• Täglich veröffentlicht das britische Verteidigungsministerium Updates zum Ukraine-Krieg auf Twitter.
  • Häufig bezieht es sich dabei auf Informationen seines eigenen Geheimdienstes.
  • Im internationalen Vergleich sticht die britische Informationspolitik als offensiv heraus. Was dahintersteckt, erklärt Experte Jeffrey Michaels.

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Der Krieg in der Ukraine wird weltweit viel kommentiert, auffällig offensiv geht von offizieller Seite allerdings das britische Verteidigungsministerium vor: Täglich veröffentlicht es auf Twitter Updates mit Informationen der britischen Geheimdienste. Dazu zählen zum Beispiel Videos über russische Truppenbewegungen, Lagekarten, Faktenchecks von Putins Aussagen und Analysen möglicher bevorstehender Angriffe.

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Britische Informationspolitik fällt international auf

Die Tweets lauten beispielsweise: "Russland bezieht mit ziemlicher Sicherheit zunehmend Waffen von anderen stark sanktionierten Staaten wie Iran und Nordkorea, da die eigenen Bestände schwinden" oder "Russland setzt höchstwahrscheinlich Antipersonenminen ein, um die Bewegungsfreiheit entlang seiner Verteidigungslinien im Donbass zu schützen und zu verhindern."

Schon ein paar Tage vor Kriegsbeginn hatte das britische Verteidigungsministerium mit seinen Tweets begonnen. Bei Twitter folgen dem Account mehr als 650.000 Personen. Im internationalen Vergleich sticht die britische Informationspolitik heraus: Hierzulande ist man wesentlich zurückhaltender.

"Diese Art der Informationspolitik ist ungesehen: Das Ministerium veröffentlicht freigegebene Geheimdienstbewertungen über den Krieg von jemand anderem", sagt Jeffrey Michaels, Experte für Sicherheits- und Geheimdienstfragen vom Institut Barcelona d'Estudis Internacionals (IBEI). Es sei kein Krieg, den die Briten selbst in Afghanistan oder im Irak führten, zu dem sie normalerweise Pressekonferenzen abhalten würden.

Gegengewicht zur russischen Propaganda

Michaels hat die Tweets von Anfang an beobachtet. "Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem 17. Februar nachrichtendienstliche Updates, noch bevor der Krieg begann. Das Ministerium zeigte sich damals besorgt über die russischen Streitkräfte an den Grenzen zur Ukraine", sagt der Experte.

Ein Erklärungsansatz für diese Art der Informationspolitik von Michaels lautet: Die Briten wollen zum Teil russische Informationspolitik bekämpfen. "Es ist möglich, dass der Ursprung all dessen darin bestand, die russischen Informationen über die militärische Aufrüstung zu entlarven", kommentiert er. Kurz vor Kriegsbeginn hatte der Kreml behauptet, dass man die Truppen von der ukrainischen Grenze abziehe und die Übung beendet sei. Eine Woche später griff Russland jedoch an.

Das britische Verteidigungsministerium war in dieser Situation ein Gegengewicht zur russischen Propaganda und zeigte bereits im Vorfeld, dass man weiß, dass der Kreml etwas vorbereitet. Michaels glaubt dennoch, dass das Verteidigungsministerium nicht geplant hat, dauerhaft Informationsupdates dieser Art zu liefern.

Offizieller Status des Verteidigungsministeriums

"Obwohl es eine große Wahrscheinlichkeit gab, dass der Krieg stattfinden könnte, waren die meisten Menschen dennoch überrascht, als er tatsächlich stattfand", erinnert der Experte. Nachdem das Ministerium zu Kriegsbeginn etwas gepostet hatte, seien die Geheimdienst-Updates sehr populär geworden und hätten immer mehr Follower generiert. "Es scheint, als hätten sie das Gefühl, diese Dinge weiter produzieren zu müssen."

Viele Menschen würden sich auf die Tweets beziehen, weil das Verteidigungsministerium einen offiziellen Status habe. "Die Updates werden als maßgebliche Informationen behandelt", sagt er. Journalisten schienen oft zu denken, dass die Informationen bedeutsam sein müssten.

Wenig spektakuläre Geheimdienstinformationen

Dabei erachtetet Michaels die Analysen als wenig spektakulär. "Die Informationen sind schnell veraltet und auch andere twittern darüber. Da ist nichts Originelles", sagt er. Es handele sich eher um Endauswertungen, die für die Öffentlichkeit freigegeben worden seien als um wirklich exklusive Informationen.

Michaels vermutet, dass die Folien beim Erstellen der Morgen-Briefings für das Ministerium entstehen. Die wirklich vertraulichen Informationen würden dabei entfernt. "Das Ministerium verwendet einige Teile aus Geheimdienstbriefings, die intern verwendet werden", schätzt der Experte. Man versuche, sie so schnell wie möglich online zu stellen, darunter leide aber die Qualität. "Sie sind schlecht gemacht und haben zum Beispiel Rechtschreibfehler. Sie werden nicht gründlich Korrektur gelesen", so Michaels.

Experte spricht von "PR-Kampagne"

Inhaltlich könne man bessere Analysen von Militär- und Russlandexperten auf Twitter finden. "Ich würde nicht sagen, dass mehr dahintersteckt, als man auf den ersten Blick sieht. Es handelt sich um eine Art PR-Kampagne", sagt Michaels.

Bei dieser Kampagne werde die Ukraine als freundschaftlich verbündeter Staat unterstützt und innenpolitisch das Vertrauen der Briten zurückgewonnen. Im Zuge des Irak-Kriegs, in den Großbritannien auf Grundlage falscher Geheimdienstinformationen der USA eintrat, hatte es massiv gelitten.

Einseitige Propaganda?

Neutral sind die Tweets allerdings nicht: Die ukrainischen Aktivitäten im Krieg werden nur selten thematisiert. "Die Briefings konzentrieren sich darauf, was Russland tut, im Gegensatz zu dem, was die Ukraine tut. Sie schließen oft die ukrainische Seite aus", sagt Michaels. Das könne dem Schutz der Ukraine dienen oder an mangelnder Expertise liegen. Von Propaganda möchte er deshalb nicht sprechen.

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Dass die Informationspolitik so fortgesetzt wird, hält Michaels nicht für ausgemacht. Die Tweets könnten irgendwann eingestellt werden. "Trotzdem hätte zu Beginn des Krieges wahrscheinlich niemand im britischen Verteidigungsministerium gedacht, dass der Krieg so lange andauern würde und dass es erforderlich sein würde, Updates auf unbestimmte Zeit zu produzieren", so Michaels.

Über den Experten: Jeffrey Michaels ist Experte für Sicherheits- und Geheimdienstfragen. Er studierte (2009) "War Studies" am King's College in London und "Business Administration" am Skidmore College. Heute arbeitet er am Institut Barcelona d'Estudis Internacionals (IBEI).

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Jeffrey Michaels
  • Tweets des britischen Verteidigungsminsteriums
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