdings das Tempo, in dem die 55-Jährige mit Vorschlägen zur Zukunft der Bundeswehr vorprescht, viel über ihre eigenen politischen Ambitionen aus. Immer wieder war in der Vergangenheit spekuliert worden, von der Leyen gelte als eine mögliche Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und eingedenk ihrer vielbeachteten Vorschläge, die von der Leyen in ihrem neuen Amt nun schon gemacht hat und eingedenk der Medienberichte, nach denen sie sich selbst als Verteidigungsministerin ins Gespräch gebracht und ihren Parteifreund und Amtsvorgänger Thomas de Maizière ausgebootet haben soll, spricht vieles dafür, dass sie diese Option tatsächlich im Blick hat.

Mehr noch: Von einer persönlichen von-der-Leyen-Perspektive aus gesehen machen beide Vorschläge trotz ihrer verteidigungspolitischen Widersprüchlichkeit sogar Sinn; nicht militärisch, aber eben mit Blick auf die Karriereplanung der machtbewussten Frau, für die es in den vergangenen Jahren auf der Karriereleiter immer nur aufwärts ging. So konnte von der Leyen sich erstens mit ihrer Familienfreundlichkeits-Offensive als Kümmerin präsentieren und dabei ihre als Familienministerin erworbenen Kenntnisse anwenden.

Zugleich gelang es ihr so, eine Idee zu präsentieren, die auf ihr Bekanntem fußte, während sie in ihrem neuen Umfeld noch keine nennenswerten Erfahrungen vorweisen kann. Zweitens unterstreicht von der Leyen mit ihrem Vorstoß für mehr Auslandseinsätze nun wenige Wochen später, dass sie eine globale Sicht auf die Welt – meint: das große Ganze im Blick – hat. Außenministerin, so heißt es, wäre von der Leyen in diesem Kabinett auch gerne geworden.

Der Orientierungsmarsch der Ursula von der Leyen ist deshalb wohl auch einer, bei dem sie mögliche Ämter für ihre Zeit nach dem Verteidigungsressort als Ziel fest im Blick hat. Sie sucht den Weg dahin. Das Terrain – Verteidigungspolitik – ist für eine solche Übung allerdings alles andere als einfach.

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