• Innenministerin Nancy Faeser und der Leiter des Bundeskriminalamts haben den Jahresbericht zu politisch motivierter Kriminalität für 2021 vorgestellt.
  • Die Zahl dieser Straftaten ist auf 55.048 gestiegen – der höchste Stand seit Beginn der Statistik im Jahr 2001.
  • Besonders zugenommen haben antisemitische Straftaten sowie Kriminalität aus dem sogenannten Querdenker-Milieu.
  • Experten kritisieren ein "verwässertes Lagebild".

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Am 18. September 2021 wurde in Idar-Oberstein der Tankstellen-Mitarbeiter Alexander W. erschossen – weil er den Täter aufgefordert hatte, eine Maske zu tragen. Die Tat sei der "furchtbare Höhepunkt" einer allgemeinen Entwicklung gewesen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Dienstag in der Bundespressekonferenz.

Dort stellte die SPD-Politikerin gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, die Statistik politisch motivierter Kriminalität für das Jahr 2021 vor. "Das Jahr 2021 war von Entwicklungen geprägt, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Herausforderungen gestellt haben", sagte Faeser.

Das spiegele sich auch in dieser Statistik wider: Die Gesamtzahl der politisch motivierten Straftaten stieg demnach von 44.692 im Jahr 2020 auf 55.048 im vergangenen Jahr. Das sei ein "absoluter Höchststand", sagte Faeser. Holger Münch sprach von einer Verdoppelung der Fallzahlen im Zeitraum der vergangenen zehn Jahre.

Rechtsextremismus bildet größten Anteil

Erfasst werden in dieser Statistik alle Straftaten, die die Täter aus einer politischen Motivation begehen. Dabei kann es sich um das Verbreiten von Propagandamitteln, um Beleidigungen und Volksverhetzungen handeln – aber auch um Körperverletzungen oder Tötungsdelikte. BMI und BKA ordnen die Straftaten zudem unterschiedlichen ideologischen Bereichen zu.

Den größten Anteil von knapp 40 Prozent machen demnach weiter Straftaten aus dem rechten Spektrum aus. Es geht also um Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus – aber auch um Taten gegen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

Die absolute Zahl der Taten im rechten Spektrum ist leicht gesunken: von 23.604 im Jahr 2020 auf 21.964 im vergangenen Jahr. Speziell bei den antisemitischen Straftaten gab es aber einen deutlichen Anstieg um 29 Prozent. "Der Rechtsextremismus ist weiter die größte extremistische Bedrohung für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung", sagte Faeser. 41 Prozent der Opfer politisch motivierter Gewalttaten sind demnach auf rechtsextreme Taten zurückzuführen.

Faeser sieht auch bei Linksextremismus "keinen Grund zur Entwarnung"

Die Zahl der links motivierten Straftaten ist ebenfalls leicht gesunken: von 10.971 im Jahr 2020 auf 10.113 in 2021. "Ich sehe auch hier weiterhin keinen Grund zur Entwarnung", sagte Faeser. Zu diesem Bereich gehören zum Beispiel illegale Aktionen von militanten Umweltschützern, Globalisierungs- oder Kapitalismusgegnern.

Ein weiterer Bereich umfasst Straftaten, die das BKA einer "aus dem Ausland stammenden nichtreligiösen Ideologie" zuordnet. Wichtigstes Beispiel ist die in Deutschland verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Behörden verzeichneten hier einen Zuwachs von 1.016 auf 1.153. Der vierte Bereich betrifft religiös motivierte Straftaten. Dort sind die Fallzahlen mit 479 Delikten etwa auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr geblieben.

Widerstand gegen Corona-Maßnahmen sorgt für größten Zuwachs

21.339 weitere Straftaten konnten die Behörden keinem der zuvor genannten Bereiche eindeutig zuordnen. Das ist der stärkste Zuwachs: 2020 wurden hier noch 8.624 Straftaten verzeichnet.

Der Anstieg kommt zustande, weil das BKA Taten aus dem sogenannten Querdenker-Bereich hier einordnet, also von Gegnern der Corona-Maßnahmen. In diesen Kreisen sei eine "staatskritische bis staatsfeindliche Haltung" sehr verbreitet, sagte BKA-Präsident Münch. Auch der Mord am Tankstellen-Mitarbeiter in Idar-Oberstein fällt in diese Kategorie.

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Experte Robert Kusche: "Lagebild wird verwässert"

Dass das Innenministerium und das BKA diese Taten keiner Ideologie zuordnen, ist umstritten. Dadurch werde das "Lagebild verwässert", kritisierte Robert Kusche vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, am Dienstag ebenfalls in der Bundespressekonferenz. Expertinnen und Experten sehen nämlich durchaus klare Zusammenhänge zu rechten Ideologien.

Viele Rechtsextreme seien in den vergangenen Jahren bei den Querdenkern "untergekommen", sagte Etris Hashemi, Überlebender des rassistischen Attentats vom 19. Februar 2020 in Hanau, in der Pressekonferenz. Er erwartet von den Behörden eine bessere Aufklärung und entschiedeneres Vorgehen gegen Rechtsextremismus.

Bei Protesten von Corona-Leugnern sind Verschwörungserzählungen sehr präsent. Das Gleiche gelte derzeit für prorussische Demonstrationen vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, sagte Pia Lamberty, Geschäftsführerin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie. "Ein verschwörungserzählerisches Weltbild ist eng verwoben mit antisemitischen und rassistischen Elementen", so Lamberty. Robert Kusche sieht daher großen Nachholbedarf, zum Beispiel bei den Landeskriminalämtern: Nötig sei eine "bessere Zuordnung" der Querdenker-Delikte zu den ideologischen Bereichen.

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenzen in der Bundespressekonferenz
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