- Israel steht vor einem Umbruch: Nach zwölf Jahren an der Spitze der Regierung könnte Dauerpremier Benjamin Netanjahu abgelöst werden.
- Sein voraussichtlicher Nachfolger ist ein alter Bekannter.
- Naftali Bennett war lange Netanjahus rechte Hand.
Nach zwölf Jahren an der Macht droht Israels Langzeit-Ministerpräsidenten
"Ich habe es geschafft", erklärte der Mitte-Politiker nach den Marathonverhandlungen. Netanjahu rief direkt zum Widerstand gegen das Bündnis auf. Er dürfte alle Hebel in Bewegung setzen, um die Koalition noch zu verhindern.
Netanjahu will Bündnis um jeden Preis verhindern
Er rief Knesset-Abgeordnete dazu auf, dem Bündnis nicht zu folgen. Auf Twitter schrieb er: "Jeder Knesset-Abgeordnete, der mit den rechten Stimmen gewählt wurde, muss sich der gefährlichen linken Regierung widersetzen". Die geplante Koalition hat nur eine Mehrheit von 61 der 120 Parlamentarier. Es gab zuletzt Berichte über mindestens einen möglichen Abtrünnigen.
Besonders ärgerlich für Netanjahu: Einer seiner einstigen Verbündeten wird ihn aller Voraussicht nach als Regierungschef beerben. Der rechte Hardliner Naftali Bennett soll im Wechsel mit Lapid, dem Chef der Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft), künftig das Amt des Ministerpräsidenten ausüben.
Durch geschickte Manöver inszenierte Bennett sich zunächst als "Königsmacher" - und griff dann selbst nach der Macht. "Mit Gottes Hilfe werden wir tun, was gut für Israel ist, und wir werden Israel wieder auf Kurs bringen", sagte Bennett, nachdem Oppositionsführer Lapid den israelischen Präsidenten Reuven Rivlin über die erfolgreichen Koalitionsverhandlungen informiert hatte.
Naftali Bennett war einst Benjamin Netanjahus rechte Hand
Bennett begann seine politische Karriere als rechte Hand von Netanjahu. Kurz nachdem der smarte Unternehmer mit der markanten Glatze und dem breiten Lächeln im Jahr 2005 sein erfolgreiches Internet-Start-up für 145 Millionen Dollar (heute 119 Millionen Euro) verkauft hatte, wurde er Netanjahus Stabschef. Die beiden Männer überwarfen sich jedoch und gingen vorerst getrennte Wege.
Bennett machte die Siedlungspolitik zu seinem Kernthema und führte lange Jahre als oberster Funktionär den Rat der jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland. Im Jahr 2012 übernahm der Sohn von US-Einwanderern die damals geschwächte Gruppierung Jüdisches Heim und hauchte ihr neues Leben ein. Jüdisches Heim bot die Plattform für den rasanten Aufstieg Bennetts, der sein Image als Ex-Offizier eines Spezialkommandos sorgsam pflegte.
Bei der Parlamentswahl Anfang 2013 vervierfachte Jüdisches Heim die Zahl seiner Sitze. Bennett machte damals insbesondere mit harten Aussagen über Palästinenser Schlagzeilen. Palästinensische "Terroristen sollten getötet und nicht freigelassen werden", sagte er zum Beispiel. Und dass das Westjordanland nicht von Israel besetzt sei, weil "hier niemals ein palästinensischer Staat war".
Bennett führte unter Netanjahu mehrere Ministerien
Bennett steht für eine ultraliberale Wirtschaftspolitik und vertritt eine harte Linie gegenüber dem Iran. Ab 2013 führte der stramm rechte Hardliner fünf Ministerien in verschiedenen Regierungen unter Netanjahu. Doch im vergangenen Mai holte der Ministerpräsident Bennett nicht mehr in die von ihm gebildete Einheitsregierung, was als Ausdruck seiner Unzufriedenheit mit Bennett gewertet wurde.
Inzwischen steht Bennett an der Spitze der religiös-nationalistischen Partei Jamina, die 2018 aus Jüdisches Heim und anderen Kleinstparteien hervorgegangen war. Eigentlich schien der 49-Jährige politisch abgeschrieben, zumal seine Partei bei den Wahlen im März nur sieben Mandate geholt hatte.
Doch der gewiefte Stratege hat in den vergangenen Wochen gut taktiert. Er ließ zunächst Zweifel daran aufkommen, ob er Netanjahu, der insgesamt 15 Jahre und davon zwölf Jahre in Folge Regierungschef war, aus dem Amt vertreiben will oder nicht. Anfang Mai lehnt er Netanjahus Angebot ab, im Wechsel mit ihm Regierungschef zu werden.
Bennett schlägt sich auf Lapids Seite - dieser zahlt einen hohen Preis
Am Sonntagabend schlug er sich dann auf die Seite Lapids - und führte als Begründung die jüdische Geschichte ins Feld: "Vor 2.000 Jahren gab es einen jüdischen Staat, der hier wegen interner Querelen zugrunde gegangen ist. Dies wird nicht erneut passieren, nicht unter meiner Aufsicht."
Lapid gelang es am Mittwoch um kurz vor Mitternacht, die Mehrheit der Stimmen in der Knesset zusammenzubekommen, um seine "Regierung des Wandels" - ein Bündnis von links bis rechts, unterstützt von arabischen Abgeordneten - auf die Beine zu stellen. Für dieses Projekt zahlt er einen hohen Preis: Denn erster Regierungschef dieses Bündnisses mit rotierender Führung soll nicht er werden, sondern Hardliner Bennett.
Netanjahus Gegner dringen nun auf eine rasche Vereidigung der geplanten Regierung. Angestrebt sind eine Abstimmung über die Regierung und deren Vereidigung bereits für Montag. Zunächst galt der 14. Juni als wahrscheinlicher Termin.
Israel steckt in einer politischen Dauerkrise, die Gesellschaft ist tief gespalten. Auch die vierte Parlamentswahl seit 2019 hatte Ende März keine klaren Mehrheitsverhältnisse ergeben. Rivlin beauftragte am 5. Mai Lapid mit der Regierungsbildung, Netanjahu war zuvor daran gescheitert. Eine Neuwahl wollen viele Parteispitzen in Israel unbedingt verhindern. Lapids Zukunftspartei war bei der Wahl im März zweitstärkste Kraft hinter dem rechtskonservativen Likud von Netanjahu geworden. (AFP/dpa/ank)
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