Leben, um davon zu erzählen: Altkanzler Helmut Schmidt spricht im ARD-Talk "Menschen bei Maischberger" über den Zustand der Welt, sein aktuelles Buch und wie alt er noch werden will.

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Wer ist der Gast?

Helmut Schmidt, Bundeskanzler a.D., Zeitzeuge, Großvater der Nation, Buchautor, Zeitungsherausgeber, Welterklärer, Mahner und Warner. Zudem ist er bei deutschen Journalisten ein beliebter Gesprächspartner.

In unregelmäßigen Abständen ist Schmidt deswegen in Fernsehsendungen zu Gast. Diesmal gewährt der 96-Jährige Moderatorin Sandra Maischberger in ihrer Talkshow "Menschen bei Maischberger" ein Interview.

Was sagt Helmut Schmidt …

… über den Ukraine-Konflikt?

Die Krise in der Ukraine hält Europa und die Welt seit mehr als einem Jahr in Atem. Eine unmittelbare Kriegsgefahr für den Kontinent sieht Schmidt jedoch nicht. An einer großflächigen militärischen Auseinandersetzung hätten weder Wladimir Putin noch Barack Obama oder Angela Merkel Interesse. Für einen Kriegstreiber hält er Russlands Präsidenten ohnehin nicht. Putin sei "so gefährlich wie jeder Chef eines großen Landes". Die Europäische Union habe den "idiotischen Versuch" unternommen, sich auf Länder wie die Ukraine und Georgien auszudehnen.

Als Putin-Versteher will der ehemalige Bundeskanzler aber nicht gelten. "Wir müssen Verständnis haben für jeden unserer Nachbarn", meint er. Deutschland in der Mitte Europas ist nun mal in "einer beschissenen Lage", drückt es Schmidt deftig aus.

Russland ist nicht nur das größte, sondern auch ein militärisch sehr mächtiges Land. Alle großen Mächte bräuchten laut Schmidt ein Gegengewicht, um "bei Vernunft zu bleiben". Das gelte auch für die USA, China, Indien oder muslimische Staaten wie Pakistan.

… über den Zweiten Weltkrieg?

Was dachte Helmut Schmidt als Wehrmachtsoffizier über den Nationalsozialismus? Der frühere Bundeskanzler beruft sich bei Maischberger auf sein junges Alter und seine Rolle als Soldat: Vom Oberbefehlshaber, also damals Adolf Hitler, wende man sich nicht ab. Ein Anhänger Hitlers könne er als "Viertel-Jude" aber nicht gewesen sein. "Ich mache mir keine Vorwürfe, kein Held gewesen zu sein", sagt Schmidt.

An einen deutschen Sieg habe er nach Beginn des Russland-Feldzugs im Juni 1941 dennoch nicht mehr geglaubt. "Gott sei Dank ist es vorbei", dachte Schmidt bei Kriegsende. Erst danach will er das erste Mal etwas von Auschwitz gehört haben.

… über Griechenland?

In den 1970er-Jahren sei Schmidt zunächst gegen die Aufnahme von Griechenland in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, der Vorgängerin der EU, gewesen "weil ich wusste, dass ein Mann wie Onassis niemals Steuern bezahlt hat". Damals habe er jedoch nachgegeben.

"Die Europäische Union hat eine ganze Menge falsch gemacht", klagt er. Es seien zu viele Mitglieder aufgenommen worden, ohne über eine gemeinsame Politik abgestimmt zu haben. Nach seiner Ansicht kommt für ein Griechenland nur ein Schuldenschnitt infrage. Ein Austritt des Landes aus dem Euro sei "in der Praxis eine ganz schwierige Operation mit unabsehbaren Konsequenzen".

…über seine Affäre?

Kein anderer Bundeskanzler hat der Öffentlichkeit einen so tiefen Einblick in sein Privatleben gewährt. Helmut Schmidt verfügt über ein halbes Jahrhundert Erfahrung mit den Medien und weiß genau, was er zu erzählen bereit ist. Und was nicht.

Die Veröffentlichung seines Buchs "Was ich noch sagen wollte" geriet vor allem deswegen in die Schlagzeilen, weil er darin von einer außerehelichen Beziehung mit einer anderen Frau berichtet. Als Maischberger nach den Gründen für die späte Beichte fragt, antwortet Schmidt einsilbig und ausweichend. Einige "Schreibereien" von Journalisten und Biografen seien der Grund gewesen. Auch weiteres Nachbohren bleibt erfolglos. "Es ist seltsam, wenn eine Fernsehmoderatorin etwas nicht versteht", spottet er nur.

Klar ist nur: Seine Ehefrau Loki bleibe "der Mensch, der mir am wichtigsten war", eine Scheidung sei "für mich völlig undenkbar" gewesen. Stolz verweist er auf seine lange Ehedauer. "Seien Sie erstmal 68 Jahre verheiratet", sagt er zu Maischberger. "Dann bin ich 100", rechnet die Moderatorin nach. "Das können Sie werden", erwidert Schmidt. "Nicht, wenn ich weiter neben Ihnen im Rauch sitze", gibt Maischberger zurück.

… über das Alter?

Der 96-Jährige ist ein lebendes Zeichen dafür, dass die Deutschen immer älter werden – so beschreibt er es selbst. Doch das hohe Alter hat auch viele Nachteile. In den vergangen Monaten musste er den Verlust vieler Freunde und Weggefährten wie Richard von Weizsäcker, Siegfried Lenz oder Peter Scholl-Latour verkraften. Ein Gefühl der Vereinsamung ist die Folge, wie Schmidt zugibt.

"2020 werde ich nicht mehr leben", ist er sich sicher. Dann will die EU seine geliebten Mentholzigaretten verbieten. Schon 100 Jahre sind ihm zu viel, so alt will er nicht werden. Ist "Was ich noch sagen wollte" also sein letztes Buch, wie der Titel andeutet? "Das werde ich gegenüber Frau Maischberger nicht ausplaudern", sagt er verschmitzt.

Gerauchte Zigaretten: 8

Zitat des Abends: Schmidts Antwort auf die Frage, ob er sich einen Wechsel von Tabak auf elektronische Zigaretten vorstellen könne: "Warum soll ich Dummheiten machen?"

Fazit des Abends: "Ich habe nie die Absicht gehabt, Vorbild zu sein", sagt Schmidt bei Maischberger über sich. Dennoch sehen viele Deutsche genau das in ihm. Gerade in unsicheren Zeiten vertrauen sie auf den Rat und die Ansichten eines Mannes mit der Lebenserfahrung von fast einem Jahrhundert, geheimnisvoll eingehüllt in blauem Rauch.

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