In der Nähe von Moskau geboren und aufgewachsen, ist Oleksandr Syrskyj heute der unerwartet populäre Armeechef der Ukraine. Er führt den militärischen Vormarsch der ukrainischen Truppen auf dem Boden seines russischen Heimatlandes an und schenkt damit der ukrainischen Bevölkerung neue Hoffnung.
Er wurde in Russland geboren und ein Teil seiner Familie lebt immer noch dort. Dennoch führt Oleksandr Syrskyj nun als Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee den Vormarsch in der russischen Grenzregion Kursk an. Diese größte Offensive einer ausländischen Armee auf russischem Gebiet seit dem Zweiten Weltkrieg lässt die Ukrainer wieder hoffen – und macht den 59-jährigen Syrskyj plötzlich beliebt.
Der Aufstieg in der Beliebtheitsskala
Noch vor wenigen Wochen kursierten Gerüchte über eine Ablösung Syrskyjs. Nachdem er im Februar an die Spitze der Armee berufen worden war, genoss er keinen guten Ruf. Doch das änderte sich schlagartig, seit Syrskyjs Truppen am 6. August überraschend die russische Grenze überschritten und seither nach eigenen Angaben mehr als 1.250 Quadratkilometer feindliches Territorium und dutzende russische Orte einnahmen.
Nach den militärischen Rückschlägen der vergangenen Monate löst der erfolgreiche Angriff bei den Ukrainern nahezu euphorische Reaktionen aus. Und rückt Syrskyj ins Rampenlicht. "Dass er unter schwierigsten Bedingungen in der Lage war, diesen Einsatz zu entwickeln und auszuführen, zeigt, dass er eine bedeutende militärische Persönlichkeit ist", sagte ein ranghoher ukrainischer Sicherheitsbeamter der Nachrichtenagentur AFP.
Aufgewachsen und ausgebildet in Russland
Wie die meisten hohen ukrainischen Militärangehörigen seiner Generation wurde Syrskyj in der Sowjetunion ausgebildet. Geboren 1965 in der Region Wladimir nordöstlich von Moskau, studierte er an der Führungsakademie der Roten Armee in der russischen Hauptstadt. Die entsandte ihn in den 1980er Jahren in die Ukraine, die damals Teil der Sowjetunion war.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR kehrte Syrskyj nicht nach Russland zurück, sondern schloss sich der Armee der nun unabhängigen Ukraine an. Er studierte an der Universität für nationale Verteidigung in Kiew und übernahm wichtige Militärposten.
Drei Jahrzehnte später beherrscht Syrskyj die ukrainische Sprache noch immer nicht perfekt, seine Eltern und sein Bruder leben nach wie vor in Russland.
Als Syrskyj im Februar die Armeeführung übernahm, fragte die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass seinen Bruder Oleg nach ihm. "Ich habe keinen Kontakt mehr, ich weiß nichts über ihn", sagte der Bruder. Mutter Ljudmila "liked" der britischen Tageszeitung "The Guardian" zufolge immer wieder Beiträge in den sozialen Medien, die die russische Invasion in der Ukraine unterstützen. "Ich will einfach nur nach Hause", witzelte ein Meme im Internet über Syrskyjs Motivation für den Vormarsch auf Russland.
Selenskyj über Syrskyj: "Held der Ukraine"
Die jüngste Offensive ist nicht das erste Mal, dass der General eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die russischen Angreifer spielt: Syrskyj leitete die Verteidigung Kiews zu Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 und trug dazu bei, dass der Plan des Kremls scheiterte, die Ukraine innerhalb weniger Tage in die Knie zu zwingen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlieh Syrskyj dafür den Titel "Held der Ukraine", die höchste Auszeichnung des Landes, und lobte seinen "persönlichen Mut" und seinen "bedeutenden Beitrag zur Verteidigung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine".
Im Herbst 2022 fügte Syrskyj Russland eine weitere demütigende Niederlage zu, als er die Invasoren aus der Region Charkiw im Nordosten vertrieb. Der ukrainische Politologe Wolodymyr Fesenko sieht Parallelen zwischen der Offensive damals und der aktuellen in der Region Kursk: Beide seien "schnelle, unerwartete und unkonventionelle Militäroperation".
Ein ungeliebter Spitzname
Syrskyj ist wenig charismatisch, seine Mitteilungen sind nüchtern. Über sein Privatleben schweigt er. Laut Armee ist der General verheiratet und hat zwei Söhne. Aufnahmen des Militärs zeigen Syrskyj oft bewaffnet in Kampfausrüstung, mit Helm und kugelsicherer Weste, wie er Soldaten in Schützengräben die Hand schüttelt oder mit ihnen lacht. Nach seiner Ernennung wurde er beschuldigt, sich wie die sowjetischen Generäle nicht um Verluste zu scheren, was Syrskyj den Spitznamen "Schlächter" einbrachte.
"Dieser Spitzname beleidigt ihn sehr. Und er stimmt überhaupt nicht", versichert der ukrainische Beamte. Syrskyj tue sein Bestes, um so wenige Soldaten wie möglich zu verlieren. "Er ist sehr hart, aber ein Armeegeneral muss hart sein." (afp/bearbeitet von phs)
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