Laut britischen Angaben arbeitet Russland verstärkt am Einsatz sogenannter Kamikaze-Schiffe. Dahinter stecken ferngesteuerte Sprengboote, die von ukrainischer Seite bereits eingesetzt werden. Militärexperte Gustav Gressel erklärt, warum die Boote als "perfekte Waffe" gebaut werden können.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Sie sind bereits eine Geheimwaffe der Ukrainer im russischen Angriffskrieg: Unbemannte Drohnenboote, die ferngesteuert mit mehreren hundert Kilogramm explosiver Ladung unterwegs sind. Nun arbeitet nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums auch Russland verstärkt am Bau von sogenannten Kamikaze-Schiffen.

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So soll Michail Danilenko, Chef der Rüstungsfirma KMZ, angekündigt haben, dass Drohnenboote im Rahmen der "militärischen Spezialoperation" getestet werden sollen. Die Massenproduktion soll 2024 beginnen. Laut Aussage von Danilenko könnten die Boote bis zu 600 Kilogramm Munition transportieren.

Bekannt aus dem Zweiten Weltkrieg

Die Ukraine hatte solche ferngesteuerten Sprengboote bereits gegen russische Ziele im Schwarzen Meer oder in den Häfen der annektierten Halbinsel Krim eingesetzt. Sie gelten als Schlüsselfähigkeit der ukrainischen Streitkräfte im maritimen Bereich.

Militärexperte Gustav Gressel beobachtet die Entwicklungen aufmerksam. "Kleine Boote mit einer Sprengladung darin gegen größere Schiffe zu fahren, ist nicht neu. Das gab es vor allem im Zweiten Weltkrieg von Seiten der Deutschen und auch der Japaner", sagt er.

Allerdings habe man damals einen physischen Piloten gebraucht, der sich entweder selbst opfern oder über Bord hätte springen sollen. "Das Ganze hat jedoch relativ schlecht funktioniert und die Boote haben eigentlich wenig zerstört", sagt er rückblickend.

Ferngesteuert per Satellit

Jetzt sei man aber im 21. Jahrhundert und ein paar Dinge hätten sich geändert. "Die Probleme von damals hat man heute nicht mehr", so der Experte. In Zeiten des Zweiten Weltkrieges waren vor allem das Ruder-Fixieren und das Über-Bord-Springen problematisch.

"In der Endansteuerung ließ man die Boote meist gerade fahren – dadurch wurden sie relativ schnell zerstört oder das Boot steuerte daneben. Es war durch den Piloten schwer abzuschätzen, wo sich die Pfade zwischen einem schnell manövrierenden Kriegsschiff und diesem Sprengboot treffen", erklärt Gressel.

Heute könnten die Boote aber über Satellitenverbindungen gelenkt werden. "Dadurch kann man bis zum letzten Moment steuern und hat weniger Probleme, die Boote auch treffen zu lassen", sagt Gressel.

Experte: "Als perfekte Waffe bauen"

Dadurch, dass man sie fernlenken könne und keine Person an Bord sein müsse, könne man die Boote auch ganz anders bauen. "Man kann sie flacher bauen und so, dass sie das Radar viel schwieriger entdeckt. Man braucht auf keine ergonomischen Prinzipien Rücksicht nehmen und kann sie sozusagen als perfekte Waffe bauen", erklärt der Experte.

Noch ein Punkt kommt hinzu: Die ukrainische Rüstungsindustrie wurde durch viele russische Raketenangriffe beeinträchtigt. "In dieser Not des Krieges ist es auch so, dass man den Bau solcher Boote auslagern kann an eigentlich nicht rüstungsrelevante Betriebe", merkt Gressel an. Jede Sportbootwerft, die Segelboote oder Motorboote für normale Kunden gebaut habe, könne nun bei der Waffenproduktion mitwirken.

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Neues Einsatzgebiet

"Man muss nur die entsprechende Elektronik verschrauben. Jeder, der sich im Motorbootbau auskennt, kann solche Drohnen bauen", so Gressel. Man könne also aus ukrainischer Sicht damit ganz andere Industriezweige heranziehen, die nun einen Beitrag für die Kriegsproduktion leisten.

"Sie sind auch gegenüber Raketen – etwa den Neptun-Marschflugkörpern zum Angriff auf Schiffe – viel billiger herzustellen", sagt Gressel weiter. Außerdem müsse man keine Freiwilligen rekrutieren, die sie in einer Selbstmordmission steuern. "Man kann sie in Massen angreifen lassen", sagt Gressel. Das Einsatzspektrum habe sich jedoch teilweise verschoben. Denn heute gibt es deutlich weniger Kriegsschiffe als im Zweiten Weltkrieg.

"Einsätze dieser Drohnenboote gegen Kriegsschiffe sind schwierig. Sie haben einen starken Antrieb, sind sehr manövrierfähig – der Kurs ist dadurch nicht gut berechenbar. Und sie haben natürlich zum Selbstschutz beispielsweise elektronische Kampfführungssysteme, Maschinenkanonen und Maschinengewehre", erläutert der Experte.

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Mittel für Handelskriege

Jedoch hätten Handelsschiffe, etwa solche, die Getreide transportieren, heute überhaupt keinen Schutz mehr und würden mittlerweile auch nicht mehr wie im Zweiten Weltkrieg im Konvoi fahren.

"Die Ukrainer haben in der Vergangenheit mit Drohnenbooten bereits russische Ölhäfen angegriffen. Dort haben sie Öltanker beschädigt oder sie gesprengt", erinnert Gressel. Die Russen würden jetzt mit solchen Drohnenbooten versuchen, ähnlich zu kontern und Frachtschiffe, die Odessa anlaufen, anzugreifen. "Sie sind viel verwundbarer als normale Kriegsschiffe. Diese Drohnenboote sind ein gutes Mittel, um Handelskrieg zu führen", bilanziert Gressel.

U-Boote nicht mehr finanzierbar

Im Zweiten Weltkrieg habe man versucht, die gegnerische Wirtschaft durch einen Handelskrieg mit U-Booten zu ermatten. Heute seien die Stückzahlen von U-Booten dramatisch gesunken. "Man würde kaum Besatzungen von U-Booten, die lange geschult werden müssen, in so großer Zahl opfern, wie man das im Zweiten Weltkrieg gemacht hat", sagt Gressel.

Heute sei ein U-Boot-Krieg im herkömmlichen Sinn zur Ermattung der Handelsflotte des Gegners schwer denkbar beziehungsweise nicht finanzierbar. "Aber mit den jetzigen Drohnen rückt genau das wieder in greifbare Nähe", so der Experte.

Russland wisse, dass der Export von Agrargütern der einzige Bereich sei, in dem die Ukraine noch am Weltmarkt reüssieren könne, gute Margen erziele und damit versuche den Staatshaushalt irgendwie zu decken. "Gleichzeitig ist Noworossisk am Schwarzen Meer der größte Ölexporthafen Russlands. Nachdem die Pipelines nach Europa stillgelegt wurden, wird hier ein Großteil der russischen Ölexporte über Tankschiffe abgewickelt", erinnert Gressel.

Experte: "Beispiel wird Schule machen"

Aus ukrainischer Sicht könne man hier eine Schädigung der russischen Kriegswirtschaft erzielen. Bis jetzt habe die Ukraine sich dort aber relativ zurückgehalten, weil die ökologischen Schäden eines solchen Angriffes im Westen schwer verkäuflich seien. "Wenn die Russen jedoch gegen die Getreideschiffe vorgehen, dann wird die Ukraine die Schonfrist aufheben", meint Gressel.

"Die Häfen von Handelsschiffen sind gegen solche Angriffe verwundbar. Die Schiffe sind so zahlreich, dass man sie schwer so dicht schützen kann", sagt Gressel. Er ist sich sicher: Das Beispiel wird über diesen Krieg hinaus Schule machen. "Viele andere Staaten werden sich auch Gedanken machen, wie sie diese Technologien nutzen und dementsprechend gegen andere Staaten Handelskrieg führen können", warnt der Experte.

Über den Gesprächspartner

  • Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
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