Berührende Schicksale, sachliche Lösungsvorschläge und kein Politiker weit und breit – "Maischberger" debattiert am Mittwochabend erfrischend offen über unseren Umgang mit Alkohol. Besonders ein Ex-Fußballstar bewegt mit seiner Geschichte und seiner Mission.
Ein großer Philosoph der Gegenwart hat den Alkohol einmal als "Ursache und Lösung aller Probleme" bezeichnet – Homer J. Simpson, selbst ein mehr als problematischer Trinker.
Die Richtwerte für den Alkoholkonsum überschreitet der Comic-Glatzkopf aus Springfield genauso dramatisch wie Millionen Deutsche: Maximal 120 Gramm reinen Alkohol pro Woche werden Männern, 70 Gramm Frauen empfohlen. Das entspricht neun bzw. fünfeinhalb 0,33-Liter-Flaschen.
Eine neue Studie aus England hält diese Werte noch für überhöht, laut den Verfassern ist alles über 100 Gramm pro Woche gesundheitsschädlich.
Getrunken wird jedoch viel mehr: Jeder Mensch ab 15 Jahren in Deutschland kippt im Schnitt 165 Gramm reinen Alkohol pro Woche - Abstinenzler mit eingerechnet. Viele sind es ohnehin nicht: 95 Prozent der Deutschen trinken, fast zehn Millionen "in riskanter Form", stellte das Gesundheitsministerium fest.
Grund genug für
Harte Worte über das eigene Schicksal
Etwas war anders an diesem Abend, schon in der ersten Viertelstunde, in der fast ausschließlich ein Mann redete: Henning Hirsch, seit sechs Jahren trockener Alkoholiker. Schonungslos schilderte er sein Abrutschen vom Partytrinker zum Alkoholiker, vom erfolgreichen Unternehmer zum Dauergast in der Entzugsklinik.
Erst trank er unter der Woche drei, vier Bier, um nach der Arbeit runterzukommen, er funktionierte in der Familie und im Büro, schaffte sogar einen Marathon. "Aber ich musste die Dosis steigern."
Irgendwann genehmigte er sich zum Frühstück ein Fläschchen Wodka, und wenn der scharfe Schnaps noch nicht so leicht durch die Kehle gehen wollte, stimmte er seinen Körper mit einem Jägermeister ein.
30 Mal versuchte er einen Entzug, erst als er bei den Anonymen Alkoholikern landete, klappte es.
Was Hirsch über die Anonymen Alkoholiker sagt, passt irgendwie auch zur Runde an diesem Abend: "Die haben das angenehme Format, dass man da einfach erzählen kann, ohne dass irgendwelche Klugscheißer dazwischenreden."
Sandra Maischberger griff mal wieder auf den früheren Slogan ihrer Show zurück, "Menschen bei Maischberger", und tatsächlich hatte sie keinen Politiker geladen, nur Experten und Betroffene – niemanden, der sich profilieren muss, der dringend seine Botschaften unter die Leute bringen will.
Am nächsten kam dem noch Ex-Fußball-Nationalspieler Uli Borowka, den seine Alkoholkrankheit zum Missionar gemacht hat. Aber auch er hörte geduldig Hirschs Geschichte, die der Mediziner Helmut Seitz vom Alkoholforschungszentrum Heidelberg als "klassisch" einordnete: "Der Alkohol dient einem Zweck, alles funktioniert noch, manches sogar besser. Und dann reicht die Dosis nicht mehr."
Einfach weniger trinken?
Was die Sucht für die Angehörigen bedeuten kann, wurde in der nächsten Viertelstunde deutlich, die Maischberger wieder fast exklusiv einem Gast widmete: Der Schauspielerin
Bott selbst merkte schon als kleines Kind, wie die Mama plötzlich schwankte. Erst mit 13 Jahren verstand sie, dass ihre Mutter ein ernsthaftes Problem hatte.
Bott wurde co-abhängig, sie übernahm immer mehr Verantwortung für ihre Mutter – eine Anstrengung ohne Erfolg. "Sie hat eine Therapie angefangen", sagt Bott. "Aber nur uns zuliebe, nie für sich."
Ein suchtkranker Mensch muss einen eisernen Willen haben, um dem Teufelskreis zu entkommen, das zeigen die persönlichen Geschichten, die Maischberger mit ihren Gästen bespricht.
Uli Borowka trank während seiner erfolgreichen Fußballer-Karriere - ein offenes Geheimnis bei seinem Team Werder Bremen. Sein Trainer Otto Rehhagel versorgte ihn sogar mit Alibis, auch das übrigens eine Form von Co-Abhängigkeit.
Ohne Intervention versank Borowka immer weiter im Suff, entwickelte zudem eine Spielsucht. 1996 wollte er sich umbringen.
Vier Jahre später schickten ihn ehemalige Weggefährten in eine Suchtklinik. Dort begann sein 180-Grad-Wandel. Heute kümmert sich Borowka mit seinem eigenen Suchthilfe-Verein um Kinder von Alkoholikern und um suchtkranke Profisportler.
Drei Gläser Sekt am Tag unter Aufsicht
Zur trockenen Alkoholikerin hat es Monika Schneider nicht geschafft. "Ich hatte den Willen nicht", sagt die 72-Jährige mit brüchiger Stimme. Sie lebt in einem Altenheim für Abhängige in Düsseldorf. Das Konzept: Das Personal kontrolliert und reduziert den Konsum, Schneider bekommt drei Gläser Sekt pro Tag, eines um 11 Uhr, eines um 15 Uhr, eines um 19 Uhr.
Ein umstrittener Ansatz: Ex-Fußballer Borowka sieht die Gefahr, dass trockene Alkoholiker sich der Illusion hingeben, einfach weniger trinken zu können – und schließlich wieder bei der alten Dosis landen.
Tatsächlich funktioniere die Reduktion nur bei Menschen, die noch nie abstinent waren, sagt Alkoholforscher Helmut Seitz. Ob sie es auch bei drei Gläsern Sekt belassen würde, wenn es keine Beaufsichtigung gäbe, fragt Maischberger die Rentnerin Schneider. Die Antwort: "Keine Garantie."
"Bier gehört zu unserer Kultur"
Mit dem Gastronom Bernhard Sitter saß auch ein ausgesprochener Freund des Alkohols in der Runde, mit dem gemütlichen Bauchumfang eines Homer Simpson und in bayrischer Tracht. In seinem "Bier- und Wohlfühlhotel" bietet er sogar ein Bad in einem Bierbottich an, schließlich gehöre das Bier "zu unserer Kultur", wie Sitter sagt.
Wenigstens verzichtete er darauf, anders als sein Landesvater, einen Humpen seines Hausbräus in die Kamera zu halten.
Ob er sich nicht wie ein Drogendealer vorkomme, will Maischberger wissen. Sitter lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen: "Wir sind mündige Bürger in einer freien Welt", Verbote würden nichts bringen und überhaupt werde weniger getrunken als früher.
Letzteres stimmt: Aktuell sind es rund elf Liter reiner Alkohol pro Jahr. 1980 waren es 15 Liter, seitdem sinkt der Konsum kontinuierlich.
Noch immer aber, entgegnet Arzt Helmut Seitz, sterben 74.000 Menschen jährlich an den Folgen ihres Alkoholmissbrauchs. Und Verbote könnten tatsächlich helfen, sagt der Mediziner, genau wie signifikant höhere Steuern auf Alkohol – wie in den skandinavischen Ländern, die ihr endemisches Problem damit in den Griff bekommen haben. Alkohol sei auch viel zu einfach verfügbar, teilweise 24 Stunden lang, paradoxerweise an Tankstellen.
In Deutschland tendiere die Politik jedoch zur Verharmlosung, sagt Seitz und zitiert Günther Beckstein, den damaligen bayrischen Ministerpräsidenten, der 2008 sagte, nach zwei Maß auf der Wiesn könne man noch Auto fahren.
Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier amtierte sogar einmal als Bierbotschafter, Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner als Weinkönigin.
Mit Politikern rede er schon seit fünf Jahren, sagte Uli Borowka zum Abschluss, genutzt habe es nichts. "Wenn ich eine Runde mit meinen Hunden mache, bringt das mehr." Und weit und breit kein Politiker, der wortreich widersprechen konnte, ohne viel zu sagen.
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