Hunderte Neonazis feiern am Wochenende im sächsischen Ostritz das "Schild und Schwert Festival". Die Musik der rechten Szene ruft dabei teilweise offen zu Gewalt auf - aber löst sie sie auch aus?

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Dutzende Autos wollen auf das Gelände des Hotels Neisseblick. Doch sie müssen warten, die Polizei kontrolliert. Jeder einzelne Kofferraum wird von den Beamten ausgeräumt, Schlafsäcke werden zusammengedrückt, um Gegenstände wie Messer zu erkennen. Auch Bier und andere alkoholische Getränke müssen die Festivalbesucher abgeben - es gilt Alkoholverbot.

Wer es durch die Polizeikontrolle geschafft hat, ist auf einem der bekanntesten Neonazi-Treffen Deutschlands. Auf den T-Shirts der Konzertteilnehmer steht "Rassist", "Adolf" oder "Nationale und Soziale Aktion". 750 Teilnehmer hat der NPD-Chef von Thüringen Thorsten Heise für die Wochenendveranstaltung in Ostritz (Landkreis Görlitz) angemeldet - zumindest am Freitagabend sind es aber deutlich weniger, das hört man auch von Seiten der Polizei.

Einheimische protestieren gegen Rechsextremen-Festival

Die Ostritzer wollen die ungebetenen Gäste am liebsten sofort loswerden. "Könnt ihr nicht einfach wieder wegfahren?", ruft ein Einwohner zwei Besuchern zu, die sich in den Ort verirrt haben. Hier sei einfach kein Platz für sowas, sagt er. Deshalb veranstaltet Ostritz - seit dem ersten Festival im April 2018 - Gegenproteste.

Dieses Mal ist auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vorbeigekommen. "Ich bin sehr beeindruckt, wie an einem so kleinen Ort an der Neiße jedes Mal aufs Neue die Zivilgesellschaft, die Bürgerschaft aufsteht, um klarzumachen, diese Rechtsextremisten sind hier nicht gewollt", sagt er am Freitagnachmittag - nur ein paar Hundert Meter vom Festivalgelände entfernt. "Aus Gedanken und Sprache werden am Ende auch Taten. Das sehen wir jetzt in diesem schrecklichen Mordfall in Hessen", sagt Kretschmer.

Im Mordfall des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke prüft das Landeskriminalamt Sachsen Verbindungen in die Neonazi-Szene des Bundeslandes. Der mutmaßliche rechtsextreme Täter Stephan E. hatte laut dem ARD-Magazin "Monitor" im März 2019 an einem Neonazitreffen in Mücka (Landkreis Görlitz) teilgenommen.

Der unter anderem wegen Volksverhetzung und Körperverletzung verurteilte NPD-Mann Thorsten Heise gibt an, Stephan E. zumindest nicht bewusst zu kennen. "Ich wüsste nicht", sagt er. "Ich kann es nicht ausschließen, dass ich mit dem auf einer Demo gewesen bin." Er sagt, dass er keine Gewaltbereitschaft in seiner Szene sehe. Allerdings soll mindestens einer der mutmaßlichen Angreifer auf zwei Journalisten im April 2018 aus dem Umfeld von Heise stammen. Das ergaben die Ermittlungen zu den zwei Männern, die die Journalisten im thüringischen Hohengandern mit Messer und Schraubenschlüssel erheblich verletzt haben sollen.

Am Dienstag hatte Sachsen zusammen mit Thüringen erklärt, unter anderem im Kampf gegen Rechtsrockkonzerte stärker zusammenarbeiten zu wollen. Diese seien eine Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, sagte Ministerpräsident Kretschmer.

Musikwissenschaftler warnt vor plattem Denken

Doch schlägt Rechtsrock direkt in Gewalt um? Der Mainzer Musikwissenschaftler und Rechtsrock-Experte Thorsten Hindrichs hält die These für schwierig. Eine direkte Folge von Rechtsrock auf rechte Gewalt ist "eindimensional und platt gedacht", sagt der Experte.

Ob letztlich Gewalt verübt wird, hänge von der ganzen Lebenswelt der Menschen und den dazugehörigen Radikalisierungsprozessen ab. "Extrem Rechte funktionieren ja strukturell nicht großartig anders als andere Leute", sagt Hindrichs. Sie machten und hörten Musik, weil es zur Gestaltung des Lebens dazugehöre.

Aus Gesprächen mit Aussteigern kennt der Forscher die unterschiedlichsten Fälle. Es gebe einige, die sich vor Gewalttaten durchaus richtig aufputschten mit Songs, die ihnen was bedeuteten. "Es gibt aber genauso auch Neonazis, die gewalttätig sind und die sagen: Die Musik ist mir vollkommen egal."

Zum rechtsextremen "Schild und Schwert Festival" sagt Hindrichs: "Die wissen, was sie tun. Die strafrechtlich relevanten Vernichtungsfantasien" würden aber auf privaten Konzerten entwickelt.

Brandenburg als Vorbild

Allein in Brandenburg hat der Verfassungsschutz für das vergangene Jahr 23 Bands und 14 Liedermacher aus der rechtsextremistischen Szene gelistet. Allerdings gab es nur vier Konzerte, 2017 waren es noch fünf. Das Innenministerium sprach davon, dass sich die Aktivitäten wegen eines hohen Drucks der Sicherheitsbehörden auf vergleichsweise niedrigem Niveau bewegten.

Auf eine ähnliche Entwicklung hofft man in Sachsen. Die Polizei hat zusammen mit dem Technischen Hilfswerk 4200 Liter Bier vom Festivalgelände geholt. Jedes einzelne Auto, das zum Treffen wollte, wurde kontrolliert, die Aktion dauerte bis nach Mitternacht. Am Abend wurde sogar die Identität von jedem Besucher festgestellt. Diesen Umweg wollten sich aber wohl manche sparen. Augenzeugen zufolge sind zahlreiche Gäste über eine Wiese auf das Festival gelaufen - als die Polizei ankam, waren nur noch Trampelpfade im hohen Gras zu sehen. (kad/dpa)

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