• Bei der Auseinandersetzung zwischen Hamas und Israel sind insgesamt schon mehr als 120 Menschen ums Leben gekommen.
  • Auf beiden Seiten des Konflikts spielt auch politisches Kalkül eine relevante Rolle.
  • Israels Ministerpräsident Netanjahu war in der vergangenen Woche daran gescheitert, eine neue Regierung zu bilden.

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Aus Gaza fliegen binnen weniger Tage fast 2.000 Raketen Richtung Israel, die Israelis antworten mit harten Gegenangriffen. Das traurige Ergebnis bisher: 119 Tote auf palästinensischer Seite und acht verstorbene Menschen in Israel. Ein Abklingen des Kreislaufs von Aggression und Reaktion ist dennoch nicht abzusehen. Israels Verteidigungsminister Benny Gantz hat bereits die Mobilisierung von weiteren 9.000 Reservisten genehmigt.

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern spitzte sich während des muslimischen Fastenmonats Ramadan immer weiter zu. Als Auslöser gelten etwa Polizei-Absperrungen in der Jerusalemer Altstadt, die viele junge Palästinenser als Demütigung empfanden. Hinzu kamen Auseinandersetzungen von Palästinensern und israelischen Siedlern im Jerusalemer Viertel Scheich Dscharrah wegen Zwangsräumungen sowie heftige Zusammenstöße auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Scharif).

Die Anlage mit Felsendom und Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen. Der Konflikt greift zunehmend auch auf Orte im israelischen Kernland über - mit Gewalttaten von Arabern gegen Juden und umgekehrt.

Innenpolitisch profitiert vom eskalierenden Konflikt ein Mann ganz besonders: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Er zeigt sich in der Rolle als starker Anführer und Beschützer des Landes und erklärte in der Nacht zu den Angriffen: "Ich habe gesagt, dass Hamas einen sehr hohen Preis zahlen wird." Man werde die Angriffe "mit großer Intensität fortsetzen", sagte er in einer Videobotschaft. "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen und diese Operation wird so lange wie nötig weitergehen."

"So lange wie nötig" bedeutet schlicht: es kann dauern. Diese Perspektive ist nicht nur für die vielen betroffenen Zivilisten auf beiden Seiten des Konflikts schrecklich. Sie sichert auch Netanjahus Position im komplexen politischen Gefüge Israels. Die war zuletzt mindestens wacklig, nachdem es Netanjahu nicht gelungen war, nach der Parlamentswahl Ende März eine Regierungskoalition zu bilden.

Erst vergangene Woche hatte Präsident Reuven Rivlin den Auftrag zur Regierungsbildung schließlich neu vergeben. Der bisherige Oppositionsführer Jair Lapid von der Zukunftspartei sollte eine Koalition formen. "Ich werde alles dafür tun, dass so schnell wie möglich eine israelische Einheitsregierung gebildet wird, damit wir mit der Arbeit für die Bürger Israels beginnen können", sagte Lapid. Netanjahu hätte dieser Regierung mit einiger Sicherheit nicht mehr angehört.

Grundsätzlich hat der vom Präsidenten beauftragte Kandidat in Israel vier Wochen Zeit für die Bildung einer Koalition und kann noch eine zweiwöchige Verlängerung beantragen. Sollte es zu einer Neuwahl kommen, hätte auch Netanjahu möglicherweise wieder die Chance, Ministerpräsident zu werden. Es wäre die fünfte Neuwahl binnen zwei Jahren.

Solange der bewaffnete Konflikt mit der Hamas jedoch fortdauert, wird sich Netanjahu mit diesen Fragen kaum befassen müssen und Ministerpräsident bleiben können. Und je länger der Konflikt dauert, umso stärker kann er sich als Beschützer seines Landes profilieren - keine schlechte Ausgangsposition für eine dann womöglich anstehende Neuwahl.

Die Hamas sendet mit den Angriffen ein Zeichen an Präsident Abbas

Politisches Kalkül jedoch spielt in diesem Konflikt nicht nur auf israelischer Seite eine Rolle. Die militante Hamas sendet mit dem Beschuss Israels auch ein Signal an die rivalisierende Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Der führt die Amtsgeschäfte bereits seit Januar 2009 ohne demokratische Legitimation. Kürzlich hatte er eine geplante Wahl zum wiederholten Mal abgesagt.

In den palästinensischen Gebieten gibt es faktisch zwei Verwaltungen: die der Fatah von Abbas im Westjordanland und die der Hamas im Gazastreifen. Im andauernden Konflikt zwischen den beiden Organsiationen versucht die Hamas nun offenbar, sich durch Aggression gegenüber Israel die Gefolgschaft möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger Palästinas zu sichern. Die Botschaft dürfte lauten: Wir nehmen den Widerstand in die Hand, während Abbas nichts für sein Volk tut!

Damit setzt sich in dem Zwist eine zweite Eskalationsspirale in Gang. Es geht nicht mehr nur um die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern, sondern auch um die zwischen Hamas und Fatah. Letztere hatte bereits vor dem Beschuss Israels durch die Hamas erklärt: "Die Fatah-Bewegung mit all ihren Kräften und ihrer Führung ruft dazu auf, diesen Aufstand fortzusetzen und sich gegen die Besatzungstruppen, die Siedler und ihre terroristischen Organisationen zu stellen, die mit der Unterstützung der rechtsgerichteten faschistischen israelischen Regierung arbeiten.“

Seit Ende 2008 haben Israel und die Hamas sich drei Kriege geliefert. Mehr als 2.100 Palästinenserinnen und Palästinenser und mehr als 70 Israelis wurden 2014 im 50 Tage langen Gaza-Krieg nach Angaben beider Seiten getötet. 18.000 Häuser im Gazastreifen wurden damals nach Angaben der UN-Nothilfeorganisation Ocha zerstört oder beschädigt. Wenn Rhetorik und Gewalt auf beiden Seiten, aber auch zwischen Hamas und Fatah, nun weiter eskalieren, könnte der Region ein vierter Krieg bevorstehen. (mko/dpa)

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