Für die CSU scheint es eine kleine Revolution: Mit Ozan Iyibas tritt bei der bayerischen Kommunalwahl im März erstmals ein muslimischer Kandidat für das Amt des Bürgermeisters an. Im Interview erklärt der 37-Jährige, wie es dazu kam und warum sein Fall gar nicht so viel Aufmerksamkeit verdient hat.
Ozan Iyibas ist am Freitagabend für das Rennen um den Chefposten im Rathaus von Neufahrn bei Freising nominiert worden – einstimmig. Anders als beim CSU-Ortsverband Wallerstein gab es bei Iyibas Nominierung als Bürgermeisterkandidat keinerlei Gegenwehr aus den eigenen Reihen. Damit ist Iyibas der erste Muslim, der für die CSU um ein Bürgermeisteramt kämpft.
Der schwäbische CSU-Verband Wallerstein hatte zuletzt für Schlagzeilen gesorgt, weil dort ein möglicher muslimischer CSU-Bürgermeisterkandidat wegen Widerstands an der Parteibasis aufgab. Die CSU-Spitze freute sich auch deshalb über die Nominierung Iyibas. "An seinem Beispiel zeigt sich: In der CSU als Volkspartei ist alles möglich und das ist auch gut so", sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume der Deutschen Presse-Agentur.
Unsere Redaktion sprach mit Iyibas über mögliche Parallelen zum Fall in Wallerstein und wie ein Muslim zur Christlich-Sozialen Union kommt.
Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung. Ein überraschendes Ergebnis für Sie?
Ozan Iyibas: Ja! Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich 100 Prozent bekomme und dass wirklich der gesamte Ortsvorstand und alle Mitglieder hinter mir stehen.
Sie haben länger gezögert, sich überhaupt zur Wahl zu stellen. Warum?
Ich habe nicht lange gezögert. Wir haben bereits im Oktober unsere Gemeinderatsliste aufgestellt, es gab mehrere mögliche Kandidaten innerhalb des Ortsvorstandes. Da ich aber auf den ersten Listenplatz gewählt wurde, sollte ich auch Bürgermeisterkandidat werden.
Ich habe mir Bedenkzeit gegeben, die Entscheidung aber bereits eine Woche vor Weihnachten gefällt – die Presse wollten wir wegen der Feiertage erst im neuen Jahr informieren.
Und dann kam der Fall Wallerstein: Sener Sahin zog in dem schwäbischen Örtchen nach heftigen Protesten aus dem CSU-Ortsverband seine Bewerbung zurück. Sogar Parteichef Markus Söder bedauerte die Nichtnominierung.
Sener Sahins und mein Fall haben im Grunde gar nichts miteinander zu tun. Ich weiß nicht, was in Wallerstein genau vorgefallen ist. Ein wesentlicher Punkt war aber, dass Sahin gar kein Mitglied der CSU ist. Neben seiner Herkunft war das offenbar ein Problem.
Ich dagegen bin seit 13 Jahren in der Partei, bekannt und anerkannt. Bei mir gab es keine großen Probleme, wie schon die Aufstellung der Liste vor Monaten gezeigt hat.
Ozan Iyibas: "Jede Partei muss die Gesellschaft widerspiegeln"
Für die CSU ist die 20.000 Einwohner zählende Gemeinde im Speckgürtel Münchens ein schwieriges Pflaster, seit 40 Jahren haben die Christsozialen dort keinen Bürgermeister mehr gestellt. Sie sollen das Blatt nun wenden?
Das ist zumindest mein Ziel. Ich habe nicht kandidiert, um zum Spaß Wahlkampf zu machen. Ich kandidiere gegen den Amtsinhaber, gegen Neufahrns ersten grünen Bürgermeister. Nun will ich Bürgermeister werden!
Ist Neufahrn offener für einen muslimischen Bürgermeister als manch anderer bayerischer Ort? Immerhin ist der Ausländeranteil laut ZDF sogar höher als in Berlin-Kreuzberg.
Nein, die gesellschaftliche Zusammensetzung – 4.400 Migranten bei etwa 20.000 Einwohnern – hat mit der Nominierung nichts zu tun. Fakt ist aber: Irgendwo muss jede Partei die Gesellschaft widerspiegeln. Ausschlaggebend bei meiner Kandidatur war, dass ich hier geboren und aufgewachsen bin. Mich kennt hier einfach jeder.
Wie kommt man als Muslim zur CSU?
Das ist eine längere Geschichte …
Holen Sie aus!
CSU-Funktionäre sind 2007 zu mir nach Hause gekommen und fragten mich, ob ich bei der Kommunalwahl 2008 auf der Gemeinderatsliste kandidieren will. Zusammen mit meiner Familie habe ich mir Gedanken gemacht und mich gefragt: Kann die CSU wirklich meine politische Heimat sein?
Ganz offensichtlich: Ja.
Als ich neun Jahre alt war, hat mich meine Mutter bei einem Sonntagsspaziergang erstmals mit in die Kirche genommen. Meiner Mutter war es wichtig, dass ich die Werte und die Kultur kennenlerne, um selbst entscheiden zu können, welchen Weg ich gehen will. Ich bin Muslim, aber Alevit. Wir sind liberal, säkular und uns sind die christlichen Werte nahe.
Und noch ein andere Punkt war entscheidend: Ich bin 1982 in Deutschland geboren. Nicht trotz, sondern weil die CSU an der Regierung war, konnte ich mich so entwickeln, wie ich mich entwickelt habe. Dass, was mir die Gesellschaft gegeben hat, möchte ich nun durch mein politisches Wirken zurückgeben.
AfD ruft zum Kampf gegen muslimischen Bürgermeister auf
Nach Ihrer Kandidatur haben Sie ein humoristisches Video aufgenommen, in dem sie unter anderem selbst in die Rolle eines bayerischen Grantlers schlüpfen, inklusive feinem bairischen Dialekt. Täte sich bei Ihnen im Ort ein "Preuße" wirklich schwerer als ein Muslim?
In der Tat war der letzte CSU-Bürgermeister vor 40 Jahren ein Preuße, wie wir hier in Bayern sagen. Das Video ist also auch eine Hommage an ihn, er ist einer meiner Unterstützer. Mit dem Video wollte ich aber vor allem zeigen, dass das Thema zwar ernst ist, man sich aber trotzdem auch selbst auf den Arm nehmen darf.
Wie sind die Reaktionen?
Sehr positiv, ob per Telefon oder per E-Mail. Es gibt aber einige Leute, AfD-Anhänger und die AfD selbst, die bereits zum selbsternannten Kampf gegen den muslimischen Bürgermeister aufgerufen hat. Das ist nicht schön, aber ich lasse mich davon nicht abbringen.
Ich hatte in meinem Leben bisher nicht nur Probleme mit Rechtspopulisten und -nationalisten, sondern auch mit Erdogan-Anhängern, weil ich den türkischen Präsidenten kritisiere. Auch Morddrohungen gegen mich hat es schon gegeben.
Sie sehen die derzeitige Aufmerksamkeit zwiespältig.
Nach dem Fall in Wallerstein und nach meiner Nominierung will jeder wissen, was die CSU-Führung zu Muslimen in der eigenen Partei denkt. Wir sollten aber – im wahrsten Sinne des Wortes – die Kirche im Dorf lassen.
Wenn wir das Thema noch weiter aufbauschen, wirkt das auch negativ in die Gesellschaft. Es sollte normal sein. Punkt.
Dagegen werden wir gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration nicht erreichen, wenn es Leute wie Gauweiler in politischer Verantwortung gibt. Jemanden, der sagt, Muslime seien als CSU-Vorsitzende so "abwegig wie eine katholische Pfarrstelle in Mekka". Das entspricht einfach nicht mehr der Realität.
Wenn die CSU Volkspartei bleiben möchte, muss sie auch selbst Integration vorleben. Und ob Bayer oder Türke: Integration erfolgt von beiden Seiten und ist keine Einbahnstraße.
Wann sehen wir also den ersten muslimischen CSU-Vorsitzenden?
Protestanten waren jahrzehntelang von Spitzenämtern in der Union ausgeschlossen. Ich will keine 30 Jahre darauf warten!
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