Immer mehr Menschen holen sich Lebensmittel bei den Tafeln. Grund für Sandra Maischberger, in ihrem Talk drei Experten mit drei Betroffenen zu konfrontieren. Vor allem eine frisch gebackene Abiturientin hatte viel zu sagen.
Worum ging es bei Sandra Maischberger?
Jochen Brühl hatte Alarm geschlagen: Der Vorsitzende des Vereins der Deutschen Tafeln hatte vergangene Woche darauf hingewiesen, dass sich immer mehr Menschen regelmäßig bei den Tafeln mit Lebensmitteln versorgen. Um zehn Prozent sei die Zahl der Bedürftigen innerhalb nur eines Jahres gestiegen.
Vor allem die Zahl der Rentner in Altersarmut nehme zu, hatte vor Kurzem auch eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ergeben.
Wer waren die Gäste?
Drei Experten saßen beim Talk auf den roten Sofas drei Betroffenen gegenüber:
- Der Journalist und Wirtschaftsexperte Michael Opoczynski (70), der einen Widerspruch konstatiert, "wenn in einem reichen Land wie Deutschland so viele arm sind." Armut definierte er bei Maischberger als den Zustand, "wenn jemand gerade so über die Runden kommt, wenn kein Eis, kein Glas Wein, kein Urlaub drin ist".
- Ralf Stegner (59), stellvertretender SPD-Vorsitzender, der dem linken Parteiflügel zugerechnet wird, plädierte heftig für die von seiner Partei angestrebte Form der Grundrente ohne das "bürokratische Monster" der von der CDU geforderten Bedürfnisprüfung. Außerdem will er "bezahlbare Mieten".
- Der Publizist Oswald Metzger (64), erst SPD-Mitglied, dann Grüner, heute bei der CDU, sieht in der Grundrente einen "Raubzug zulasten der jungen Generation", wandte sich in der Sendung auch gegen eine Mietpreisdeckelung und will den Bürgern "deutlich machen, dass man höhere Preise bezahlen muss, wenn man höhere Löhne will".
- Die Rentnerin Gisela Quenstedt geht regelmäßig zur Tafel und verwendet Regen- und Spülwasser, um an der Toilettenspülung zu sparen. Auch wenn sie bei Maischberger freimütig über ihr Leben mit wenig Geld sprach – sie findet es "super schwierig", ihre Armut vor anderen Menschen zuzugeben. Das Thema sei schambehaftet. Es gelte: "Wer arm ist, ist selber schuld."
- Die ehemalige Leiharbeiterin Heike Orzol. Der Arbeitgeber, der sie von einer Zeitarbeitsfirma "geliehen" hatte, kündigte ihr – im Einklang mit der Rechtslage – bevor er sie fest übernehmen hätte müssen und wollte sie drei Monate später wieder zum Niedrigtarif einstellen. Orzol klagte dagegen, gewann den Prozess und fand trotzdem keinen Job mehr.
- Die Studentin Sarah-Lee Heinrich ist im Begriff, sich aus der Armutsspirale zu befreien. Sie stammt aus einem Hartz-IV-Haushalt, hat – gegen alle Wahrscheinlichkeit – ein Einser-Abitur geschrieben und verbraucht derzeit das für den Führerschein gedachte Geld, um sich fürs Studium einzurichten.
Wie agierte Sandra Maischberger?
Sandra Maischberger hatte es in der unaufgeregten Runde nicht schwer. Man fiel sich kaum ins Wort, es waren keine lautstarken Kontroversen zu befrieden.
Ihre Empathie für die von Armut Betroffenen Gäste beförderte sie geradezu automatisch auf die Seite der Kritik an der bestehenden Gesetzeslage. Mit der Frage, wie er seine Position vor der Leiharbeiterin Orzol rechtfertige, brachte sie den Hartz-IV-Verteidiger Metzger in die Bredouille. Sie hätte allerdings nachdrücklicher eine konkrete Antwort einfordern sollen – denn Metzger drückte sich.
Was waren die wichtigsten Rede-Beiträge des Abends?
Am redegewandtesten zeigte sich die junge Abiturientin Sarah-Lee Heinrich, die mit Hartz IV aufwuchs, sich als Kind dafür schämte, sich nicht kleiden zu können wie die Mitschüler und deshalb oft mit ihrer Mutter in Streit geriet.
Mit Spitzenabitur und einem Stipendium in der Tasche könnte sie diesen Lebensabschnitt als abgeschlossen betrachten. Stattdessen plädierte sie aus der wütenden Sicht der Betroffenen, aber trotzdem durchaus politisch und mit viel Sachverstand, für eine Änderung der bestehenden Grundsicherungsgesetze.
Denn diese bewirken aus ihrer Sicht, dass die Befreiung aus der Armutsfalle gerade für Kinder aus Hartz-IV-Familien besonders schwierig ist. Diesen Zustand findet sie "krass". Es gehe nicht, wie Metzger behauptete, um einen Konflikt zwischen Alt und Jung, sondern um den "zwischen Reich und Arm", stellte sie fest.
Man darf annehmen, dass Sahra-Lee Heinrich besonders viele Sympathiepunkte beim Publikum gesammelt hat. Nicht schlecht weggekommen sein dürfte auch Wirtschaftsexperte Michael Opoczynski mit seinem Verweis auf Nachbarländer wie die Niederlande oder die Schweiz, in denen die Verarmung weitaus weniger gravierend sei.
So wie sie sind, seien die Zustände "eine Blamage" und eine wahre "Pleite für Deutschland", sagte Opoczynski und blieb auch mit Empathie bei den Betroffenen, als es in der Diskussion um das Äquivalenzprinzip und um Einkommensteuersätze ging.
Was war das Ergebnis bei Sandra Maischberger?
Einmal mehr zeigte sich das 75-Minuten-Format von Sandra Maischberger als die bessere Lösung für sinnvollen Talk als kürzere Konkurrenzsendungen: Es blieb Zeit, jedem Einzelnen zuzuhören, hier hörten sich auch die Teilnehmer gegenseitig zu.
Die Diskussion machten ein gravierendes gesellschaftliches Problem eindringlich fassbar – was in einem reinen Politiker-Talk unmöglich gewesen wäre. Wichtigste Erkenntnis: Armut kann, von den richtig Reichen abgesehen, fast jeden treffen.
Ob Stegners Grundrente die bessere Alternative zu Hartz IV ist, ob eine diesbezügliche Änderung des Sozialsystems den Steuerzahler zusätzlich belasten würde – diese wurden allenfalls kurz gestreift und nicht vertieft. Aber erstmal ausführlich den Betroffenen zuzuhören, war sicherlich ein Gewinn.
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