Die italienische Rechte will die Kultur kontrollieren. Dazu besetzt sie die Schaltstellen in den Kultureinrichtungen des Landes mit eigenen Leuten. Sie will bestimmen, womit sich die Italiener in ihrer Freizeit beschäftigen – und wie sie denken.

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Dante würde das Inferno wohl wieder hinabsteigen, wüsste er, wie es derzeit um Italiens Kulturerbe steht. Das Mittelmeerland hat eines der reichsten Kulturschätze der Welt. Über Jahrzehnte war die italienische Kultur eine Domäne der Linken, aber seit ihrem Antritt im Herbst 2022 läutet die Rechtsregierung den Kulturkampf ein. Außenpolitisch gibt sich die postfaschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zwar staatsmännisch, sodass man sie im Ausland schon als harmlos bezeichnet hat. Doch innenpolitisch strebt sie offenbar danach, zu bestimmen, was die Italiener schauen, hören und lesen.

Und so besetzt Giorgia Meloni die Direktionen von Museen, Jurys, Festivals und akademischen Instituten mit ihren eigenen Leuten. Ganz oben auf der Liste der Meinungsbildung steht die größte Kulturinstitution des Landes, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt RAI mit mehr als einem Dutzend Sender. Dass eine Regierung über die Schaltstellen im Staatsfernsehen entscheidet, ist nicht neu. Melonis Rechtsbündnis ist nicht die erste Regierung, die Personalien an Kunst- und Kulturinstitutionen beeinflusst. Doch geht sie dabei systematisch vor und verwendet Tricks, die ihresgleichen suchen.

Hütchenspiel mit Personalien

So wurde die Personalfrage in der RAI zu einem regelrechten Hütchenspiel. Die letzte Geschäftsführung hatte dort 2021 die unparteiische Regierung von Mario Draghi 2021 mit dem Römer Carlo Fuortes besetzt. Um Platz für eine Person ihres Vertrauens zu gewinnen, präsentierte Meloni Fuortes ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte – und machte für ihn die Intendanz am prestigeträchtigen Teatro di San Carlo in Neapel frei.

Direktoren dürfen das älteste Opernhaus der Welt nur bis zu einem Alter von 70 Jahren leiten. Da die Regelung aber nur für Italiener galt, erweiterte Meloni die Altersgrenze kurzerhand auf Ausländer, sodass der französische Intendant Stéphane Lissner vorzeitig gezwungen wurde zu gehen. RAI-Geschäftsführer Fuortes rückte nach – und Melonis Gefolgstreuer Giampaolo Rossi wurde Generaldirektor der RAI.

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Propaganda per Entertainment

Rossis erklärte Feinde sind: Intellektuelle, Freiwilligenhelfer von NGOs oder Hipster, „Nigerianer wie Weltverbesserer“ sind für ihn „Abschaum des Landes“. Während der Corona-Krise polemisierte der Geschäftsmann mit der Aufforderung, Hannah Arendts Werke über Totalitarismus zu lesen, um die italienische Gesundheitspolitik zu durchschauen. Auch hetzt er regelmäßig gegen den ungarisch-jüdischen US-Investor George Soros, der mit der Stiftung Open Society Foundations Projekte und Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Mit so einem Mann an der Spitze will man sich die Zukunft der Fernsehanstalt kaum ausmalen.

Das ist besonders gefährlich, denn das Fernsehen hat in Italien großen Einfluss: Rund drei Viertel der 35- bis 44-jährigen Italiener schaut täglich fern, in den Altersstufen darüber liegt der Anteil noch höher. Silvio Berlusconi hat vorgemacht, wie sich das Land per Entertainment regieren lässt. Seine Mediaset-Sender bieten heute den Protagonisten der Meloni-Regierung eine Bühne: Wie etwa ihrem ehemaligen Lebensgefährten Andrea Giambruno, der noch bis vor wenigen Monaten in seinem Programm obszön und ungeschoren gegen Frauen, Umweltschützer und deutsche Politiker hetzte.

Rechtsextremer an der Spitze der Biennale

Doch die Rechten wollen nicht nur den Mainstream beeinflussen, sie greifen auch nach Italiens historischem Erbe. Zuletzt machte die neue Direktion des Teatro di Roma Schlagzeile. Die Stiftung vereint die vier wichtigsten Theater der Hauptstadt, das älteste von ihnen ist fast 300 Jahre alt. Kulturminister Gennaro Sangiuliano ernannte den neuen Direktor Luca De Fusco in einem Blitz-Verfahren und unter Ausschluss von Vertretern der Römer Stadtverwaltung. Das sorgte für Empörung, immerhin stammen die meisten Mittel für die Stiftung aus dem Rathaus. Die Mitte-Links-Regierung der Hauptstadt hätte wahrscheinlich gegen De Fusco gestimmt, denn der Regisseur steht Melonis „Fratelli d’Italia“ politisch nah. Auf die Proteste der Kulturszene reagierte die Ministerpräsidentin gewohnt polemisch. „Die Zeiten sind vorbei, eine Stelle bekommt jetzt, wer die Kompetenzen dafür hat, man muss dafür nicht mehr Parteimitglied der Sozialdemokraten sein“, sagte sie.

Auch vor dem internationalen Kunstbetrieb macht der Kulturkampf der Rechten nicht halt. Im März tritt der Rechtsextreme Pietrangelo Buttafuoco sein Mandat als neuer Präsident der internationalen Kunstausstellung Biennale di Venezia an. Der Fernsehproduzent blickt auf eine stramm rechte Laufbahn zurück: In jungen Jahren war er, wie Giorgia Meloni selbst, Mitglied und Anführer der neofaschistischen Jugendorganisation „Fronte della Gioventù“. Später wurde er Mitglied im Nationalrat der postfaschistischen Partei „Alleanza Nazionale“.

Filmbranche in Alarm

Auch, um die nationale Filmbranche umzukrempeln, änderte Meloni die bestehende Ordnung. Für internationale Empörung sorgte ein Gesetz, das in die Struktur des Experimentellen Zentrums für Kinematographie eingriff. Das Zentrum vereint die Nationale Kinemathek und die wichtigste Filmhochschule des Landes. Meloni veranlasste per Dekret den vorzeitigen Austausch der Führungsspitze der Einrichtung. Die wichtigsten Posten sollen künftig direkt durch den Kulturminister besetzt werden.

Über 600 Filmschaffende protestierten in einem Brief gegen den Vorstoß, unter ihnen namhafte Regisseure Wim Wenders, Paolo Sorrentino, Alice Rohrwacher und Marco Bellocchio. Die Präsidentin der Stiftung, Marta Donzelli, trat schließlich freiwillig zurück. Schauspieler und Regisseur Nanni Moretti konstatierte der Regierung „Gewalt und Grobheit“. „Ich hatte ein Vorurteil. Jetzt ist das Urteil schlimmer als das Vorurteil“, hatte er bereits früher über Meloni gesagt.

All das sind nur kleinere Beispiele im Bemühen der Rechten, die Alltagskultur der Italiener zu bestimmen. Dabei stecken sie auch Niederlagen ein: Dem Intendanten Stéphane Lissner gelang es, seinen Posten am Teatro San Carlo zurückzuklagen. Journalist Andrea Giambruno musste seine Show abgeben, nachdem er vor laufender Kamera eine Kollegin sexuell belästigt hatte. Hoffnungsschimmer wie diese können aber nicht davon ablenken, dass sich die Rechtsregierung in Italien klassischer Mittel autokratischer Herrschaft bedient, um eines zu erreichen: Die Gesellschaft umkrempeln, wie es ihr passt.


Verwendete Quellen:


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