Spielen, lachen, Kind sein – das ist für die Kinder im Sudan seit über einem Jahr nicht mehr möglich. Seit dem Ausbruch des Krieges geht es für viele nur noch ums bloße Überleben. UNICEF-Geschäftsführer Christian Schneider berichtet, was der Krieg anrichtet.

Ein Interview

Seit April 2023 tobt im Sudan ein Krieg, der das Land in die schlimmste Hunger- und Vertreibungskrise seit zwei Jahrzehnten gestürzt hat. Vor allem Kinder leiden unter den Folgen: Gewalt, Hunger und Unsicherheit prägen ihren Alltag.

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Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, ist vor Ort. Er trifft Kinder, die akut vom Hungertod bedroht und durch Flucht und Gewalt traumatisiert sind.

Herr Schneider, wie ist die Lage bei Ihnen vor Ort?

Christian Schneider: Wir suchen selbst noch nach Worten für das, was wir hier im Land sehen. Die Folgen des Krieges treffen besonders die Kinder schwer – und das Grauen, das sie erleben, hat viele Gesichter.

Was genau meinen Sie damit?

Wir stehen vor einer humanitären Katastrophe, die sich zur größten Vertreibungskrise für Kinder entwickelt hat. Rund 730.000 Kinder im Sudan sind akut mangelernährt, und diese Zahl könnte im nächsten Jahr auf 770.000 steigen. Ein Ende dieses Albtraums ist nicht in Sicht, da viele Menschen weiterhin auf der Flucht sind und die Kämpfe andauern. In den umkämpften Gebieten fehlt es an allem, was Kinder zum Überleben und für ihre Entwicklung brauchen: Nahrung, medizinische Versorgung und Sicherheit. Hinzu kommen schwere Kinderrechtsverletzungen wie Tötungen, Vertreibungen, Verstümmelungen und sexualisierte Gewalt. Allein bis Oktober dieses Jahres wurden 1.500 solcher Fälle dokumentiert.

Krieg im Sudan - Warum in dem Land gekämpft wird

  • Am 15. April 2023 brach im Sudan ein bewaffneter Konflikt zwischen den Sudanese Armed Forces (SAF) unter General Abdel Fattah al-Burhan und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Mohamed Hamdan "Hemedti" Dagalo aus.
  • Der Krieg ist ein Machtkampf um die Kontrolle über den Staat und dessen Ressourcen. Er wurde durch die gescheiterte Übergangsregierung nach dem Sturz des Diktators Omar al-Bashir im Jahr 2019 angeheizt.
  • Die Kämpfe haben zu einer Krise geführt, die Millionen von Menschen zur Flucht zwingt.

"Extreme Bedingungen": Wenn Spielen zur Nebensache wird

Können Kinder unter diesen Umständen noch Kinder sein?

Den Kindern drohen jederzeit Gewalt oder sogar der Tod. Viele Familien haben erzählt, dass sie von einem Tag auf den anderen ihre Häuser verlassen mussten. Ein geregelter Alltag ist derzeit nicht möglich. Zudem sind sehr viele Schulen zerstört oder beschädigt. Es gibt über 3.000 Schulen, die als Flüchtlingscamp dienen, unter einfachsten Bedingungen, weil es kein fließendes Wasser, kaum Toiletten gibt. Das heißt auch, von etwa 19 Millionen Kindern können 17 Millionen im Sudan nicht zur Schule gehen – seit Monaten oder teilweise seit anderthalb Jahren.

Haben Sie persönliche Erlebnisse, die die Situation der Kinder verdeutlichen?

Wir waren in einem sogenannten Stabilisierungszentrum für mangelernährte Kinder, das auch von UNICEF unterstützt wird. Dort werden lebensbedrohlich kranke Kinder aufgenommen – etwa 40 Kinder in einem kleinen Raum mit 15 Betten. In jedem Bett lagen zwei bis drei Kinder mit ihren Müttern unter extremen Bedingungen. Besonders berührt haben mich ein fünfjähriges Mädchen, das völlig abgemagert war, sowie kleine Kinder, die kaum noch Lebenszeichen zeigten.

Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF, in einem digitalen Lernzentrum für Kinder im Flüchtlingscamp in Port Sudan. © Unicef Dokumentation

"Immer weiter flüchten": Leben in anhaltender Angst

Wie geht es den Menschen in den Flüchtlingslagern?

Gestern haben wir ein Flüchtlingscamp in Port Sudan besucht. Dort leben etwas mehr als 400 Menschen unter sehr einfachen Bedingungen, darunter viele Kinder. Wir haben dort mit Areef, einem 13-jährigen Mädchen, und ihrer siebenjährigen Schwester Mariam gesprochen. Sie erzählten uns, wie sie auf der Flucht immer wieder unter Beschuss gerieten und bedroht wurden. Auch andere Familien berichteten von vielen Tagen der Angst während der Flucht.

Viele Kinder kommen unglaublich verängstigt und verschlossen zu uns. Sie sprechen nicht und ihre Mütter erzählen von Albträumen, Bettnässen und anderen Schwierigkeiten. Und dann zu sehen, wie die Kinder den Weg zurückfinden, macht Hoffnung.

Wie genau kann man sich eine solche Flucht vorstellen?

Es gibt verschiedene Szenarien. Uns haben einzelne Familien erzählt, dass sie in größeren Gruppen flohen, manche mit der Großmutter, einer Schwägerin und einer ganzen Reihe von Kindern. Manche waren vier Tage und länger zu Fuß unterwegs und gerieten immer wieder zwischen die Fronten. Andere versuchten, mit Autos oder kleinen Bussen zu fliehen, wobei sie manchmal beschossen wurden. Ein Mädchen erzählte, dass sie während der ganzen Flucht dachte, sie müsse jetzt mit ihrem Leben abschließen. Viele müssen immer weiter flüchten – und mit der Zeit gehen ihnen das Geld und die letzten Ressourcen aus.

In welchem Zustand sind die Kinder?

Viele kommen stark abgemagert, lethargisch und in lebensbedrohlichem Zustand an. Oft leiden sie zusätzlich an Krankheiten wie Haut- oder Durchfallerkrankungen, die ihre Situation noch verschlimmern. Doch trotz aller Bemühungen können wir nicht alle erreichen – vor allem Kinder in entlegenen Kriegsgebieten oder auf der Flucht. Sie bleiben gefangen in einem tödlichen Kreislauf aus Hunger und Krankheit.

Panzer, Militäruniformen, Schüsse: Wie Krieg Kinder prägt

Wie hilft das Kinderhilfswerk UNICEF diesen Menschen?

Wir waren gestern in einem Camp. Da hat UNICEF unter anderem ein Zelt aufgebaut, in dem die Kinder mit Tablets online lernen können. Ein Zelt weiter haben wir einen sogenannten kinderfreundlichen Ort eingerichtet. Dort können die Kinder spielen und zusammen sein. Viele haben anfangs Bilder von Panzern gemalt, von Schützen in Militäruniformen, die auf Menschen oder Häuser schießen.

Sie haben also ihre Erlebnisse verarbeitet.

Ja, aber die Kinder, die schon ein paar Wochen da waren, die jeden Tag hier unter geschulter Aufsicht spielen konnten und psychosozial betreut wurden, haben fröhlichere Bilder gemalt. Das heißt nicht, dass die Kinder das Erlebte hinter sich gelassen haben, aber man merkt, wie mit so einfachen Mitteln – zumindest für eine gewisse Zeit – wieder ein Moment der Kindheit stattfinden kann.

Solche Fortschritte zu sehen, muss motivierend sein.

Ja. Viele Kinder kommen unglaublich verängstigt und verschlossen zu uns. Sie sprechen nicht und ihre Mütter erzählen von Albträumen, Bettnässen und anderen Schwierigkeiten. Und dann zu sehen, wie die Kinder den Weg zurückfinden, macht Hoffnung.

Weitere UNICEF-Projekte im Sudan

  • Hilfe für mangelernährte Kinder: Jeden Tag erreicht UNICEF 340.000 Kinder mit therapeutischer Nahrung wie Erdnusspaste, um akute Unterernährung zu bekämpfen. Viele der Kinder sind auf der Flucht und leiden unter Hunger.
  • Zugang zu sauberem Trinkwasser: Über 7 Millionen Kinder und ihre Familien wurden im vergangenen Jahr mit Trinkwasser versorgt – oft durch Wassertrucks, die entlegene Gebiete erreichen.
  • Bargeldhilfen: Stand August 2024 hat UNICEF 77.700 Kinder und Familien mit Bargeldhilfen unterstützt, damit sie sich die dringendsten Bedürfnisse erfüllen können.

Wie kann sich die Lage der Menschen im Sudan bessern?

Mein dringender Appell ist: Wir dürfen die Kinder im Sudan nicht vergessen. Sie erleben hier unvorstellbares Leid – mitten in einer Katastrophe, die besonders die Jüngsten am härtesten trifft. Es ist essenziell, der Welt zu zeigen, dass Hilfe selbst unter diesen schwierigen Bedingungen möglich ist. Sie ist dringend nötig, und dafür brauchen wir die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft – in Form von finanziellen Mitteln, aber auch durch Aufmerksamkeit für die Situation vor Ort. Im Sudan herrscht Grauen. Und es dauert weiterhin mit voller Kraft an.

Zur Person

  • Christian Schneider übernahm 2010 die Geschäftsführung von UNICEF Deutschland und wurde 2023 Vorsitzender. Seit 2002 war er in der Organisation als Bereichsleiter für Kommunikation und Kinderrechte tätig und leitete zuvor ab 1998 die Abteilung für Spenderkommunikation und Programme.
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