Helfer finden kaum noch Worte, um die schrecklichen Zustände im Gazastreifen zu beschreiben. Und dann kommt es zur Katastrophe an einem Hilfsgüterkonvoi. Nun schaltet sich der Weltsicherheitsrat ein.

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Beim verzweifelten Versuch, ein paar Nahrungsmittel zu ergattern, ist es im Gazastreifen zu einer Katastrophe gekommen. Mindestens 104 Menschen wurden im Gedränge und Chaos um die Lastwagen getötet, wie die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde berichtete.

Die Angaben lassen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Umstände sind völlig unklar. Die Tragödie ereignete sich an dem Tag, an dem die Marke von 30.000 Toten seit Beginn der israelischen Militäroffensive überschritten wurde.

Weltsicherheitsrat trifft sich

Die Gesundheitsbehörde warf der israelischen Armee vor, bei der Hilfsgüterankunft in der Stadt Gaza die wartende Menge angegriffen zu haben. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Israels Armee teilte mit, Dutzende Menschen seien im Gedränge und von fahrenden Lastwagen getötet und verletzt worden.

Der Vorfall beschäftigt auch den Weltsicherheitsrat. Das mächtigste UN-Gremium soll noch heute hinter geschlossenen Türen zusammenkommen. Die Vereinten Nationen fordern eine Untersuchung. Das sagte ein Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres in New York.

Israelische Medien meldeten unter Berufung auf Armeekreise, ein Teil der Menge sei aus nicht genannter Ursache auf israelische Soldaten zugekommen und habe diese gefährdet. Das Militär habe zunächst Warnschüsse in die Luft abgegeben und auf die Beine derjenigen gefeuert, die sich den Soldaten trotzdem genähert hätten. Auch diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Die Lage im Gazastreifen ist desolat: Neben den Toten gibt es mehr als 70.000 Verletzte und Tausende, die unter Trümmern noch vermisst werden. Israel erklärt seine anhaltenden Angriffe damit, dass es die Terrorstrukturen im Gazastreifen vernichten will, nachdem Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel beispiellose Massaker begangen haben. Die Angriffe stürzen dort aber Hunderttausende Kinder, Alte, Kranke, Mütter und Väter ins Elend. Das Leben für die rund 2,2 Millionen Menschen ist zur Hölle geworden. Einige Schlaglichter:

Lebensmittelversorgung

Eine Palästinenserin berichtete der Deutschen Presse-Agentur, ihre 30 Tage alte Tochter sei aufgrund der Lebensmittelknappheit verhungert. Sie habe selbst nicht genug zu essen gefunden und ihr Baby deshalb nicht ausreichend stillen können, sagte Amna Hadschadsch. Die drei älteren Kinder könnten sich vor Hunger kaum noch bewegen. Sie äßen nur eine Mahlzeit am Tag. Weil Schwangere gestresst sind, werden Kinder zu früh geboren und sterben, weil es keine Versorgung für die Neugeborenen gibt, berichtet der UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA).

Jeder vierte im Gazastreifen, mindestens 576.000 Menschen, sei "in einem katastrophalen Ausmaß von Entbehrungen und Hunger bedroht", warnte das Welternährungsprogramm (WFP) gerade im Weltsicherheitsrat. Patienten in Krankenhäusern und Menschen auf der Straße bettelten um ein Glas Wasser oder ein Stück Brot, berichtete die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Schon vor dem Krieg mussten Nahrung, Wasser, Treibstoff und vieles andere aus Israel gebracht werden. Es waren 500 Lastwagen am Tag. Heute ist die Not viel größer, weil die lokale Produktion fehlt, aber im Februar gelangten nach Angaben des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA im Durchschnitt nur knapp 100 Lastwagen pro Tag in den Gazastreifen. Genügend Lebensmittel und Trinkwasser für die gesamte Bevölkerung stehen nach Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA bereit. Israelische Behörden verweigerten Konvois aber ständig Einfahrgenehmigungen.

Gesundheitsversorgung

Er könne sich für seine sechs Kinder, wenn sie krank seien, keine Medikamente leisten, berichtete Hadi Kamal aus dem Gazastreifen der dpa. Das verschlimmere die Situation für die Familie noch weiter, sagte der 52-Jährige, der vor dem Krieg in einem Supermarkt arbeitete.

Von einst 36 Krankenhäusern sind nur noch zwölf teilweise im Notbetrieb, und das, obwohl der Bedarf mit Zehntausenden Verletzten rasant gestiegen ist, wie die WHO berichtet. Sie haben kaum Strom oder Treibstoff für Generatoren. Operiert wird teils bei Kerzenlicht auf dem Fußboden, Verletzte durchleben einen Horror, weil Schmerzmittel und Anästhesie-Mittel fehlen. Chronisch kranke Patienten werden kaum noch versorgt, weil Medikamente oder Strom zum Betreiben von Dialysegeräten fehlen.

Viele Familien schaffen es tagelang nicht, Verletzte oder Kranke in Krankenhäuser zu bringen, weil rund um die Gebäude geschossen wird. Wenn sie ankommen, sind Wunden teils so infiziert, dass Gliedmaßen amputiert werden müssen. Amputiert wird nach WHO-Angaben auch, weil Spezialisten zur Rettung von Gliedmaßen und Säle für mehrstündige Operationen fehlten. Neugeborene sterben nach Angaben des UNFPA, weil Schwangere im Bombenhagel und auf der Flucht oft Frühgeburten erleiden.

Alltag

Die Grundbedürfnisse des Lebens sicherzustellen, nimmt den ganzen Tag in Anspruch. Jeder Weg ist mühsam, weil Straßen zerbombt sind und überall Schuttberge liegen. Mancherorts steht nur eine Toilette für mehr als 400 Leute zur Verfügung. Menschen müssen ihre Notdurft auf der Straße verrichten. Es gibt kaum Waschgelegenheiten. Klärwerke und Wasserpumpstationen laufen mangels Treibstoff kaum noch. Wenige Bäckereien haben noch Mehl für Brot. Dort warten jeweils Menschentrauben. Um etwas Trinkwasser zu bekommen, muss man woanders anstehen.

Bei Leuten, die mit Solarpanels Strom erzeugen können, stehen Menschen Schlange, um Handys aufzuladen. Es gibt keine Hygieneprodukte für Frauen oder Windeln für Kinder. Viele Familien haben Waisen aufgenommen. Kinder verletzten sich ständig in den Trümmern. Viele Kinder stehen nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef unter Schock. Eltern hätten aber weder Zeit noch Kraft, um ihnen die nötige emotionale Geborgenheit zu geben.

Wohnen

Bis Anfang Januar war nach einer UN-Auswertung von Satellitenbildern fast jedes dritte Gebäude - 94.000 Wohneinheiten - zerstört oder beschädigt worden. Israel sagt, die Streitkräfte zerstörten nur Verstecke der Hamas oder anderer Terrororganisationen.

Die Menschen entkommen - manchmal mit wenigen Minuten Vorwarnung - oft nur mit dem, was sie am Leibe tragen. Tausende sind schon mehrmals vertrieben worden. In der südlichen Stadt Rafah haben inzwischen 1,5 Millionen Menschen Schutz gesucht. Sie kampieren auf engstem Raum unter Plastikplanen oder in Zelten teils am Straßenrand.

Schulen

Die für Kinder so wichtige Routine des täglichen Schulbesuchs fällt aus. Die meisten Schulgebäude sind Flüchtlingslager geworden. Sicher sind sie dort nicht: In den gut 180 als Zufluchtsstätten genutzten UNRWA-Schulen sind der Organisation zufolge mehr als 400 Menschen bei Angriffen getötet und mehr als 1300 verletzt worden.

In der Enge und mangels Toiletten und Waschgelegenheiten breiten sich Durchfall, Haut- und Atemwegserkrankungen aus. 90 Prozent der Kinder unter fünf Jahren hätten mindestens eine Infektionskrankheit gehabt, berichtete die WHO. Familien sorgen sich zudem um junge Mädchen, die in Zufluchtsstätten oder auf der Straße lebend leichter Opfer sexueller Gewalt werden.

Sicherheit

Weil die Not so groß ist, werden die wenigen Hilfskonvois, die ankommen, manchmal schon nach wenigen hundert Metern gestoppt und ausgeräumt. Auf Fernsehbildern sind verzweifelte Menschen zu sehen, die Hilfspakete mit Stöcken gegen andere verteidigen. Inzwischen gibt es im Gazastreifen nach OCHA-Angaben auch Anzeichen für kriminelle Aktivitäten. Banden nähmen sich Material, das später auf Schwarzmärkten auftauche. (dpa/cgo)

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